Eine Gefahr für die Demokratie

Das Berliner Musiktheater-Ensemble Nico and the Navigators betritt gleich zwei neue Felder: Ihre Produktion „Ein Volksbürger“ ist im Sprechtheater verortet und die Uraufführung findet im Haus der Pressekonferenz statt, wo seit der Einweihung des neuen Gebäudes am 8. Mai 2000 wirklich nur Politjournalismus, aber nie ein theatrales Format stattgefunden hat. 


Auf die Antwort der Frage, warum sich das Ensemble nunmehr dem dezidiert politischen Theater widmet, muss Regisseurin Nicola Hümpel nicht lange überlegen: „Weil es die Zeit erfordert.“ Letztlich stellt es kein komplettes Neuland dar: In den mehr als 25 Jahren ihres Bestehens haben Nico and the Navigators stets äußerst klug und ästhetisch herausragend aktuelle gesellschaftspolitische Fragestellungen behandelt. Das Ensemble ist bereits seit Längerem mit dem Autor und Juristen Maximilian Steinbeis befreundet, der seit 2009 den „Verfassungsblog“ betreibt. „Er kennt unsere Arbeit schon sehr lange und trat an uns mit einem äußerst relevanten Stoff heran“, erinnert sich die Regisseurin. 


Steinbeis veröffentlichte 2019 den Essay „Ein Volkskanzler“ und in diesem Jahr das Buch „Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme“. Beide Schriften verdeutlichen die Gefahr, dass populistische Kräfte demokratische Institutionen unterminieren und autoritäre Strukturen manifestieren können. „Wir feiern in diesem Jahr das 75. Jubiläum des Grundgesetzes und müssen uns fragen, wie dieses modifiziert werden kann, um Demokratiefeindlichkeit keinen Raum zu geben“, sagt Hümpel. „Max trat nicht an uns heran, weil ihm ein Musiktheaterprojekt vorschwebte, sondern weil er uns zutraute, entsprechende Charaktere zu zeichnen und auf die Bühne zu bringen. Ich betrachte das als ein Projekt mit viel Verantwortung und benötigte Bedenkzeit. Wir lässt sich das vermeintlich spröde Feld des Verfassungsrechts auf ein theatrales Format übertragen, dass den Zuschauenden die Problematik verdeutlicht, ohne sie zu simplifizieren?“


Die Wahlprognosen für die Bundesländer Brandenburg, Thüringen und Sachsen beschleunigten das Projekt – die Relevanz dafür ist aufgrund des erwartbaren Erfolgs populistischer Parteien evident. Aus diesem Grund gab es vom Haus der Pressekonferenz sofort grünes Licht. Bei Fabian Hinrichs sah es ähnlich aus. Erstmalig arbeiten Nico and the Navigators mit dem Schauspieler und Regisseur zusammen. „Kurz nachdem wir ihn angefragt hatten, war er für das Projekt Feuer und Flamme“, erinnert sich Hümpel. „Fabian hat Jura studiert. Er brachte somit nicht nur Interesse für den Stoff mit, sondern das nötige Fachwissen. Er durchblickte die juristischen Implikationen sofort.“


Passend zum Ort besteht das Stück aus mehreren Pressekonferenzen, die nach einer Wahl angesiedelt sind. Der von Fabian Hinrichs verkörperte Ministerpräsident ist mit einer überzeugenden Mehrheit gewählt worden, obwohl er verfassungsfeindliche Parolen proklamiert hat. Schnell stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht nur um wahltaktische Phrasen handelt, sondern er Asylrecht und umweltpolitische Strategien aushebeln will. Dies führt dazu, dass die Bundesregierung eingreift. Denn Artikel 37 des Grundgesetzes sieht vor, dass es zum sogenannten Bundeszwang kommt, wenn ein Land sich der föderalen Pflichten verweigert. In der Geschichte der Bundesrepublik kam dies bisher zwar nicht vor, aber bei den markigen Sprüchen, die die populistischen Parteien bringen – in Kombination mit den Wahlprognosen – ist dies für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Bleibt die Frage, was die Folge eines solchen Szenarios wäre? Denkbar ist, dass die Populisten zu vermeintlichen Märtyrern avancieren, was noch einmal einen weiteren Popularitätsschub bescheren könnte. 


Was derzeit nach einem nicht völlig unwahrscheinlichen Zukunftsszenario aussieht, hat in der Geschichte schon einmal so ähnlich stattgefunden, wie Hümpel betont: „Man denke an den Preußenschlag 1932.“ Damals erreichten die NSDAP und KPD bei den Landtagswahlen eine Mehrheit. „Der damalige Ministerpräsident Otto Braun, der noch geschäftsführend tätig war, wurde mit seinem Ministerium abgesetzt und durch den Reichskanzler Franz von Papen als Reichskommissar ersetzt. Dieser glaubte, er könnte Hitler kontrollieren, wenn er sich mit ihm zusammenschließe. Ein fataler Irrtum.“


Vor einem erneuten Akt der Naivität warnt das Stück, das an drei Abenden gezeigt wird. Der Titel suggeriert das Volksnahe, das Populisten gerne vorgeben: „Ich bin einer von euch.“ Das gelingt dem Milliardär Trump exzellent, der skurriler Weise gegen die Elite wettert, die er eigentlich repräsentiert. In Deutschland verhält es sich nicht großartig anders. Wahrscheinlich hatte Brecht darüber hinaus mit seinem Misstrauen gegenüber dem Begriff „Volk“ recht. Heiner Müller dachte dies noch weiter. Es führe schnell zum Diktum, dass da lautet: „Du sollst keine Völker neben mir haben.“


Die Kombination Fabian Hinrichs und Nico and the Navigators klingt für diesen Stoff mehr als vielversprechend. Aufgrund der limitierten Platzkapazität im Haus der Pressekonferenz sollten Karten möglichst schnell reserviert werden. Das Bühnengeschehen wird aber auch live deutschlandweit in Theater übertragen. In Berlin übernimmt diesen Part am Samstag das Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Anschließend stellen sich Autor Maximilian Steinbeis und das Bühnenteam den Fragen des Publikums. Der Fernsehsender Arte schneidet bin und wird das Stück nach der Premiere ausstrahlen und Hintergründe näher beleuchten.


Kurz vor Weihnachten kehren Nico and the Navigators mit einer weiteren Uraufführung zurück. Im Radialsystem denken sie mit „The whole Truth about Lies“ die Thematik fort. Das Musiktheaterstück setzt sich mit Fake News und künstlicher Intelligenz auseinander.

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