Die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft

Bevor der Teufel einen Strich durch die Rechnung machte, hatte die Auseinandersetzung mit einem Klassiker des deutschen Musiktheaters bereits begonnen. „Das Konzerthaus lud uns ein, zu dessen 200. Jubiläum eine freie Produktion zum Pakt mit dem Teufel zu entwickeln“, erinnert sich Nicola Hümpel, Regisseurin und künstlerische Leiterin des Ensembles Nico and the Navigators. Das Haus war im Sommer 1821 mit der Uraufführung des „Freischütz“ von Carl Maria von Weber eröffnet worden. „Mit verschiedenen Werken zum Teufelsthema haben wir mit dem Dirigenten Jonathan Stockhammer einen Abend für großes Orchester konzipiert – eine fantastische Zusammenarbeit.“ Die Idee war es, dabei Fragmente von „Webers Freischütz“ in einer neu adaptierten Fassung zu integrieren.

Coronabedingt kam jedoch alles anders: Die Aufführung sollte weiterhin mit dem Konzerthausorchester stattfinden, aber nicht mehr vor Publikum. Der Abend wäre im Internet übertragen worden. „Wir mussten nun komplett filmisch inszenieren“, sagt Hümpel. Doch auch diese Vorarbeit war für die Katz. „Letztlich fiel auch das Orchester weg, wir konzipierten eine Kammerfassung, für die wir alles uminszenieren mussten. So erhielt das Schauspiel einen stärkeren Anteil.“


Vom „Freischütz“ blieb die Wolfsschlucht-Szene übrig. Der Protagonist gießt darin die sogenannten Freikugeln. Sechs Stück dieser magischen Munition treffen in jedem Fall ihr Ziel. Doch mit der siebten holt sich der Teufel ein menschliches Opfer. „Dies spiegelt unser derzeitiges Verhal- ten beispielsweise beim Klimawandel wider“, erläutert Hümpel. „Wir ignorieren unsere Verantwortung, aber irgendwann holt uns dies ein. Irgendwann trifft diese siebte Kugel.“ Die Frage nach Ursprung und Wirkungsweise des Bösen ist der Kern von „Empathy for the Devil“. Das Konzept des Dämonischen hat etwas enorm Verführerisches. „Denn es lenkt davon ab, dass wir Menschen in unserer Passivität oder im stillen Einverständnis stets Mitverantwortung tragen, die wir am liebsten einfach weg delegieren möchten.“ Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Mensch zwar gerne negative Folgen seines Handelns ausblendet, aber dabei nur selten wirklich Lust verspürt, anderen bewusst Schaden zuzufügen. Fleischkonsum ist ein Beispiel. So wird das Elend der Tiere so lange verdrängt, bis man bewusst wahrnimmt, welche Grausamkeiten in den Schlachthöfen passieren – was nicht selten zu einer Veränderung der Ernährungsgewohnheiten führt. „Man hat in den Schützengräben früherer Kriege zahlreiche Gewehre gefunden, die mehrfach geladen, aber nie abgefeuert wurden. Die Hemmschwelle, jemanden von Angesicht zu Angesicht zu töten, hebelt auch der Krieg nicht per se aus“, betont Hümpel. „Menschen verhalten sich kooperativ, das hat sich als evolutionärer Vorteil erwiesen.“ Natürlich gibt es eine Faszination für das Böse – doch deren Verklärung in der Literatur, im Film oder in der Musik habe wenig mit der Wirklichkeit zu tun. „Selbst bei Massen- oder Serienkillern gibt es eine Vorgeschichte. Dabei hat sich gezeigt, dass häufig empfundenes Leid und erlittene Traumata mit dem Ausüben von Gewalt kompensiert werden.“


Die verschiedenen Aspekte spiegeln sich in Texten des Abends wider, dazu zählen beispielsweise ein Shakespeare-Sonett, Auszüge aus Rutger Bregmans „Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit“ sowie von Nicola Hümpel im Dialog mit Navigators für den Abend geschriebene Passagen. Der musikalische Reigen schlägt eine Brücke vom Frühbarock in den zeitgenössischen Pop: Henry Purcell trifft auf David Bowie, Carl Maria von Weber auf die Rolling Stones. In deren emblematischen Song „Sympathy For The Devil“ ist das Teuflische klar menschlich konnotiert – und hat stets politische Auswirkungen. So heißt es: „I shouted out / Who killed the Kennedys? / When after all / It was you and me.“


Die Menschen haben es somit in der Hand, nicht nur ihre Gesellschaft, sondern auch ihre Zukunft zu gestalten. Dazu gehört aber der Blick, der das Miteinander einschließt. „Demokratie beinhaltet Freiheit, aber ebenso Verantwortung. Der Glaube, stets immer nur machen zu können, was man will, führt auf den Irrweg. Wir waren in der Lage, Pandemien zu verursachen. Somit sind wir auch in der Verantwortung, unsere Gesellschaft wieder zukunftsfähig zu machen.“ Für Impfgegner und Menschen, die die einfachsten Hygieneregeln nicht einhalten können, hat Hümpel kein Verständnis. „Sie zerstören die Kultur, sie riskieren Leben und sind nicht solidarisch.“

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