Der Aufhaltsame

27. September 2024. Das ist ja alles irre, sagt Mathis Feldhoff, Chef der Bundespressekonferenz. Das denke ich nicht nur heute Abend, erwidert Stückautor Maximilian Steinbeis nach der Premiere. So klingt es, wenn die Wirklichkeit die Fiktion überholt, wenn das Theater nicht mehr mitkommt. Der Alterspräsident eines Landtags ignoriert Geschäftsordnung und Abgeordnetenrechte, kostet im Auftrag seines rechtsextremen Parteichefs seinen Hindenburg-Moment aus, bis das Ganze vorm Landesverfassungsgericht landet.


Realität schlägt Fiktion


In einem anderen Freistaat verwehrt die neue Landesregierung Flüchtlingen sämtliche Rechte und verweigert sich jeder Prüfung durch Bundesbehörden, bis Berlin zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Verhältnisse das noch nie angewendete Mittel des "Bundeszwangs" ergreift; die Regierungssprecherin dementiert, dass es im Freistaat zu bürgerkriegsartigen Szenen komme. Welches der beiden Szenarien ist Realität, welches hat sich ein fantasiebegabter Autor bloß ausgedacht? Und wie weit ist die Fiktion von der Realität entfernt?

Gar nicht weit – das bezeugt Maximilian Steinbeis. Als Jurist, Journalist und Gründer des "Verfassungsblogs" hat er in seinem "Thüringen-Projekt" durchgespielt, was wäre, wenn. Das, was die AfD am 26. September im Thüringer Landtag inszeniert hat, konnte ihn nicht überraschen. Es ließ sich – das machte er im Gespräch mit Mathis Feldhoff klar – voraussehen, sofern man sich fragte, was passiert, wenn eine mächtige Partei alle parlamentarischen und rechtlichen Normen verlässt. "Damit lässt sich eine Menge Missbrauch betreiben."


Fortwährende Pressekonferenz


Das Stück "Ein Volksbürger", eine Weiterentwicklung von Steinbeis‘ fünf Jahre altem Text "Ein Volkskanzler", ist bei aller Ernsthaftigkeit des Themas auch eine Farce. Das Publikum erlebt in Nicola Hümpels Inszenierung über zwei Stunden eine fortwährende Pressekonferenz mit wechselndem Personal – vom biederrassistischen Landrat ("Verstehen Sie mich nicht falsch, wir haben nichts gegen Ausländer") bis zum besorgten NGO-Sprecher. Fabian Hinrichs brilliert in der Rolle des freistaatlichen Alleinherrschers Dominik Arndt, der das Parteikürzel seiner "Demokratischen Allianz" den eigenen Initialen abgeformt hat, mit Haifisch-Charme und nimmerversiegendem Redeschwall. Als geschickter Populist changiert der egomanische "DA"-Chef zwischen Biederkeit und unverhohlener Drohung, seine Spezialität ist die unterschwellige Aggressivität; meisterhaft, wie er durch Ausbooten der Pressekonferenz-Chefin (Klara Pfeiffer) die Machtergreifung schon mal in der BPK übt – für später.

Während die fragenstellenden und zwischenrufenden Journalisten im Saal Klischeefiguren bleiben, überzeugt Annedore Kleist als Regierungssprecherin, die sich im Zweifel auf Stanzen zurückzieht und die eigene Hilflosigkeit mit süffisantem Lächeln zu kaschieren versucht. Einen schönen Gastauftritt als Theo Koll hat Theo Koll; interessanterweise strahlt er in seiner Eigenrolle mehr Ernsthaftigkeit aus als im Korrespondentenalltag. Mag sein, dass unter dem Druck jüngster Landtags-Wahlergebnisse selbst einem langgedienten ZDF-Anchorman das Augenzwinkern vergeht.


Schrecklich lächerlich


Tröstlich geradezu, dass sich der Aufstieg des Diktators zumindest in diesem Stück als aufhaltsam erweist: Dominik Arndt flieht in "ein Land, wo die Zitronen blühen" und zitiert von dort aus in erwartbarem Größenwahn nicht nur Goethe, sondern auch Kant. Dass sein Pathos dem von Björn Höcke ähnelt, ist keineswegs rein zufällig. Und wenn er am Ende Puccinis "Nessun dorma" kräht – vincero, vincero-ho! -, bleibt die Hoffnung, dass er irrt: Diese schrecklich lächerliche Gestalt wird nicht siegen.


Oder doch? Wer weiß das schon – nach dem 26. September in Erfurt.

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