Ich glaube, meine Orgel pfeift

Whisky in der Tafelhalle – und das bei der ION, wie geht denn das zusammen? Sehr gut, wie sich beim Auftritt der Musikperformer Nico and the Navigators und des Instrumentalensembles Urban Strings zeigte. Beide führten in einem inszenierten Konzert das Publikum in die schottischen Highlands und ließen die höfische Musik von Henry Purcell, Nicola Matteis, Francesco Corbetta und Thomas Mace mit der Folk-Musik der noch heute gepflegten schottischen Fiddler-Kultur – u. a. des berühmten Niel Gow zusammenfließen. Gemeinsames Lösungsmittel: der Highland-Whisky, den dort schließlich christliche Mönche einst erfanden und dessen so geistiges wir flüchtiges Naturell trefflich im Konzerttitel eingefangen wurde. Als Angels’ Share gilt jener Anteil des Whiskys, der bei der Lagerung verdunstet. Er gehöre den Engeln heißt es, vielleicht hatte deshalb die so unnahbar wie fragil wirkende Tänzerin Nadine Milzner in ihrem Goldkleid einen großen Fächer eingearbeitet, den sie wie einen Englesflügel ausbreiten konnte. Ihre anmutig zögerlich Bewegungspoesie bettete die künstlerische Leiterin Nicola Hümpel in eine mit Situationskomik à la Christoph Marthaler angereicherte Rahmenhandlung. Ein schottischer Fiddler (Georg Kallweit), der mit tragbarem Plattenspieler nach Gehör spielt, und ein Barockensemble geraten erst aneinander, lassen letztlich aber im gemeinsamen Musizieren die leidig Trennung zwischen „ernster“ und „unterhaltender“ Musik obsolet werden. Ein schlacksiger und redseliger junger Engländer (Adrian Gillott) spürt seinem schottischen Herzen nach, nebenbei flirtet er linkisch mit der charmanten Sängerin Julla von Landsberg. Die Idee dahinter: Der neue ION Cher Folkert Uhde will in der im Berliner Radialsystem V zuerst gezeigten Performance die starren Rituale eines herkömmlichen Konzerts aufbrechen. Die augenzwinkernde Mischung aus Komik und Poesie der Spielszenen soll die Konzentration schärfen und einen emotionaleren Zugang zur Musik schaffen. Das funktioniert sehr gut: Etwa wenn von Landsberg mit ihrem herrlich weich timbrierten Barocksopran hingebungsvoll Purcells „Music for a while“ singt während sie von Gillott ehrfürchtig umklammert wird. Oder wenn drei Geiger beim Frost-Stakkato des Cold Song als bedrohliche Schattengestalten and Landsberg heranrücken. Diese körperlicher Qualität lässt auch das Spiel des Barockensembles plastischer wirken, herausragend in Präsenz und Bogenführung agiert hier die Violinistin Mayumi Hirasaki. Gillott breitet derweil eifrig Landkarten und Highland-Lyrik aus, zitiert Shakespeare und Edmund Spenser, macht sich über Kelten-Klischees lustig und schließt an ein riesiges mit Luft gefülltes Sitzkissen eine Orgelpfeife an, womit eine absurd-komische Brücke zwischen Dudelsack-Klang und dem zentralen Instrument der ION geschlagen wäre. Am Ende gibt es Whisky für alle, auch fürs Publikum, was – Puristen mögen es verzeihen – als eine Art der Kommunion körperlicher und intensiver wirkt als so manches herkömmliche sakrale Konzert. Der treibende Rhythmus der Pub-Musik reißt alle mit.

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