Ich bin das Volk

Der Glaskasten der Bundespressekonferenz im Berliner Regierungsviertel ist neben dem Bundestag die wichtigste Verlautbarungsbühne im politischen Tagesgeschäft. Hier einmalig ein Theaterstück aufzuführen, eine Farce über den Machtergreifungsversuch eines charismatischen Rechtspopulisten, ist mehr als ein hübscher Verfremdungseffekt vor fernsehbekanntem Bühnenbild.


Die Premiere von Nicola Hümpels Inszenierung „Ein Volksbürger“ am vergangenen Freitag, genau einen Tag nachdem die AfD in Erfurt die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags für ein Spektakel der Demokratieverachtung genutzt hatte, wirkt wie die treffende Antwort des politischen Theaters auf solche Exzesse einer Theatralisierung der Politik. Wenn enthemmte Polarisierung die Sachauseinandersetzung und Reste eines rationalen Diskurses vergiftet und überlagert, wenn Parlamente gezielt verächtlich gemacht und als Propaganda-Plattformen missbraucht werden, wird in dieser Inszenierung umgekehrt das Theater zum Instrument der Analyse. Es durchleuchtet die Manöver eines autoritären Nationalradikalismus zur Zerstörung von demokratischer Öffentlichkeit – zum Zweck der politischen Ausnüchterung.


An der Stirnseite des Saals, wo im Normalbetrieb Politiker und ihre Sprecher Fragen beantworten, führt jetzt ein rechtspopulistischer Macht- und Manipulationsvirtuose namens Dominik Arndt vor, wie lässig er die Spielregeln der Demokratie auszuhebeln versteht. Und weil dieser selbsterklärte „Volksbürger“ vom immer supersympathischen und gleichzeitig tendenziell leicht irre wirkenden Fabian Hinrichs gespielt wird, entwickelt sein Aufritt beträchtliche Ausstrahlung: Neben Hinrichs besitzen durchschnittliche Politik-Routiniers bestenfalls die Anziehungskraft eines Sitzungsprotokolls und den Glamourfaktor eines Referentenentwurfs.


Statt auf die Fragen zu antworten, sagt der Volkstribun: „Ich bin hier, um Ihnen einen neuen Anfang anzubieten“


Die Aufführung ist ein Gedankenexperiment auf die Widerstandskraft des demokratischen Rechtsstaats, ein theatralischer Stresstest, der durchspielt, wie demokratisch gewählte Demokratieverächter die staatlichen Institutionen zügig umbauen und missbrauchen könnten – die Zerstörung des Rechtsstaats mit seinen eigenen Instrumenten. Das Drehbuch dieses gespenstischen Belastungstests stammt von einem Experten. Maximilian Steinbeis, Jurist und Journalist (gelegentlich auch als Gastautor der SZ), hat als Gründer und Leiter des einflussreichen Verfassungsblogs mit zahlreichen Experten im „Thüringen-Projekt“ die rechtlichen Möglichkeiten einer an der Regierung beteiligten AfD untersucht. Das „Volksbürger“-Szenario variiert das geschickt: Was geschieht, wenn ein rechtspopulistischer Regierungschef Gesetze ignoriert und der Bruch mit dem Rechtsstaat in Form von Verwaltungshandeln stattfindet?


Das mitlaufende zweite Gedankenexperiment ist noch ein wenig unangenehmer: Was, wenn rechte Demokratiefeinde sich nicht im Höcke-Stil mit SA-Parolen blamieren, sondern sich diffus modern geben, also am liebsten von Digitalisierung reden und nebenbei Grundrechte ignorieren? Wie könnte es sich auf Wahlergebnisse auswirken, wenn die rechte Demagogie nicht wie bisher von verhaltensauffälligen Figuren und bizarren Eiferern verbreitet wird, sondern wie hier von einem fernsehtauglichen Charmebolzen mit den glatten Umgangsformen eines Showmasters?


Auftritt Fabian Hinrichs als mit absoluter Mehrheit frisch gewählter Ministerpräsident eines nur „Freistaat“ genannten Bundeslandes: Ein eisern dauerlächelnder Blender der „Demokratischen Allianz“, der die Fragen des ZDF-Reporters Theo Koll (gespielt von Theo Koll) an sich abperlen lässt wie eine unvermeidliche, aber auch völlig unwichtige Belästigung. Er macht die Bundespressekonferenz sofort zu seiner Bühne und spielt von Anfang an nach eigenen Regeln. Den eigentlichen Zweck, sich den kritischen Fragen der Journalisten zu stellen, ignoriert der Strahlemann souverän. Stattdessen feuert er Stakkato-Phrasen ab: „Ich bin hier, um Ihnen einen neuen Anfang anzubieten“, und das natürlich mit „Leidenschaft für unser Land“.


Die in Stahlbeton gegossene Freundlichkeit, die alles und alle umarmenden Gesten sind ein einziges Angebot, Politik als das Austragen von Interessengegensätzen durch das beschwingte Wohlfühldelirium einer Volksgemeinschaft zu ersetzen: Wir sind wir, und „wir müssen alle mehr miteinander reden“.


Die eingespielten Routinen des Politikbetriebs versagen vor dem populistischen Angriff


Zur Markierung seiner politischen Ziele genügt dem postmodernen Volkstribun das Egoshooter-Programm eines identitätspolitischen Fundamentalismus: „Ich bin ich“. Das muss reichen. So hilflos wie die Moderatorin der Bundespressekonferenz (Klara Pfeiffer) auf das Kapern ihrer Bühne reagiert, so müde und kraftlos wirken im Kontrast zum Turbo-Charismatiker die juristisch-formalistischen Statements der überarbeiteten Sprecherin der Bundesregierung (Annedore Kleist). Die eingespielten Routinen des Politikbetriebs versagen vor dem populistischen Angriff. Kerniger ist da schon der Landrat aus der tiefen Provinz (Stefan Merki), den der Ministerpräsident mitbringt, damit er „hier in Berlin“ von der Zumutung berichtet, die das Heim für Geflüchtete in seinem Landkreis darstellt.


Die machtpolitische Rückseite der populistischen Phrasenmaschine ist der Missbrauch der Verwaltung unter Aushebelung des Rechtsstaats. Im „Freistaat“ bearbeiten die Ämter für Migration und Flüchtlinge die Akten einfach nicht mehr, Schutzsuchende landen in der Obdachlosigkeit. Das sind wohl, leicht zugespitzt, die „wohldosierten Grausamkeiten“, von denen der „Remigrations“-Propagandist Höcke zum Zweck ethnischer Säuberungen träumt. Populistische Regierungspolitik mündet, wie real etwa in Ungarn geschehen, in diskriminierendes Verwaltungshandeln.


Die Aufführung spielt den Versuch einer populistischen Machtübernahme in einem Bundesland – bis zum Eingreifen der Bundespolizei – wie das Fallbeispiel in einem juristischen Lehrbuch durch. Und genau das ist diese Inszenierung: lehrreich. Weil die Koproduktion mit den Münchnern Kammerspielen und dem Staatstheater Karlsruhe ein Spiel mit der Medienöffentlichkeit ist, ist es nur logisch, dass „Ein Volksbürger“ vom 2. Oktober an auch in der Arte-Mediathek abzurufen ist.

 

<< Zurück zur Presseübersicht

Ticket-Benachrichtigung

Tickets für diesen Termin sind noch nicht erhältlich. Hinterlassen Sie Ihre E-Mail-Adresse, um benachrichtigt zu werden, wenn Tickets verfügbar sind.

Unbenannt-2