Leise Stimmen
Franz Schubert wie ich ihn – und auch andere Klassikfreunde – noch nie auf der Bühne erlebt haben. Da ich eher ein konservativer Klassik-Zuhörer bin, hatte ich ein wenig Angst vor zu großen Dekonstruktionen dieser Werke. Doch dieser Abend war frisch, lustig und befriedigte all meine Bedürfnisse klassische Musik zu hören. Der Abend hat durch seine Körper- und Bilder-Performance Schuberts Lieder und Musik gefiltert und verstärkt. Musik gebraucht nur den einen Sinn. Durch das Hinzufügen der visuellen Sinne wird diese gewohnte Wahrnehmung der akustischen Erfahrung erweitert und vervollständigt. Die Mimik der Gesichter zog mich am meisten an: Roland Barthes sagte einmal „Das Gesicht repräsentiert einen absoluten Zustand des Körpers, den man weder aufrechterhalten noch überspielen kann“. Dies ist nicht zu verwechseln mit persönlichem oder körperlichem Ausdruck. Die Gesichter der Sängerinnen und Schauspielenden richteten sich mit ihren Nahaufnahmen ans Publikum. Muskelveränderungen, Mundbewegungen und Emotionen der Augen waren deutlich zu erkennen. Dies zwang mich, an dem Prozess, der durch das Singen hervorgebracht wird, teilzuhaben. Er war voller Wunder und Überraschungen. Die Kleidung signalisierte Menschen auf der Durchreise, wahrscheinlich weil „Die Winterreise“ einen großen Anteil des Abends ausmachte. Die warme Kleidung und die Schals ließen vermuten, dass die Wärme des Körpers mit einer kalten Außenwelt konfrontiert ist, was eine besondere Spannung im Szenen-Raum herstellte. Eilige Menschen, die hin und her wandern, sowie große intime Porträts schaffen eine Atmosphäre der Angst oder der Ruhe, manchmal gibt es auch ein Schmunzeln über die Situationen. Die bemerkenswerte Tänzerin Yui Kawaguchi gab einem das Gefühl, sie tanze auf den Tasten des Klaviers. Auch gibt es Füße, die etwas bizarr in Gesichter wandern. Aber auch die Ironie scheint wichtig, denn diese Bilder lassen Kopf und Körper eins werden. Das Quartett, das Klavier und die Gitarre waren hervorragend, „Der Tod und das Mädchen“ hatte ein wunderbares Ende. Am Ende ist man fast erschöpft von so viel Sinneseindruck. Alles in allem eine große Leistung und eine wunderbare Erfahrung für den Zuschauer. Es gab genug Raum auch für eigene Leerräume und Fantasien.
<< Zurück zur News-Übersicht