„Das Verfassungsgericht ist leicht zu knacken“: Die Bedrohungen der deutschen Demokratie gehen auf die Bühne
Der Rechtsjournalist Maximilian Steinbeis zeigt in seinem Stück „Ein Volksbürger“, wie leicht eine Partei wie die AfD die 75 Jahre alte Demokratie des Landes umkrempeln kann
Ein Lächeln, das so süß ist, dass es dein Herz zum Schmelzen bringt, ein Händedruck, der so ernst ist, dass du ihm ein Bier ausgeben möchtest, und ein Blick aus tiefliegenden Augen, der so intensiv ist, dass du um die Zukunft deiner Kinder zitterst: Dominik Arndt hat die eleganten Bewegungen und die furchteinflößenden Blicke, die typisch für die rechten Politiker sind, die in ganz Europa an die Tore der Macht klopfen. Insbesondere der schlaksige und jugendliche Schauspieler, der Arndt spielt, Fabian Hinrichs, sieht Björn Höcke sehr ähnlich, dem thüringischen Politiker, den viele als den Chef der aufstrebenden deutschen Partei Alternative für Deutschland (AfD) sehen, wenn auch nur dem Titel nach.
Aber was Arndt so beunruhigend macht - und das Stück „Ein Volksbürger" zu einem der interessanteren Theaterbeiträge zum aktuellen politischen Moment - ist, dass er überhaupt nicht wie ein Rechtsaußen spricht.
Am Vorabend seines erdrutschartigen Sieges in einem ungenannten deutschen Bundesland verspottet der politische Führer seine Gegner nicht, sondern schwört, sich auf das zu konzentrieren, „was uns verbindet, und nicht auf das, was uns trennt“. Die drei Säulen seiner Bewegung sind nicht Themen wie Einwanderung, LGBT+ oder Anti-Zeitgeist, sondern „Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung“. Seine Partei ist nicht die AfD, sondern das fiktive Demokratische Bündnis, das die Rechtsextremen auf 10 % der Stimmen zurückgedrängt hat: Wenn er nicht wäre, erinnert er das Publikum an einer Stelle, „wissen Sie, wer stattdessen hier oben sitzen würde“.
Die Bedrohung, die Arndt für die liberale Demokratie darstellt, ist jedoch real, und sie ist sogar noch gefährlicher, weil sie so heimtückisch ist. Am Ende von „Ein Volksbürger" hat die Demokratische Allianz einen Putsch inszeniert, ohne einen Schuss abzufeuern.
„Natürlich ist jemand wie Björn Höcke ein Rechtsextremist und extrem gefährlich“, sagt Maximilian Steinbeis, ein Rechtsjournalist, der das Stück geschrieben hat. „Aber ich glaube nicht, dass die radikale Rhetorik die entscheidende Zutat ist, die einen autoritären Populisten ausmacht. Eine Verfassung kann nicht nur von den politischen Rändern aus gekippt werden, sondern auch aus der Mitte heraus.“
Unter der Regie von Nicola Hümpel erzählt „Ein Volksbürger" die Geschichte von Arndts Aufstieg anhand einer Reihe von Pressekonferenzen - inszeniert Ende September im Berliner Medienzentrum, wo sich die echte deutsche Regierung dreimal pro Woche den Medien stellt. Der deutsch-französische Kultursender Arte zeigt das Stück jetzt kostenlos mit englischen, französischen, spanischen, italienischen und polnischen Untertiteln.
Die Stärke des Stücks liegt gerade darin, dass es nicht auf bekannte Sprachbilder über den Aufstieg des Faschismus zurückgreift, sondern genau hinschaut, was Populisten an der Macht tatsächlich tun. Seit 2009 ist Steinbeis Herausgeber von verfassungsblog.de, einem Forum für Debatten rund um die Rechtsordnung demokratischer Staaten, das überwiegend auf Englisch geschrieben ist.
„Von Anfang an konzentrierten wir uns auf den autoritären Populismus, vor allem auf die Art, die wir in Ungarn entstehen sahen“, erinnert er sich. „Führer wie Viktor Orbán behaupten, es gäbe so etwas wie ein wahres und authentisches Volk, das sich von der politischen Elite und ihrem 'System' unterscheidet. Und sie verfolgen erfolgreich eine Strategie, bei der jede wichtige politische Entscheidung diese Behauptung untermauert und sie realer erscheinen lässt.“
Im Falle Ungarns sei es Orbán gelungen, eine besonders schwache Verfassung, die mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament geändert werden kann, seinem Willen zu unterwerfen. „Uns hat aber interessiert, ob die gleiche politische Strategie auch in Ländern mit einer vermeintlich stärkeren Verfassung wie Deutschland funktionieren könnte.“
2019 veröffentlichte Steinbeis in der Süddeutschen Zeitung einen Essay mit dem Titel „Der Volkskanzler“, in dem er ein Szenario durchspielte, in dem ein populistischer deutscher Regierungschef das Verfassungsgericht mit einem dritten Senat aus acht zusätzlichen, politisch loyalen Richtern aufbläht und dann dessen Befugnisse zur Einschränkung der Exekutive einschränkt.
„Bis dahin war man in Deutschland der Meinung, wir haben seit 75 Jahren diese tolle Demokratie durch unser Grundgesetz, und das Verfassungsgericht wird sie schützen“, sagt Steinbeis. „Aber wir haben gesagt: Seht her, das Verfassungsgericht ist eigentlich ganz leicht zu knacken.“
Der Aufsatz und das gleichnamige Theaterstück sorgten für Aufsehen und brachten eine politische Bewegung ins Rollen, die die aufgezeigten Schlupflöcher schließen sollte. Es wird erwartet, dass ein neues Gesetz zur Verhinderung von „Court-Packing“-Szenarien noch vor Ende des Jahres den deutschen Bundestag passieren wird, trotz des kürzlichen Scheiterns der Koalitionsregierung von Bundeskanzler Olaf Scholz.
„Ein Volksbürger" ist eine Aktualisierung desselben Gedankenexperiments, basierend auf einem Szenario, das derzeit wahrscheinlicher erscheint. Im September errang Höckes AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen einen historischen Stimmenanteil von 32 %. Als der neue Landtag drei Wochen später zusammentrat, nutzte sie ihre neue Stärke, um die parlamentarischen Abläufe systematisch zu blockieren. „Die AfD inszenierte ihr eigenes Theaterstück, um den Eindruck eines vom 'System' frustrierten 'Volkswillens' zu verstärken.“
In dem Stück bewegt sich die Demokratische Allianz auf ähnlich hinterhältige Weise. Arndt weist die Ausländerbehörden seiner Bundesländer an, Asylanträge nicht mehr zu bearbeiten, und schiebt die Schuld auf die Bundesregierung: Migranten erhalten keine Leistungen mehr und landen obdachlos auf der Straße. Als Berlin einen Sonderbeauftragten entsendet, um die Einhaltung der Bundesvorschriften durchzusetzen, wird ihm der Zugang zu den Büros der rebellierenden Landesregierung verwehrt. „Das Volk hat mich gewählt und nicht irgendeinen Pudel“, schimpft Arndt in einer Pressekonferenz.
„Ein Volksbürger" ist sogar noch beunruhigender als „Ein Volkskanzler", denn anders als Steinbeis' vorheriges „Was wäre wenn?“-Szenario bietet es keine einfachen Lösungen an.
„Ich wollte nicht auf ein weiteres Schlupfloch hinweisen, sondern einen dynamischen Prozess aufzeigen und das Publikum aus seiner Selbstzufriedenheit aufrütteln“, sagt Steinbeis. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir eine Verfassung bauen können, die so wasserdicht ist, dass sie nicht missbraucht werden kann. Verfassungen schützen nicht die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft muss die Verfassung schützen.“