Da tanzt der Engelsbär
Irgendwann, wenn keiner guckt, lassen die Engel ihre Leitern runter und klettern ins Lagerhaus. Dann ziehen sie den Pfropfen aus dem Spundloch, tauchen ihre Strohhalme ins Whiskyfass und saugen sich raus, was ihnen zusteht. „Angel’s Share“ - Engelsanteil - lautet der Fachausdruck dafür. Angeblich sei das die Menge Sprit, die nach und nach aus dem Fass verdunste. Adrian Gillott, ein wuschelköpfiger Clown, fragt sich da: „Was machen die, wenn die zuviel gesaugt haben? Hören die dann auf, nach uns zu gucken? Ist das der Moment, wo irgendjemand verunglückt?“ Trotzdem gibt es am Ende dieses Abends im Berliner Radialsystem, gestaltet von der Akademie für Alte Musik und der Theatertruppe Nico and the Navigators, tatsächlich Whisky für alle. „Tanzt, Leute“, ruft Gillott zwischen die schottische Fiddlermusik. Im Bacchanal löst sich die Poesie dieses Abends, von Nicola Hümpel erdacht, auf. Die Tänzerin Nadine Milzner hatte als eisige Majestät mit spanischer Halskrause Widerstand geleistet gegen die Zutraulichkeiten des Schotten-Clowns, der auch der Sängerin Julla von Landsberg nachstellte. Der Fiddlermusik stand höfische Kunst von Henry Purcell, Niel Gow und Nicola Matteis gegenüber. Um Nahbarkeit und Unnahbarkeit ging es, um wechselseitige Empathie sozialer Sphären und ihrer Musik. Ein Abend voller Witz und Rührung. Man muss es erlebt haben, wie Gillott sich aus einem rieseigen Luftkissen mit Schlauch und Orgelpfeife einen Dudelsack gebaut hat, sich dann aufs Kissen warf wie „Goethe in Italien“ auf Tischbeins Gemälde, das Ventil öffnete und daraufhin über dem Pfeifton die „Fantasia upon one note“ von Henry Purcell gespielt wurde. Oder wie er in lordschaftlichem Lehrerton den Text aus Händels „Esther“ urkomisch deklamierte, während Gioanna Pessi ihre Harfe stimmte: „Tune your harps to cheerful strains, moulder idols into dust.“ Zeitfenster, die Biennale Alter Musik, veranstaltet vom Konzerthaus Berlin, hätte kaum besser zu Ende gehen können.
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