Die Faszination des Bösen

Radialsystem. Nico & the Navigators zeigen eine Kammerversion von „Empathy for the Devil“


Um „Sympathy for the Devil“ warben einst die Rolling Stones. Mick Jagger porträtierte den Teufel als melancholische Gestalt, die bei allem bösen Tun viel Wert auf Stil legt. Der Jaggersche Teufel taucht verwandelt auch bei Nico and the Navigators auf. „Natürlich kommt ‚Sympathy for the Devil‘ vor, allerdings in der Version von Udo Lindenberg“, verrät die Regisseurin Nicola Hümpel. „Angenehm, erraten Sie, wer ich bin? Was Sie irritiert, ist mein Handeln ohne Sinn“, lautet der Refrain der Lindenberg-Version. Der Performer Martin Clausen, einer der Ur-Navigatoren, covert den Altrocker in einer Sprechgesang-Variante.


Ursprung des Teufelsstücks von Hümpel & Co. war allerdings der Teufelspakt des „Freischütz“ von Carl Maria von Weber. „Zum 200. Geburtstag des Konzerthaus Berlin und zum 200. Geburtstag der Uraufführung des ‚Freischütz‘ in diesem Gebäude sollte ‚Empathy for the Devil‘ herauskommen. Dann machte uns aber Corona einen Strich durch die Rechnung. Wir konzipierten die große Fassung für Orchester mehrfach um. Jetzt haben wir eine Kammerversion für das Radialsystem“, erzählt Hümpel. Elemente des „Freischütz“ sind weiterhin enthalten. Natürlich geht es um die siebte Kugel, jene also, die ferngelenkt ist vom Bösen und stets das Ziel trifft, das der Teufel sich auserkoren hat und nicht das, das der Schütze anpeilt. Auch andere Opernauskopplungen gibt es, die „Dämon-Arie“ von Anton Rubinstein etwa, Kompositionen von Claudio Monteverdi und Benjamin Britten. Bis in die heutige Popmoderne, etwa mit Radiohead und Jeff Buckley, wird der musikalische Bogen geschlagen.


Inhaltlich will Hümpel das Böse neu fassen. „Es scheint mir überholt, darüber nachzudenken, ob der Mensch im Grunde eine Bestie ist. Das Diabolische liegt meist – siehe Klimawandel, siehe Corona – eher im kollektiven Weggucken und Opportunismus als im bösen Handeln eines Einzelnen“, meint sie. Mit einer solchen Motivik ist „Empathy for the Devil“ sehr zeitgenössisches Musiktheater. Drei herausragende Sänger:innen hat Hümpel gewinnen können: Die zum Ensemble der Mailänder Scala gehörende Mezzosopranistin Anna-Doris Capitelli, der viel in den USA und Großbritannien auftretende Tenor Ted Schmitz und der Bariton Nikolay Borchev, der an den großen Häusern in New York und Paris, Madrid, München und Berlin gesungen hat. Das Orchester wurde auf Kammerensemble-Größe mit sechs Musiker:innen gebracht. Als Beleg für die Freude an der Probenarbeit darf man werten, dass der Dirigent Jonathan Stockhammer, den es in der Kammerversion ja nicht braucht, sich jetzt den E-Bass umschnallt, um weiter dabei sein zu können.

Oliver Proske, seit fast 25 Jahren Bühnenbildner der Navogators-Inszenierungen und bekannt für überwältigende Bauten, hält sich bei dieser Produktion im analogen Bühnenbau zurück. Stattdessen hat er viel Zeit und Programmierarbeit ins Videosystem gesteckt. Das ist in dieser Form sehr ungewöhnlich für die darstellenden Künste. „Wir arbeiten mit mehreren sich selbst bewegenden Kameras, die sich auf Position fahren. Sie werden über eine Software gesteuert. Es funktioniert wie ein Lichtpult“, erklärt Proske.


Für die Performer:innen bedeutet dies, sich noch präziser zu verabredeten Positionen zu bewegen. Den künstlerischen Mehrwert sieht Hümpel darin, dass die Gesichter zu bewegten Landschaften werden. „Man hat so viele Detailmöglichkeiten. Die Spieler:innen spüren das auch am Feedback. Man kann mit einer Augenbrauenbewegung ein ganzes Publikum bespielen“, schwärmt Hümpel. Manchmal kann das Böse also im Zucken einer Augenbraue zum Ausdruck kommen – überprüfen kann man das ab 16. Dezember im Radialsystem.

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