Glückssuche mit Nico and the Navigators
"Du lebst nur einmal. Aber wenn du es richtig machst, ist einmal genug", heißt es an einer Stelle in "Wo du nicht bist". Nur wie lebt man "richtig"? Bedeutet Leben Leiden? Lernen? Glücklichsein? Ist vielleicht erst derjenige glücklich, der nicht mehr lebt? Fragen, mit denen sich Menschen seit eh und je beschäftigen. Auch Nico and the Navigators liefern keine Antworten - wenn sie es täten, wäre Skepsis angesagt. Aber Fragen zu stellen, ist bereits eine Kunst für sich. Und in dieser Kunst beweisen die Stars der Offtheater-Szene absolute Virtuosität. Auch jetzt wieder, in ihrem Stück über das Glück, der mit 17 Mitspielern bislang größten Produktion der Truppe. Seit Jahren werden Nicola (Nico) Hümpel und ihr multinationales Ensemble überregional herumgereicht. Gerade fand die Uraufführung von "Wo du nicht bist" bei den Bregenzer Festspielen statt. Jetzt läuft das Stück in den Berliner Sophiensälen, der eigentlichen Heimstatt der 1998 am Bauhaus Dessau gegründeten Kulttruppe. Die Suche nach dem Glück, sie findet in Oliver Proskes grauer Hügellandschaft statt. Ein Teil des Bühnenbilds ist eine überdimensionale Spieldose, die von einem Darsteller mittels Kurbel in Gang gesetzt wird. Der Deckel öffnet sich und fördert ein kleines Orchester zu Tage. Franui, die Osttiroler Musikgruppe, mit denen die Navigators erstmals zusammen arbeiten, spielt Schubert - mit dem Instrumentarium einer Dorfkapelle. "Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück", einer Zeile aus Schuberts Lied "Der Wanderer" stand Pate für den Titel des Stücks. Und so wie Andreas Schett und seine Musicbanda Motive aus Schuberts Liederschatz verfremden, verknappen, und erweitern, so ähnlich bearbeiten Nico and the Navigators verschiedene Glücksauffassungen - von Aristoteles über Camus bis Thomas Bernhard. Regisseurin Nicola Hümpel macht mit ihrer Gruppe Assoziationstheater. Das gilt für die Entwicklung der Produktion, die aus Improvisationen zwischen Darstellern, Licht, Ton und Raum entsteht. Aber auch für die Rezeption: Die verschiedenen Situationsbilder sollen beim Zuschauer eine Art Kopfkino schaffen und Denkräume schaffen. So führen denn viele Spuren zum Glück. Requisiten wie ein Ball, ein Eimer, ein Schlitten mögen für eine glückliche Kindheit stehen. Der Apfel, der über die Bühne rollt und auch mal mit dem Golfschläger traktiert wird, für die Vertreibung aus dem Paradies. Ein dickes Buch, in das Anne Paulicevich fast hineinkriecht, für die Erkenntnis. Mijoko Urayama wirft mit Sojabohnen um sich, eine asiatisches Frühlingsritual. Man schaut in Karten oder in die Sterne, lässt Ballons zerplatzen. Einer sieht das Glück in der Verzweiflung, ein Verzweifelter im eigenen Begräbnis - weil dann die anderen traurig sind. Das Ganze spielt sich ab im rasanten Miteinander zwischen Slapstick und Pose, wüster Tollerei und traurigem Innehalten - wobei völlig überraschende Stimmungswechsel den amüsanten Teil des Abends ausmachen. Ganz ungeschoren kommt der Zuschauer nicht davon. Sätze wie "Du arbeitest und arbeitest, nur weil dir das Talent zum Glück fehlt" können wehtun. Glück scheint nun mal nicht lebbar. Und weil wir nach dem großen Glück trachten, versäumen wir oft das kleine Glück. Zu Letzterem zählt mitunter ein Theaterabend.
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