„Der Barbier von Sevilla“ feiert triumphale Premiere
Der Jubel war gewaltig: Selten wurde eine Premiere an der Staatsoper so begeistert aufgenommen wie jetzt „Der Barbier von Sevilla“ in der Inszenierung von Nicola Hümpel. Warum bloß? So sieht ein Triumph aus: Schon nach den meisten Arien war der Applaus in der Staatsoper ungewöhnlich lebhaft, aber nun, am Ende dieser neuen Version von Rossinis „Barbier von Sevilla“, gibt es kein Halten mehr. Nicht nur im Parkett haben sich die meisten Zuschauer von ihren Sitzen erhoben – bis in den dritten Rang hinauf gibt es im ausverkauften Saal ausgiebigen Beifall und Ovationen im Stehen. So groß ist der Jubel nur selten. Eigentlich sollten also nicht die geringsten Zweifel am durchschlagenden Erfolg dieser Premiere bestehen. Und doch lässt sich das Gefühl nicht abschütteln, dass hier große Oper nur in einer Minimalversion serviert wurde. Selbstliebe am Oberarm Dabei funktioniert viel an diesem erstaunlichen Abend. Vor allem wird gut gesungen. Hubert Zapiór ist ein sportlich-eleganter, schön selbstverliebter Figaro, der mit ansteckender Begeisterung sein tätowiertes Porträt auf dem eigenen Oberarm küssen kann. Sonnyboy Dladla glänzt als Graf Almaviva mit einem schlanken, klar fokussierten Rossini-Tenor, und Nina van Essen ist mit ihrem jugendlich-beweglichen Mezzosopran eine ebenso bezaubernde wie durchsetzungsstarke Rosina. Dass man die Stimmen der Sänger kaum vom Charakter der Figuren trennen kann, ist ein Verdienst der Inszenierung von Nicola Hümpel. Sie bringt dem Publikum die Akteure so nah, wie das in einem großen Opernhaus überhaupt möglich sein kann: In gestochen scharfer Nahaufnahme auf der Videowand am hinteren Bühnenende bleibt kein Wimpernschlag unbeobachtet. In den riesig vergrößerten Gesichtern, die hier meist zu sehen sind, spiegeln sich die kleinsten Gefühlsregungen. Übermächtige Bilder Allerdings beherrschen diese oft intimen Bilder von der ersten Minute an übermächtig das Geschehen. Dass die Sänger, die auf der großen Leinwand erscheinen, zeitgleich leibhaftig auf der von Oliver Proske ordnungsgemäß mit Türen und Balkon versehenen Bühne stehen, erscheint dagegen unwichtig. Schließlich wenden sich die Akteure ohnehin so gut wie nie frontal an das Publikum – sie singen von den Zuschauern weggedreht in eine der Seitenbühnen, auf denen die Kameras installiert sind. Woher die Figuren eigentlich kommen, und wohin sie nach ihren Arien gehen, kann man da schnell übersehen. Auf der Videowand sind sie ja immer schon da. So wird aus der Handlung eine Bilderfolge, und aus der temporeichen Komödie mit ihren vielen Überraschungsauftritten und -abgängen, mit ihren verrückten Volten und ihrer Situationskomik eine fast elegische Reihe von Psychogrammen. Der unverstellte Blick ins menschliche Angesicht, der hier zelebriert wird, könnte auch zum „Deutschen Requiem“ passen. In Rossinis turbulenter Oper aber wirken die ruhigen Videos manchmal wie eine angezogene Handbremse im Fluchtauto: Die Wärme entsteht an der falschen Stelle. Rasender Stillstand Besonders auffällig ist das in den Szenen, in denen das Stück selbst einen Schritt von der Handlung zurücktritt, wie etwa im Finale des ersten Aktes. Die Musik beschleunigt hier die so weit, dass ein rasender Stillstand entsteht, in dem die Figuren wie im Leerlauf um sich selbst kreisen. Doch die gnadenlose Mechanik, die sie für einen magischen Rossini-Moment gefangen hält, bleibt in der Nahaufnahme fast ohne Effekt: Man sieht, wie die Kolben sich bewegen, aber nicht, dass der Wagen steht. Der Dirigent Eduardo Strausser kann diese Macht der Bilder nur gelegentlich durchbrechen. Gleichwohl spielen die Musiker des Staatsorchesters unter seiner kontrollierten Leitung präzise, elegant und – vor allem die Schlagzeuger – mit viel Klangfantasie. Originell ist auch die Rezitativ-Begleitung am Hammerklavier: Francesco Greco leistet sich kleine raffinierte Freiheiten, indem er Hochzeitgedanken mit einem Hauch „Lohengrin“-Brautchor oder die Griesgrämigkeit von Doktor Bartolo mit hoffnungslos schrägen Töne illustriert. Ein Albtraum in Beige Frank Schneiders macht aus dem so eingeführten Bartolo eine saftige Charakterstudie: ein Mann als Albtraum in Beige (Kostüme: Esther Bialas). Auch die von Daniel Miroslaw als Don Basilio angeführten Nebenfiguren sind gut besetzt, ebenso der Chor, der seine wenigen Auftritte sehr kultiviert absolviert. Die große Qualität des Ensembles ist dabei nicht nur zu hören, sondern gleichsam als Nebenprodukt immer wieder auch in den Videos zu sehen: In den Gesichtern spiegeln sich unter den Rollenmasken auch die Emotionen der Sänger – ihre Begeisterung für die Partie, ihre Nervosität vor einer Koloraturenreihe, ihre Freude über das Gelingen und den Applaus danach. So distanziert sich die Inszenierung zum Stück verhält, so nah kommt sie den Menschen, die es aufführen: Das ist die doppelte Besonderheit dieses „Barbiers“ – und wohl auch das Geheimnis seines außergewöhnlichen Erfolgs. • Die nächsten Vorstellungen sind am 22. und 24. Januar, am 2., 7., 15. und 21. Februar sowie am 7. und 15. März.
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