Eine Theatertruppe im Zeitalter des Internets

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Epoche der Internet-Suchmaschinen und elektronischen Routenplaner auf die Bühne durchschlagen würde. Auch die Wahrscheinlichkeit, das dieser Impuls eher aus der frei flottierenden Szene als aus den fest verankerten Stadttheatern kommen könnte, schien verhältnismäßig hoch. Doch dass sich ein Ensemble gleich demonstrativ „Nico and the Navigators“ nennen und diesen Namen dann zum Programm für eine Raumvermessung mit scheinbar konservativen Koordinaten erheben würde, war beim besten Willen nicht absehbar. Seit ihrem Debüt aber ist eben diese unverhoffte Gruppe um die studierte Architektin Nicola Hümpel ganz selbstverständlich und außerordentlich erfolgreich präsent. Dem Bauhaus Dessau, wo nach dem Vorläufer „DenkVorGang“ 1998 auch der eigentliche Erstling „Ich war auch schon mal in Amerika“ aus der Taufe gehoben wurde, bescheren sie mittlerweile den einzigen konstanten Aktivposten auf der ansonsten dahinsiechenden Schlemmer-Bühne. Und den Berliner Sophiensaelen, wo sie spätestens im vergangenen Jahr mit „Lucky Days, Fremder“ heimisch wurden, sicherte ihre aktuelle Produktion „Eggs on Earth“ neben ausverkauften Vorstellungen jüngst auch die Teilnahme am Freischärler-Festival „Impulse“. Da nimmt es kaum wunder, dass sich die 1967 in Lübeck geborene Nicola Hümpel vielen Begehrlichkeiten ausgesetzt sieht und neben Loyalitätsbekundungen inzwischen auch diverse Dementi in ihrem Repertoire führt. Namentlich den zumindest räumlich nahe liegenden Vergleich mit Sasha Waltz and Friends wehrt sie gerade darum ab, weil sie deren dramaturgischen Mastermind Jochen Sandig auch nach dem Wechsel der Compagnie in die Schaubühne noch immer zu ihren Freunden und Förderern zählen kann. Die Ursache für solche auf dem feuilletonistischen Mittelweg daherhinkenden Vergleiche liefert Hümpels Bildertheater, das seine suggestive Kraft auch der funktionalen Ästhetik von Oliver Proskes Bühnenbildern verdankt, wegen seiner Inkompatibilität freilich selbst. Denn mit Hilfe einer eigentümlichen Arbeitsmethode, die Außenstehenden wie eine Mischung aus therapeutischer Selbsterfahrungsgruppe und assoziativer Weltaneignung erscheinen mag, kreieren Nico und ihre Navigatoren schwer beschreibbare Szenenfolgen, deren unaufgeregtem Charme man sich kaum entziehen kann. An der Schnittstelle von Design und Bewusstsein beobachten sie ihre eigene Generation, die ihre existenzielle Verunsicherung durch demonstrative Selbstinszenierung kaschiert. Dass all diese überzeichneten Porträts mit dem nötigen Ernst, aber auch mit einer souveränen Heiterkeit präsentiert werden, lässt sie endgültig zur Ausnahmeerscheinung unter all den flügelschlagenden Aufregern in ihrer Nachbarschaft werden. Die Kehrseite dieser Sorgfalt liegt allerdings in vergleichsweise weitläufigen Produktions-Intervallen, die ein besonderes Maß an Disziplin und Selbstausbeutung erfordern. Da Nicos Navigatoren den Slow-Motion-Rhythmus ihrer Aufführungen auch bei deren Erarbeitung praktizieren, müssen sie sich auf dem schnelllebigen Markt der Novitäten alljährlich neu etablieren. Ein Ausweg aus dieser Misere, die von allen Beteiligten mit Nebenjobs kompensiert wird, wäre eine kontinuierliche Förderung du die Verbesserung der bislang unbefriedigenden Probensituation. Der Impuls der „Impulse“ könnte auf diesem Weg genauso hilfreich sein wie die zunehmende Medienpräsenz, die das Ensemble demnächst auch durch eine erste eigene Filmproduktion stäken möchte. Doch bei der Seriosität ihres Anspruchs ist auch hier kein schneller Sprint zum nächstbesten Ziel zu erwarten: Nico and the Navigators, deren Name so passgenau seinen Platz in einer Pop-Kultur zu behaupten scheint, werden wohl auch weiterhin den nächsten, wohl überlegten Schritt einem unbedachten Sprung in die launischen Hitparaden vorziehen.

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