Mahlermania: Nico and the Navigators – Porträt

Der Name klingt nach einer Popband: Nico and the Navigators. Doch Nico ist keine singende Sirene, sondern der Spitzname der Theaterregisseurin Nicola Hümpel. Die gebürtige Lübeckerin, die zunächst an der Hochschule für bildendende Künste in Hamburg und später am Bauhaus Dessau bei Achim Freyer studierte, bemerkte schon früh, dass sie nicht nur in einer Disziplin zu Hause ist. Noch in Dessau gründete sie 1998 zusammen mit dem Bühnenbildner Oliver Proske, ihrem Lebensgefährten, die Gruppe Nico and the Navigators – und brachte das Ensemble schnell auf Erfolgskurs. „Wir sind Radikalpoeten. Wir haben keine Angst, Poesie auf die Bühne zu bringen – wovor sich heute viele scheuen“, erklärt Nicola Hümpel und es klingt fast wie das Manifest der Gruppe. Als Nico and the Navigators 1999 mit „Lucky days, Fremder“ erstmals in den Berliner Sophiensaelen auftraten, rieben sich die Zuschauer verwundert die Augen. Denn hier wurde eine neue, ungemein sinnliche Theatersprache formuliert, die Sprache, Bewegung, Mimik, Klang, Licht, Bühnenbild und Kostüm als gleichwertige Elemente verband. Nicola Hümpel, die Grenzgängerin zwischen den Künsten, ersann ein Bildertheater von absurdem Witz und schräger Poesie. Ihre Darsteller, die einen ganz unterschiedlichen professionellen Hintergrund besaßen, verwandelten sich unter ihrer formenden Hand in „Ganzkörperpoeten“, die sich beherzt in alle möglichen Schräglagen katapultierten und dabei immer mit einer choreografischen Präzision agierten. Wie hellwache Träumer balancieren sie oft am Rande des Abgrunds – selten wurde das Scheitern mit solcher Anmut zelebriert wie bei Nico and the Navigators. Wie die Enkel von Buster Keaton und Jacques Tati muten sie an, wenn sie sich etwa in den Kampf mit einer Schuhputzmaschine stürzen, die plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Die abstrakten Gehäuse von Oliver Proske werden schnell zur raffinierten Multifunktionsfalle. Sie geben ihren Zweck nicht preis, verändern sich aber im Gebrauch. Doch auch für ihre eigenwilligen, bisweilen auch abstrusen Formulierungskünste sind die Navigators berühmt. Es sind Spiele fast ohne Worte, die sie ersinnen, doch die wundersamen Sätze mit ihrer verdrehten Dada-Logik muten wie verschlüsselte Botschaften an. Sie stecken den Horizont des Nicht-Verstehens ab und stiften eine Art hellsichtiger Verwirrung. So verrücken Nico and the Navigators die Wahrnehmung von Welt, bringen den Sinn zum Tanzen – und das mit einer spielerischen Leichtigkeit, einem zarten Spott und einer sanften Melancholie, was das Publikum immer aufs Neue begeistert. Nicola Hümpel versteht es, die Eigenart ihrer Akteure wirkungsvoll in Szene zu setzen. „Ich studiere meine Navigators bis ins Innerste“, sagt sie lächelnd. Mit ihren verrätselten Raum-, Klang-, Bewegungs- und Sprachbildern will Hümpel „Denklandschaften“ eröffnen. Dabei kreisen ihre Stücke immer um die Erkundung menschlicher Verhaltensweisen. Alltagsrituale werden verfremdet, Vorgänge ins Artifizielle und Absurde getrieben. Die grafische Klarheit des Bühnenbilds kontrastiert mit den schwebenden Zuständen. Nico and the Navigators zelebrieren ein Theater der Langsamkeit, das von der Kunst der Reduktion und des Weglassens lebt. Für seine Szenencollagen hat das Ensemble eine spezielle Schnitttechnik entwickelt. „In der bildenden Kunst hat mich besonders der Schnitt interessiert. Bei einer Skulptur suche ich den Moment der größten Spannung und mache einen messerscharfen Schnitt. Damit gebe ich dem Betrachter die Möglichkeit, die Linie in seiner Vorstellung selbst fortzuführen.“ Auf die koproduzierende Fantasie des Zuschauers ist das Theater von Nico and the Navigators angewiesen. Es legt immer neue Fährten aus – und verzichtet auf jedes vorschnelle Erklären. Mit Lust navigieren die Akteure dabei ins Ungewisse. Früher kam es schon mal vor, dass die Regisseurin einem Darsteller vor Beginn der Vorstellung ein Zettelchen mit einer knappen Anweisung zusteckte. Die Navigators waren immer schon Experten für diese Form des Freispiels, in denen eine hohe Konzentration, ein klares Rhythmusgefühl und eine stupende Geistesgegenwart gefordert ist. Heute sind Nico and the Navigators nicht nur eine der originellsten freien Gruppen aus Berlin – sie haben sich auch internationalen Ruhm erworben, vor allem mit ihren Musiktheater-Produktionen. Dass sie sich seit einigen Jahren verstärkt dem Musiktheater zuwenden, ist kein Zufall. „Damit kehre ich gewissermaßen zu meinen Anfängen zurück“, sagt sie lächelnd. Nicola Hümpel hat in Lübeck ein musisches Gymnasium besucht und das Geigespielen erlernt. In ihrem Elternhaus kam sie früh mit klassischer Musik in Berührung, denn ihr Vater ist ein leidenschaftlicher Wagnerianer. Es ist vor allem die Macht des Gesangs, von der sie schwärmt: „Er kann uns ins Hier und Jetzt entführen und uns etwas zeigen, das uns abhanden gekommen ist. Das ist es, was mich an Sängern reizt.“ 2006 arbeiteten Nico and the Navigators für Wo Du nicht bist erstmals mit der Musicbanda Franui zusammen; die Produktion ließ die Musikszene aufhorchen. Es folgte mit „Obwohl ich Dich kenne“ ein kleineres Projekt für vier Schauspieler, eine Violine und ein Piano. Die Pasticcio-Oper Anaesthesia, die 2009 bei den Händel-Festspielen in Halle uraufgeführt wurde, entwickelte sich rasch zum Erfolgsstück. Ein Jahr später, im Rahmen der Händel-Festspiele 2010 präsentierte Nicola Hümpel ihre gefeierte Orlando-Inszenierung an der Oper Halle. Im Jahr 2011 widmete sich das Ensemble der Petite messe solennelle von Rossini. Die inszenierte Version der Messe, die beim Kunstfest Weimar uraufgeführt wurde, geriet zum Triumph. Die Aufführung bewies, dass Nico and the Navigators ihre musikalischen Mittel erweitert haben, sie begeisterte auch durch ihre eigenwillige Auslegungskunst. Zwischen Kyrie und Sanctum werden in der Petite messe solennelle auf höchst vergnügliche Weise Glaubensfragen abgehandelt: Welche Rolle spielt Religion heute? Welche Ersatzrituale schafft sich der Mensch, der nach Höherem strebt als dem bloßen Lebenszeitverwalten? Wenn Nico and the Navigators nun im November die Uraufführung Mahlermania herausbringen, ist das in zweifacher Weise ein Debüt. Denn zum ersten Mal in seiner 15-jährigen Geschichte kooperiert das Ensemble mit einer städtischen Berliner Bühne. Mit der Mahler-Hommage weiht die Kompanie zugleich einen neuen Spielort der Deutschen Oper ein: Die „Tischlerei“. Die ehemalige Schreinerei wurde zu einer Experimentierbühne ausgebaut. Hier sollen sich Oper, Tanz, Performance und Theater neu begegnen. Der Auftakt mit Nico and the Navigators ist verheißungsvoll, denn die Gruppe hat mit ihrer Spiellust und ihrem Stilgefühl für frischen Wind im Musiktheater gesorgt. Nicola Hümpel ist stolz auf die Unabhängigkeit ihres Ensembles – nur so ist ein kontinuierlicher Forschungsprozess möglich, als den sie ihre Arbeiten begreift. „Wir haben bislang fast alle Angebote von Opernhäusern abgelehnt, weil wir unsere Arbeitsweisen nicht aufgeben wollten“, erklärt sie. Doch diesmal stimmen die Bedingungen. Außerdem reizt es sie, ein anderes Publikum anzusprechen. „Der Theaterblick ist nicht der einzige gültige für unsere Arbeit“, betont sie. Und die Musikliebhaber schätzt sie als ein sehr sinnliches Publikum. Sie werden ihre Arbeitsweisen auch bei dieser ersten Koproduktion mit der Deutschen Oper beibehalten und weiterentwickeln, betont Nicola Hümpel. Den fünf Navigators, den Schauspielern Patric Schott und Annedore Kleist und den Tänzern Anna-Luise Recke, Ioannis Avakoumidis und Philipp Repmann stehen drei Sänger zur Seite: der Bariton Simon Pauly und die beiden Mezzosopranistinnen Katarina Bradic und Clémentine Margaine, die alternierend singen werden. Sänger, Schauspieler und Tänzer verkörpern unterschiedliche Facetten von Gustav Mahler und von Alma, der Geliebten, Frau und Muse. „Wie es in unserer Arbeit Tradition ist, werden wir gemeinsam forschen – dieses Forschen besteht neben der Auseinandersetzung mit Mahlers Leben darin, seine Musik in unseren Körpern heute erklingen zu lassen und zu schauen: Welche Gefühlszustände und Bilder ruft die Musik in uns wach? Welche Ausdrucksweisen entstehen? Alle Produktionen von Nico and the Navigators werden gemeinsam entwickelt – daran hat sich bis heute nichts geändert. Angeleitete Improvisation nennt Nicola Hümpel ihre Methode, die sie mittlerweile an verschiedenen Instituten, etwa der renommierten Otto Falckenberg Schule oder der August Everding Schule in München, lehrt. Oft kreisen die Gruppenimprovisationen um Themen- und Fragenkomplexe wie zum Beispiel Abschied, Freundschaft, Arbeit, Dinge oder Glauben. Beim gemeinsamen Suchprozess darf jeder losspinnen – und oftmals verfallen die Navigators in einen kreativen Rausch, in dem sie sich gegenseitig inspirieren. Für die klassisch ausgebildeten Sänger stellt die Zusammenarbeit mit Nicola Hümpel oftmals eine Herausforderung dar. Denn sie sollen nicht nur ihre Gesangspartie abliefern, sie sind in den kreativen Prozess von Anfang an mit eingebunden und werden auch darstellerisch ganz anders gefordert. Dabei ermutigt Hümpel die Sänger, ihren eigenen körperlichen Ausdruck zu finden. Sie zwängt sie nie in einen Rollentyp, ermuntert sie aber, sich von fesselnden Konventionen zu befreien. Bewährt hat es sich mittlerweile, dass Darsteller und Sänger jeden Morgen zusammen ein Körpertraining absolvieren. „Ich habe beobachtet: Wenn der Körper authentisch ist, dann ist auch die Stimme stark,“ sagt Hümpel. Mit Mahlermania erweitern Nico and the Navigators abermals ihren künstlerischen Radius. Sie nähern sich dem bedeutenden Komponisten an, indem sie sich vor allem auf sein Liedschaffen konzentrieren – und erkunden zugleich die Höhenflüge und Abgründe einer ganzen Epoche. „Was ich an Mahler spannend finde, ist seine Zerrissenheit. Er hängt an alten Werten, sieht aber schon die Moderne kommen. Die Frage stellt sich: Wieviel Selbstverrat kann man betreiben und wo muss man sich selbst treu bleiben?“ Die Lieder für Mahlermania hat Nicola Hümpel zusammen mit dem Dramaturgen Jörg Königsdorf zusammengestellt. Natürlich werden die Romantik-Idyllen des „Wunderhorns“ und die intimen „Rückert-Lieder“ erklingen. Sie beginnt den Abend jedoch mit „Abschied“ aus „Das Lied der Erde“ und schaut vom Ende her auf das Leben Mahlers zurück. „Beim ,Abschied‘ merkt man dass Mahlers Musik nicht mehr drängt, nicht mehr kämpft, nichts mehr erzwingt, sie ist geerdet und der Komponist scheint wieder bei sich selbst angekommen zu sein“, erklärt Hümpel. Doch eine biografische Abhandlung, ein Stationendrama hat sie nicht im Sinn. „Wir lassen zunächst die Kraft seiner Musik wirken und suchen dann den Grund für diese Kraft.“

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