Lügen, denen man nur zu gern glaubt

„The whole Truth about Lies“ von Nico and the Navigators im Radialsystem


Der Abend wirkt wie eine logische Fortsetzung, obwohl die Unterschiede kaum größer sein könnten. Ende September schickte das freie Theaterkollektiv Nico and the Navigators Fabian Hinrichs als Vorsitzenden einer populistischen Partei namens „Demokratische Allianz“ ins Haus der Bundespressekonferenz und spielte durch, welche Folgen der Wahlsieg eines solchen Mannes haben könnte. Die Lüge als probates Mittel politischer Kommunikation trat schon dort in allen denkbaren Erscheinungsweisen auf, bei „The whole Truth about Lies“, einem rauschhaft-eklektischen Musiktheater-Abend, steht sie im Zentrum - mit großer kulturhistorischer Brennweite, aber doch immer auch auf die Gegenwart bezogen.


Das klingt abstrakt. Konkret geht es um die Lügen der Bilder und um die Frage, was authentisches Sprechen eigentlich ist oder sein könnte. Was wir sehen, wird auf zwei faszinierenden Wegen unglaubwürdig und widerspricht sich selbst: Zum einen nutzt das singende, tanzende und schauspielernde Ensemble eine Illusionstechnik, mit der der britische Erfinder John Henry Pepper bereits 1862 für Aufsehen sorgte. Ein riesiger, halb transparenter und auf 45 Grad gekippter Spiegel reflektiert, was auf dem Boden der Bühne geschieht, und zwar so, dass es aussieht, als würde es mitten im Raum stehen oder schweben. Und zum anderen verwendet Nicola Hümpels Inszenierung die Verfremdungseffekte, die durch die neuen Bildgeneratoren mit Künstlicher Intelligenz möglich geworden sind. Auch sie werden auf den Spiegel projiziert und wirken so plastisch wie Hologramme, obwohl sie es nicht sind.


In beiden Fällen liegt klar zutage, wie der optische Effekt erzeugt wird, es ist ein Spiel mit perfekter Information. Und doch ist der Eindruck überwältigend: Man glaubt ihm, weil man es will. Die Frage nach dem Wesen der Lüge wird hier als Problem der Beziehung zwischen Sender und Empfänger erfahrbar. Und als solches ist sie in der Kunst ausgiebig behandelt worden, in ganz wunderbaren Musikstücken von Gioachino Rossini bis John Lennon, von Georg Friedrich Händel bis Leonard Cohen. Sie wechseln hier fließend einander ab, unterbrochen von Tanzchoreografien und kurzen Spielszenen, in denen die Alltagslüge zum Thema wird: im Small Talk, in der Wiederbegegnung eines getrennten Paars, in einer Abschiedsrede am Grab oder auch in der flammenden Ansprache des Demagogen. Ein kluger, vielschichtiger und sehenswerter Abend.



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