Bildertheater thematisiert die Schwere des Seins
Was sich nach dem Namen einer Popband anhört, ist in Wirklichkeit eine junge Theatertruppe aus Berlin, die allerdings momentan in ganz Europa wie kleine Stars gefeiert wird. „Nico and the Navigators“ sind anders als die anderen Theaterschaffenden, denn sie greifen den Zeitgeist ohne allgemeines Lamento auf. Ihr neues Programm, mit dem sie anlässlich der Berliner Tage Moskau besuchten, heißt „Kain, wenn und aber“ – allein der Titel jagt schon kalte Schauer über den Rücken. Der biblische Kain, jener, der seinen Bruder im Grimme erschlug, ist sofort im Geist präsent. Es stellt sich die Frage: Wer wird wohl im Stück für was verantwortlich gemacht und warum? Vor diesem Hintergrund ist darüber hinaus Furcht einflößend, dass zeitgenössisches Theater heute kaum noch ohne aufwendige Videoprojektionen, ordinäres Geschrei und obszöne Gesten auskommt. Geboten wird allerdings etwas anderes. Zwar werden auch hier die Neurosen des gegenwärtigen Homo sapiens thematisiert, doch geschieht dies mit Humor und dem Mut zum Paradoxen. Die Kernfrage von „Kain, wenn und aber“ beschäftigt sich mit dem Thema Entscheidung – ihrer Last und Lust. Zitat: „Die erste Entscheidung: zu mir selbst – mutig – allein“, so beginnt das Stück und leitet den Grundtenor ein. „Nico and the Navigators“ beleuchten die unergründlichen Wege der Entscheidung, ihre Parameter und vor allem ihre (Un-)Freiheit. Szenisch einfach werden diese existenziellen Fragen sehr minimalistisch auf die Bühne gebracht. Die Dekorationen und Requisiten sind klein aber fein, ein Großteil der Wirkung wird durch Lichteffekte erzeugt. Das Stück lebt aber besonders von den brillanten Schauspielern, die zu wahren mimischen und körperlichen Akrobaten werden. Die Meisterleistung allerdings liegt im Wortwitz begründet, der sich teilweise ins Absurde steigert. „Wer bestimmt hier eigentlich, wer bestimmt? Wir bestimmen einen Bestimmer, der uns dann alle bestimmt, und das ist bestimmt die Lösung, dann stimmt’s bestimmt.“ Ohne Übertreibung kann tatsächlich von neuem deutschen Theater gesprochen werden – von zeitgenössischem, kreativem Theater, welches den Konflikt der manisch-depressiven Gegenwart mit einem zwinkernden Auge reflektiert. Und das stimmt bestimmt!
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