Ein Unheil schwebt über dem alten Gemäuer
Bei den Bregenzer Festspielen waren „Der Untergang des Hauses Usher“ und ein „Stück über das Glück“ zu bestaunen. In Claude Debussys selten gespielter Schaueroper „Der Untergang des Hauses Usher“ verschmolzen Oper, Tanz und Bild zur grandiosen Einheit und zu einer neuen Bregenzer Bühnen-Ästhetik. Was der Musikologe Robert Orledge mit Ausstatter Richard Hudson, Regisseurin Phyllida Lloyd, Choreograf Kim Brandstrup und Lichtgestalter Adam Silverman im Festspielhaus aus Debussys Fragment sowie dessen Ballettkompositionen „Jeux“ und „Après-midi d’un faune“ an Ohren- und Augenschmaus anrichteten, ist phänomenal. Da enthüllt Edgar Allan Poes berühmte Grusel-Story, der Debussy den Stoff für Musik und Libretto entnahm, nicht nur inzestuöse Eros-Elemente und die Dämonie einer Arztfigur, die der des Dr. Mirakel in „Hoffmanns Erzählungen“ gleicht. Riesige Vitrinen, sich umeinander bewegend, spinnen auf der Drehbühne die Leidenschaften und Ängste des Roderick Usher weiter (faszinierend Bariton Scott Hendricks sowie dessen Tanz-Double Steven McRae vom Royal Ballet London). Die eigentlichen Motive der Ballette wichen der thematischen Einbindung in den Opernstoff. So wurde aus dem Fragment ein schlüssiger Thriller, den die Handlungen und Gefühle der Sänger tanzend und vorausschauend erläutern. Und dem sie in der finalen Tanz- und Gesangsphase zu einem aufregenden Schluss verhelfen. Den jeweiligen Tanz-Doubles und ihren Gesangspartnern (hervorragend Sopranistin Katia Pellegrino als Rodericks Schwester Madeline mit Leanne Benjamin, Bariton Cavalier als Rodericks Freund mit Johannes Stepanek sowie Tenor John Graham-Hall als teuflischer Arzt mit Cary Avis) boten US-Dirigent Lawrence Foster und die Wiener Symphoniker jenen feinen Musikteppich, der zu Höchstleistung beflügelt. Kein Wunder, dass sich Theatermanager aus aller Welt diese Uraufführung in französischer Sprache mit deutschen Untertiteln und deren Publikumsakzeptanz nicht entgehen ließen! Drei Abende zuvor hatte auf der Werkstattbühne ein „Stück über das Glück“ seine Uraufführung – mit der Nicola-Hümpe-Gruppe. Deren Erfolg hatte 1998 am Dessauer Bauhaus begonnen. Von Berlin aus starteten „Nico and the Navigators“ 1999 weltweit ihre Siegeszüge mit neuen, spektakulären Experimenten. Nun erarbeitete Hümpel, assistiert von den Instrumentalisten der Osttiroler Franui-Musicbanda und gefördert vom Berliner Senat sowie der österreichischen Kulturstiftung das Stück „Wo Du nicht bist“. Vom 10.August an ist es in den Berliner Sophiensälen zu erleben. Acht Darsteller, schauspielerisch, tänzerisch, pantomimisch und gesanglich überzeugend, gestalten, begleitet von teils originaltönenden, teils verfremdeten Schubert-Liedern, die „Frage nach dem Woher, Wie und Wesen des Glücks“: als Einzel-, Zweisamkeits- oder Gemeinschaftsgefühl. Auf, in, vor und über einer hellen Supermarkt-Fassade mit Tiefgaragen-Maul und integriertem Orchesterturm lässt Hümpel ihre junge Mimenschar (pastellig eingekleidet von Frauke Ritter) deutsch, französisch, englisch, flämisch und japanisch philosophieren, meditieren und kommunizieren. Dabei fehlen textlich wie akrobatisch weder kleine Ausflüge ins Grand-Guignol- noch ins Kabukitheater oder in die Zirkus-Manege, kann sich Glück im Äpfelmampfen wie im Schmökern entwickeln, bleiben Augen und Ohren des Publikums ständig in Bewegung.
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