Glücklich durchgeschüttelt

Es hat geknallt und geglitzert: der Berliner Saisonauftakt macht euphorisch – trotz der düsteren Prognosen, die dem Theater zuletzt gestellt wurden. Auch, oder gerade wegen schweren Stoffen in Krisenzeiten: Grund für ein Loblied.


Die Prognosen waren zuletzt ja eher mäßig, was die Zukunft des Theaters betrifft. Aber jetzt hat in Berlin der Spielzeitauftakt so gerumst und geglänzt, dass ich optimistisch, ja fast euphorisch bin. Gut, Berlin ist noch nicht Deutschland oder repräsentativ für das (deutschsprachige) Theater. Aber wenn kurz hintereinander zwei Saisoneröffnungen nahtlos vom Ende des Stücks in Standing Ovations übergehen, finde ich das angesichts der vielen Totenklagen der letzten Monate erleichternd – und eine Kolumne wert.


Aktuelle Theaterwucht


Standing Ovations zum Beispiel in der Schaubühne, wo es die Reflexion über ukrainische Theatermacher:innen im Krieg "Sich waffnend gegen eine See von Plagen" von Stas Zhyrkov und Pavlo Arie gab. Ein Abend, der sich von lakonischen Überlegungen und persönlichen Berichten von der Front in das Innerste einer Künstlerseele schraubte, die sich am Widerspruch aufreibt, dass sie nicht töten und Krieg führen will, aber Kollegen eben genau das tun – im Sinne der Verteidigung der eigenen Freiheit. Theater am Puls der Zeit (und der täglichen Newsfeeds). Am Ende sprangen die Leute im Publikum auf und applaudierten begeistert. Darunter viele Ukrainer:innen, die sich hier, im Berliner Exil, offenbar besonders berührt von den Fragestellungen dieses Abends fanden. Aber auch ich, irgendwie unentschieden, ob ich mich hier von Kriegspropaganda (als die ich das streckenweise auch empfand) im Theater nicht lieber distanzieren oder doch von dieser Zerrissenheit berühren lassen wollte, ging durchgeschüttelt wie schon lange nicht mehr aus dem Theater.


Ein paar Tage später dann der größte Begeisterungssturm, an den ich mich überhaupt erinnere: in der Volksbühne, wo Florentina Holzingers Stück "Ophelia's Got Talent" herauskam. In knapp drei Stunden wurde mit derartiger Verve, Kraft und Theaterwucht die Schichten eines zementierten Frauenbildes aufgesprengt, dass ich am nächsten Morgen noch immer ganz benommen war. Auch, weil ich dadurch selbst in den Schleudergang eigener Bilder und Erfahrungen geraten war. Die eigene Sozialisation als Frau war wie eine zweite Spur den ganzen Abend mitgelaufen. Manchmal hat sie heftige Gegenreaktionen, aber am Ende ein Gefühl großer Befreiung produziert. Auf der Bühne versetzten Frauen, meist mit nichts als ihrer Haut bekleidet, sexualisierte Aufladungen weiblicher (verdinglichter) Körper in einen Status der Unschuld zurück, und mit atemberaubenden Bildern zwischen Artistik, Archaik, Schmerz und überbordender Lust am Theater brachten sie ganze Klischee- und Vorstellungs-Cluster zum Einsturz. Ein Theaterfest! Das Fest, das am Ende der Vorstellung dann auch im Publikum losbrach, war unglaublich.


Aus der Pandemie herausgeschält


Man konnte aber auch ins Maxim Gorki Theater ("Mother Tongue") oder ins Deutsche Theater ("Der Einzige und sein Eigentum") gehen – überall herausragende Arbeiten und begeistertes Publikum. Im Dock 11 zeigten Nico and the Navigators und Chris Ziegler beim Festival "Humandroid" ihre Performance "Du musst Dein Leben rendern!", die aus zwei Etüden für drei Tänzer:innen bestand. Sie vermaßen das Feld zwischen virtuellem und analogem Raum, virtuellen und den eigenen Körpern – und öffneten Denkräume. Forschungsergebnisse aus digitalen Labs, die während der Pandemie entstanden, aus der sich das Theater gerade wieder erhebt. Und zwar mit Macht – wenn man auf diese Stichproben einer Berliner Theaterwoche blickt.


Die mäßigen Prognosen und Klagen, zuletzt über ausbleibendes Publikum, decken sich also nicht mit meinen jüngsten Erfahrungen und dem damit verbundenen Zuschauerinnenglück. Zufall? Glück? Wird es so weitergehen? Das ist schwer zu sagen. Auch, weil noch niemand wirklich weiß, wie dieser Coronawinter wird. Fest steht: Die Spielzeit hat toll begonnen und ich habe den schönsten Beruf.

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