Bewegungslust „stört“ die Gottesfürchtigkeit

Die Berliner Company Nico and the Navigators tanzte in der Erfurter Predigerkirche im Rahmen der Thüringer Bachwochen zu Werken der Bachzeit. Erfurt. Mit Esprit und Elan widmeten sich "Nico and the Navigators" in einer Eigenproduktion der Thüringer Bachwochen am letzten Festivalwochenende Evergreens der Bachzeit. Das Berliner Theaterensemble gestaltete einen szenischen Konzertabend nach barocker Pasticcio-Praxis: Beliebte Arien und Instrumentalwerke des Festivalheiligen setzte Regisseurin Nicola Hümpel in Bilder von faszinierender Bannkraft. Wie ein Bettler schleppte sich die Tänzerin Yui Kawaguchi aus dem Lettner der Predigerkirche Erfurt die Treppen zur errichteten Bühne hinauf, um dort als verspielte Verführung die kontemplative Andacht eines mönchsartigen Countertenors und dreier Musiker zu stören. Die Bühne Oliver Proskes intensivierte mit Kirchenbänken, die als bewegliche Kulissen fungierten, die besondere Atmosphäre des Sakralbaus, wodurch der historische Entstehungskontext der Bach-Kantaten forciert und eine genaue Textlektüre eingeleitet wurde. Der Mönch (Terry Wey) hüllte seine Gottessuche in der Arie "Bist du bei mir" in weiche Sänfte. Entsprechend dem Arieninhalt entwickelte die Regisseurin dazu eine elegante Bewegungssprache der Hände, mit der die Tänzerin ihre verführenden Fäden zu spinnen begann. Der Countertenor konterte ihre Umgarnung mit der Arie "Widerstehe doch der Sünde", was Yui Kawaguchi in den Mittelgang des Kirchenschiffs vertrieb. Mit kessem Charme störte sie dann das Spiel des Gambisten Jakob David Rattinger, bevor sie sich am Cembalo entlang zu Eugène Michelangeli hangelte. Schließlich unterband ein Orgelinferno das sündige Treiben, und mit Bachs Chaconne, in einer tänzerischen Interpretation Mayumi Hirasakis, kehrte kontrapunktische Ordnung in der Predigerkirche ein. Stepp zur Musik des Gambisten Terry Wey versuchte bei wandelndem Mönchsgesang voll Zartheit seine "Vergnügte Ruh" wieder zu finden, doch die Tänzerin animierte den Gambisten zu einer populären Musik des Bachschen Zeitgenossen Marais, zu der sie mit Übermut steppte. Mit einer innigen Bachmeditation am Cembalo bekehrte Michelangeli schließlich die Tanzwütige zu Gottesfürchtigkeit. Die Regisseurin gewann der Bach-Studie daneben auch viele heitere Momente ab, in denen die harte Klavierschule der Pianisten und die Spitzentonsucht mancher Sänger karikiert wurden. Durch metaphorische Bilder, Slapstick und kleine Farcen haftete der Inszenierung ein Augenzwinkern an, das dem inszenierten Konzertabend eine enorme Lebendigkeit verlieh. An der Kanzel klangen dagegen pantomimisch auch kritische Töne an, die zum Beispiel Redeverbote hinterfragten. So beleuchtete Hümpel verschiedene Facetten des Bachschen Oeuvres und entwickelte daran eine spannende Konzert-Dramaturgie, in der die szenische Aktion fesselte, doch niemals die musikalische Qualität beeinträchtigte. Mit starker Mimik und bannender körperlicher Ausdrucksstärke verlieh Yui Kawaguchi der Produktion spielerische Frische. Bei ausgefeilter Lichtregie überzeugten die Musiker in den Arien mit schönster Affektausdeutung und reizvoller Dissonanzführung. Intensiv flehte Terry Wey in "Erbarme dich, mein Gott", wozu die Barockviolinisten instrumentale Seufzer intonierten - Bachverständnis mit Tiefgang und Mut zur unkonventionellen Auseinandersetzung.

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