Ein Haus im Höhenflug

Nach einem Jahrzehnt ist die Stuttgarter Oper wieder zur besten des Jahres gewählt worden. Da fällt es ein bisschen schwer zu denken, dass in zwei Jahren die künstlerische Leitung in wechseln soll. Rückblick auf eine erfolgreiche Saison. In den siebziger Jahren hat Jossi Wieler, am Bodensee groß geworden, in Tel Aviv studiert und am Habima-Nationaltheater gearbeitet; man denkt da oft gar nicht dran. Das deutsche Theater kannte er vor allem aus Theaterzeitschriften, in denen zu dieser Zeit, als Botho Strauß noch Redakteur war und noch nicht National-Schriftsteller, vom Theater so gesprochen wurde, als sei es, mindestens stellvertretend, die Welt. Also: für sich und ganz im Ernst. Es war die Zeit von Peter Zadek, Peter Stein, Hans Neuenfels und Pina Bausch, und „genau dahin, wo die waren“, hat Jossi Wieler einmal erzählt – passenderweise saßen wir im Turmstüberl vom Münchner „Valentin-Musäum“, „da wollte ich auch hin“. Das hat dann soweit geklappt für den Fremden in der Fremde, bei dem man von Anfang an, also seit Bonner Schauspielzeiten im Werkstatttheater, das Gefühl nicht losgeworden ist, als wolle er, mit anlassgemäß wechselnden Mitteln, eigentlich immer nur eine Geschichte erzählen, weil es vielleicht – von der möglicherweise alle Konflikte überwindenden Liebe – auch nur eine Geschichte gibt, die das Erzählen immer wieder lohnt: die von Macht und Ohnmacht, die von Herr und Knecht. Wielers Bilder haben diese Qualität: dass sie einen durchs Leben begleiten, denken lassen, leiten manchmal auch. Zum Beispiel sein „Amphytrion“, eine Reckübung, gleichzeitig frei und getreu nach Heinrich von Kleist, die er 1985, vor mehr als dreißig Jahren, höchst eigenwillig turnen ließ durch Robert Hunger-Bühler – tatsächlich am Gerät und auf der Bühne, die damals bereits von Anna Viebrock gestaltet wurde. War das ein Gott, wie er schwang und redete und flog! Und war das eine Analyse, wie er, schwingend, die Sprache umrundete. Um doch wieder auf dem Boden zu landen, wo der Gehilfe Sosias gezwiebelt wurde, wie man nicht anders sagen kann. Im Luftballon über der Zeit Wielers gewagte Turnhallenakrobatik von dazumal kam einem wieder ins Gedächtnis, als man, buchstäblich Regiebauklötze staunend, in der Aufführung von Vincenzo Bellinis „I Puritani“ saß. Denn glasklar erkennbar wurde wieder einmal der vom Co-Regisseur Sergio Morabito noch bestärkte Wille quer zu denken, anders zu sein. Aber nicht aus Daffke oder weil einem nichts Besseres einfiele, sondern aus konsequenter Überlegung heraus. Es wurde also das Stück nur deshalb zum zeitgemäßen Stück (über Tugendterror, Religionsmissbrauch, Kadavergehorsam etc.), weil es in seiner Zeit belassen wurde, Jahrhunderte her. Und doch war es heutig, beklemmend nah in seiner Dramatik, die Wieler/Morabito nur selten ironisch aufbrachen. Wie, um mal Luft zu holen. Dem in der Luft liegenden Terror des 17. Jahrhunderts korrespondierte in dieser besonderen Spielzeit die gleichzeitig mit biblischer Wucht wie virtuos mit Video-und Live-Cam arbeitende Regiearbeit von Kirill Serebrennikov, der „Salome“ von Richard Strauss vor allem als Niedergang der Politgang um Herodes (hier: Herr und Knecht in einer Person) auffasste: nicht als schwüle, sondern als böse Parabel. Und, bitte: kein Mitleid. In Serebrennikov wie auch in Christoph Marthaler („Hoffmanns Erzählungen“) und Nicola Hümpel („Reigen“) hatte sich die Dramaturgie in der zurückliegenden Saison Widerparts gesucht, die sie braucht, um in der eigenen Bildersprache weiterhin souverän unterwegs zu sein. Alle drei legten Inszenierungen vor, wie sie der ehemals Hausregisseurin Andrea Moses nie in dem Maße gelungen sind: eigen verfasst, aber eben nicht davon besessen, eine Aktualität zu behaupten, die genau das nicht mehr ist, wenn sie überdemonstrativ daherkommt. Gut möglich, dass die Intendanz das Werbebild für die neue Spielzeit nicht von ungefähr gewählt hat: ein ganzes Großes Haus, mit lauter motivierten Leuten drin, hebt da nämlich in der Form eines Luftballons ab. Wo die Erde ist, wissen sie. Aber ein bisschen rauf wollen sie schon auch noch, wenn es geht. Ein Pfund, mit dem man wuchern kann Das Paradebeispiel „Salome“, eine Vorstellung, aus der die Menschen herauskamen, als hätten sie jeweils gerade frisch gelernt, das Wort Oper zu buchstabieren, lehrt im Übrigen, dass die Guten oft sehr nahe liegen, beziehungsweise arbeiten. Auf die Schnelle ersatzhalber gebucht wurde da nämlich der Coburger Opernchef Roland Kluttig, auf dessen „Parsifal“ in dieser Saison (in Coburg!) man gespannt sein darf. Kluttig ist ein Stuttgarter Gewächs aus der Lothar-Zagrosek-Zeit, dem damals schon die Dramaturgin Juliane Votteler (nunmehr Opernchefin in Augsburg) bescheinigte, er sei nicht nur „Transmissionsriemen“, sondern bereits groß in Eigenverantwortung. Wie groß die jetzt ist, hat Kluttig unter Beweis gestellt, als er Strauss so gut dosiert unter Strom setzte, dass schier die Wände wackelten in der Stuttgarter Oper. Neben dem GMD Sylvain Cambreling, der noch die nächsten zwei Spielzeiten unter der Intendanz von Jossi Wieler bestimmen wird, wären weitere Kapellmeister vom Kaliber Kluttig also sehr erwünscht und auf jeden Fall im Sinnes des Werkstattgedankens. Apropos, Werkstatt, Wände – und ja: wird die Auszeichnung zum „Opernhaus des Jahres“ durch die Zeitschrift „Opernwelt“ in dieser Hinsicht etwas einbringen? Dass jemand von der Politik ausgeguckt würde, der nichts Anderes machte, als sich drum zu kümmern, dass Pläne, so vorhanden, dann aber auch rasch in die Tat umgesetzt (wo es prinzipiell schon nach Zwölf ist)? Und dass, überhaupt, vielleicht mal versucht wird, mit einem solchen Pfund wie es nun mal eine solche Auszeichnung darstellt, zu wuchern? Deutschland hat, was man vielleicht nicht vergessen sollte, einige Großstadtopern, die kaum oder gar nicht mehr in Funktion sind: In Köln wird, wie in der Berliner Linden-Oper, scheint‘s ewig gebaut. Frankfurt, wo ein hervorragend geführtes Haus steht, sieht sich noch nicht zu kalkulierenden Umbaumaßnahmen gegenüber. Stuttgart hat, ein Blick ins geradezu pompös geförderte und geführte München reicht vielleicht als Warnung, eine Menge zu verlieren, und zwar mehr als einen Titel: sein Publikum.

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