Technik ist lernbar, das Talent müssen Sie mitbringen!
Wie geschäftliche Rituale das Individuum deformieren: „Nico and the Navigators“ zeigen „Eggs on Earth“ in den Berliner Sophiensaelen Der Mensch definiert sich über die Arbeit. Doch weniger der Workaholic steht im Mittelpunkt von „Eggs on Earth“, der neuen Inszenierung von „Nico and the Navigators“, auch nicht der durchschnittliche Feierabendkneipengänger oder ein Mitglied der „After-Work-Clubbing“-Bewegung: Für ihren Abstieg in die Untiefen der Erwerbstätigkeit hat sich die Gruppe um die Regisseurin Nicola Hümpel jenen Typus auserkoren, der mit einer knallroten Aktentasche auf die Bühne schreitet, nach einem kurzen Schweigemoment den Satz. „Im Grunde meines Herzens akzeptiere ich meinen abwechslungsreichen Alltag“ spricht und sich sodann emotionslos niederlegt. Alle – der Aktentaschenträger eingeschlossen – wollen natürlich „nach oben“. Nur müsste dafür erst einmal die Kontaktaufnahme zum ominösen „Herrn Fock“ bewältigt werden; wenigstens auf fernmündlicher Basis. Was sich hingegen ereignet, ist das Drama des ewigen Scheiterns an der Vorzimmerdame. Stilsicher haben „Nico and the Navigators“, die mit ihrem bildmächtigen Konglomerat aus Sprech- und Bewegungstheater bereits bei ihren früheren Produktionen in den Sophiensaelen – „Ich war auch schon einmal in Amerika“ und „Lucky days, Fremder!“ – Begeisterung auslösten, auch dieses Sujet in ganz eigene, surreale Bilder übersetzt. Hartnäckig werden die Akteure von den gesammelten arbeitsweltlichen Platituden ereilt. Sätze wie „Ihr Vorgang wird bearbeitet“, „Die Technik kann man lernen; das Talent muss man mitbringen“ oder „Der hat ja jetzt Zeit!“ folgen aus nichts; und ihnen folgt auch nichts bei „Nico and the Navigators“. Zumindest nichts, was einem stringenten Handlungsablauf gleichkäme. Vielmehr schweben die Elaborate wie bösartige Heimsuchungen über dem „nach oben“ orientierten Personal. Das Demütigende, das von ihnen ausgeht, wird über eine detailversessene, stilisierte Bewegungssprache transportiert. Dafür hat Oliver Proske mit seinem multifunktionalen hellblauen Container, in dem die Darsteller entweder gänzlich verschwinden oder wechselweise lediglich von der Taille auf- oder abwärts in Augenschein genommen werden können, ein kongeniales Bühnenbild entworfen. Die Regisseurin versammelt sieben Darsteller, die mit einem beneidenswerten Hang zum Grotesken begabt sind. Am gegenständlichsten führt Julius Weiland jene Deformationen vor, die geschäftliche Rituale am modernen Individuum hinterlassen: Wie er an einem viel zu niedrigen Tisch eine lässig-souveräne Abstütz-Haltung versucht und sich nach anfänglichen Respekt zusehends erbost im feindlichen Möbelstück verklemmt – das ist Slapstick in höchster Vollendung. Was nicht heißen soll, dass „Nico and the Navigators“ die Misere ums Business zum schmerzfreien Amüsement degradieren. Nicht nur, dass Bewerbungsgespräche oder gut gelaunte Ansprachen über bahnbrechende Firmenbilanzen in einem alptraumhaften Satzwiederholungszwang verenden: Selbst Themen wie die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz werden mit einer auf wenige zielsichere Gesten reduzierten Beiläufigkeit so verhandelt, dass die Banalität der Verrichtungen schrecklich zu Tage tritt.
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