Barocke Fantasie voller Rätsel

Nach einem roten Faden sollte man in »Anaesthesia« nicht suchen. Auch wenn ihn die Sopranistin einem der Darsteller zu Ende gegenständlich aus dem Mund zieht. Das ist Spaß wie alles bei Nico and the Navigators. Nach Schubert nahm sich das Team um Regisseurin Nicola Hümpel diesmal Händel zur Brust. Zusammen mit der österreichischen Musicbanda Franui, benannt nach der Almwiese eines Osttiroler Dorfes, entstand eine Spielwiese für barockes Theater und sein Figurenarsenal aus heutiger, durchaus nicht ernst gemeinter Sicht. Fröhlich plündert Franui in 32 Nummern aus 24 Opern und Oratorien den Händel-Fundus, musiziert im Original, verplärrt und zerschreddert den Edelklang durch Fremdinstrumente wie Akkordeon, Hackbrett, Saxophon, Tuba. Auf einem Podium hinter Gaze in der Tiefe des Guckkastens, wie Oliver Proske ihn schlicht und effektvoll in den bühnenfreien Raum des Radialsystems hinein gebaut hat, sitzt Franui, wird in den gesangsfreien Teilen sichtbar, schmettert gar im Ensemble mit. Ansonsten obliegen die Arien, Duette, Terzette Sängern, unter denen Terry Wey mit leicht geführtem, koloratursicherem Countertenor von Strahlkraft und Pianokultur besticht. Für die im Titel versprochene Schmerzunempfindlichkeit sorgen auch die vielen kleinen Aktionen der Navigators aus Tänzern, Schauspielern, Akrobaten. Da wird gleich zu Anfang Patric Schott als lebende Plastik herausgetragen und von Yui Kawaguchi fußgeputzt. Immer wieder wird sie in den 90 Minuten Spieldauer an den Darstellern herumpolieren, falls sie nicht gerade tanzt. Et in Arcadia Ego, so steht es Schott auf den Bauch gepinselt. Zu jenem barocken Arkadien gehört ein säbelbewehrter Türke mit Händelscher Hausmütze, der die Rezitative spricht, ihnen manch aktuellen Bezug einmischt. Von aus Asien importiertem Material redet er, während Kawaguchi Seide betastet, räkelt sich dann selbst erotisch auf Widderfellen, wie zwei liegende Frauen sie im Eintrittsbild tragen und wie sie ständig auf der Szene sind. Ein Fehler im Tagesablauf, erzählt Adrian Gillott weiter, habe damals den sozialen Status kosten können. Bild an Bild reiht sich in stetem Fluss. Einer Kopflosen ranken gestikulierende Hände aus dem Hirn, ein Mann schwebt einbeinig über die Szene, Federn werden zu Flügeln, eine Frau kreischt primadonnenhaft im Takt der Musik, Kawaguchi sticht einem Mann am Boden die Feder ins Fleisch. Wo all die Großen geblieben seien, fragt der Erzähler, Alexander, Cäsar, Friedrich der Große, Che Guevara. »Piangerò« aus Händels »Giulio Cesare« ist da nicht mehr weit, nicht »Nel riposo« aus »Deidamia«, das Bariton Clemens Koelbl kopfüber vom Portal herunter singen muss. Leise, nachdenklich, ohne besondere Steigerungen und Affekte gehen zum Todesmarsch aus »Saul« alle geweißt zu Boden, hatten zuvor unter Nebelgewall den Belag der Stege zu besitzbaren Monden gerollt. An dieser und manch anderer Fantasiezutat zum Händel-Ragout hat man Freude, Sieger nach Punkten bleibt der Meister aus Halle.

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