FLEISCH und GEIST

Zwei neue Musiktheaterproduktionen der Berliner Kompanien Novoflot und Nico and the Navigators


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Dass zumindest die Geschichte der Geistlichen Musik in Deutschland anders verlaufen wäre, wenn es nicht die drei großen „S“ gegeben hätte - das indes darf als gesicherte Erkenntnis durchgehen. Ohne die Arbeiten von Johann Hermann Schein, Samuel Scheidt und Heinrich Schütz hätte vermutlich auch die Musik des großen Johann Sebastian Bach anders geklungen; wie genau? Das können wir nicht sagen. Dass Schütz aber bei Bach bedeutende Spuren hinterließ: unzweifelhaft. In der Neuproduktion von Nico and the Navigators, der neben Novoflot zweiten Berliner Musiktheaterkompanie mit internationaler Ausstrahlung,

wurde nun des 350. Todestages des Quasi-Monteverdi-Schülers Heinrich Schütz gedacht – und schon der Titel verweist auf zwei für das Oevre von Schütz relevante Topoi: „Fleisch und Geist“. Im Programmbuch findet sich gleich vorne das entsprechende Gedicht von Georg Christian Lehms, es kann als poetisch-theologischer Leitfaden für den Abend dienen: „Fleisch und Geist stimmt nicht zusammen; / Wenn wir einen Teil verdammen / Kriegt der andre Herz und Kraft. / Doch weil Blut und Fleisch verschafft / Dass wir uns mit Angst vermählen/ Muss man nur den Geist erwählen.“

 

Regisseurin Nicola Hümpel nimmt dieses Gedicht zum Anlass für eine musik- und tanz-theatrale Séance, in deren Verlauf die beiden scheinbar unvereinbaren „Elemente“ zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass die Regie deutlich Partei für das eine oder andere ergreifen würde.

 

Hümpel zeigt - mit äußerst feinem und liebevollem Blick für die Unebenheiten, will sagen: für die Schwächen – Menschen in dem unauflösbaren Zwiespalt. in dem sie (vermutlich ein Leben lang) stecken: zwischen erotischem Begehren und der Begierde nach Wissen, zwischen der Lust am Körper und der Lust an der Sprache. Oliver Proske hat ihr dafür eine raffiniert-variable Bühne in die Elisabethkirche in Berlin-Mitte gesetzt, die mal als offener Raum, mal als konkrete Spielfläche genutzt wird, und auf der auch die Musiker sitzen und vorwiegend sakrale Stücke von Schütz und dessen Zeitgenossen spielen, zum Teil mit einer betörenden Virtuosität, wie etwa in der Rosenkranz-Sonate Nr. 10 „Die Kreuzigung“ von Heinrich Ignaz Biber. Was Elfa Rún Kristinsdóttir, die überdies als musikalische Leiterin des Abends fungiert, dort auf ihrer Barockvioline auf die Saiten zaubert, ist wirklich mehr als beeindruckend. So auch die Einlagen der Tänzerinnen und Tänzer (Florian Graul, Yui Kawaguchi und Martin Buczko) in ihrer Mischung aus Verrenkungs- und Verschlingungsakrobatik, die dazu noch dramaturgisch-szenisch Sinn ergibt. Das Fleisch verstrickt sich gleichsam in sich selbst, der Geist kann es bei bestem Willen nicht retten. Und der liebe Gott auch nicht. Dazu ist einzig die Musik imstande, zumal wenn sie in diesem intimen Raum so zart und einfühlsam vorgetragen und so anmutig, apart und unschuldig gesungen wird. Ob es ein Zufall ist, dass das schönste Stück des Abends – das Wiegenlied „Oblivion soave“ aus „L‘incoronazione di Poppea“ – aus der Feder von Claudio Monteverdi stammt?

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