Über die lächerlichen Rätsel der Welt
Handbuch für den peinlichen täglichen Umgang mit sich selbst Nico and the Navigators erforschen eine neue Leichtigkeit in der Off-Theater-Community Die Freien Truppen haben ihr Zentrum in Berlin. Je schlechter es den traditionellen Theatern geht, desto mehr wachsen und gedeihen die Off-Theater. Den wohl einzigartigsten Stil hat in letzter Zeit das Ensemble von Nicola Hümpel entwickelt, das sich auf absurde Performances konzentriert. Es tourt durch ganz Europa. Forbach/Berlin "Le Carreau", rote Kinosessel in einem anonym wirkenden, hässlichen Raum, ist das soziokulturelle Habitat am uneinladendsten Ort: Forbach, das erste Dorf Lothringens an der westlichen Peripherie von Saarbrücken. Mit dieser unverwechselbaren städtebaulichen Tristesse werden die Deutschen an die DDR erinnert. Und genau hier spielt an zwei Abenden die originellste, innovativste und melancholischste, aber dennoch witzigste Truppe der deutschen Off-Theater-Gemeinde, jeweils vor rund 500 gebannten, geradezu enthusiastisch reagierenden Menschen im Publikum. Dieses Theater als charmant-absurdes Projekt gegen eine Welt ohne Sinn und Seele entfaltet an einem solchen Ort pure Verzauberung und lässt dabei Zeit und Raum vergessen. Vor sechs Jahren aus dem Dessauer Bauhaus hervorgegangen, sind sie inzwischen die Stars unter den Off-Theatern in Berlin. Und die Anzahl der Off-Theater in Berlin ist höher und ihre Verbindungen und Netzwerke sind dichter als anderswo. Es gibt Abende in Berlin, da sind die Produktionen der Off-Theater nicht nur zahlreicher als die der bekannten traditionellen Theater, sondern auch interessanter. Aber auch das muss man anerkennen: Ohne die Gurus der etablierten Kunst - in unserem Fall vor allem Pina Bausch, Achim Freyer, aber auch der absurde Komiker und Regisseur Jacques Tati - als erkennbares Vorbild gäbe es sie in dieser Form nicht. Aber "Nico und die Navigatoren" haben so viel Spezifisches in ihrer Sprache, erweitern damit die Sprache des Theaters, und so viel ausgeklügeltes ambivalentes Stilempfinden, dass sie schon längst zum Berliner Theatertreffen hätten eingeladen werden müssen. Die Titel der kurzweiligen Szenenfolgen, die bei ihrer Feldstudie "Menschenbilder" für die Rätsel eines gestörten Alltags einer surrealen Logik folgen, sind bereits die erste Verheißung, die auf die folgenden zarten, aber nachhaltigen Nonsens-Absurditäten vorbereitet. "Ich war auch einmal in Amerika", "Lucky days, Fremder!" (Glückliche Tage, Fremder), "Eier auf der Erde", "Lilli in Putgarden", "Der Familienrat" und nun, völlig unbegründet, "Kain, Wenn und Aber". Nicola Hümpel, die Regisseurin von sieben Stegreifspielern mit erstaunlichen akrobatischen Fähigkeiten, sowohl körperlich als auch stimmlich, hat ihre Wurzeln in der bildenden Kunst. Entsprechend sind die Figuren wie Skulpturen gemeißelt, bevor sie sich allein oder im Kommunikationschaos in unbeholfene Bewegung setzen und den Spiel- und Verhaltensregeln in dieser gelähmten postmodernen Welt einen Streich spielen. Die ziellosen Navigatoren beginnen, irgendwo im Nirgendwo, aus dem Moment heraus und für den Moment, Kurs zu nehmen. Aber sie tun dies mit einer eigensinnigen und spielerisch-vagen Schimpfwort-Insistenz, die die Wahrnehmung des staunenden Publikums systematisch erschüttert. Sie bringen die Verhältnisse im wahrsten Sinne des Wortes zum Tanzen, indem sie sich des freien Willens von Kant bedienen, ganz im Sinne von Ernst Bloch. Nur eben ohne jeglichen missionarischen Impetus oder einen intensiven und erzwungenen philosophischen Überbau. Eine selbstgenügsame, selbstverantwortliche, verführerisch flackernde Leichtigkeit des So-Seins. Der Soundtrack zart, das Licht mild, die designten und gestylten Toupet-Frisuren schräg, die Kleidung nicht immer nur am Körper - und schon läutet die Glocke unerbittlich, denn wir begegnen uns selbst und, noch verhängnisvoller, der Sache. "Nico und die Navigatoren" sind jetzt in den Sophiensaelen in Berlin beheimatet. Doch sie sind selten in ihrem Hafen, sondern kreuzen fröhlich die Kurse des internationalen Festivals. Die komplexen Wortspiele in "Kain, Wenn und Aber" werden stets landestreu umgesetzt, mit perfekten Untertiteln. In der Off-Theater-Gemeinde ist die absolute und präzise Perfektion der Hümpel-Truppe, sowohl was ihre Kunst als auch was ihr Handwerk betrifft, eher ungewöhnlich. International auf Tournee Nach Frankreich sind bereits Tourneen in den Niederlanden, Russland, Italien, der Schweiz, Ungarn und wohl auch in den unvermeidlichen USA geplant. Die Off-Theater-Gemeinde in den Sophiensaelen, im Podewil und jetzt im dreifach verteilten Hebbel-Theater - das sind Standortvorteile in Berlin, die vom Berliner Senat und dem Stiftungsfonds der Hauptstadt geschickt am Leben gehalten werden. Der Rest der Theater in Deutschland könnte sich ein Beispiel daran nehmen, wie man mit kleinen Mitteln große zeitgenössische Kunst fördern kann...
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