„Man denkt ruhiger“ – Die Theater- und Opernregisseurin Nicola Hümpel über ihren Rückzugsort in der Uckermark

Vor mehr als 20 Jahren gründeten Nicola Hümpel und ihr Lebensgefährte Oliver Proske das Musiktheaterprojekt Nico and the Navigators. Auch wenn Berlin ihr Zuhause ist – geprobt wird auch im uckermärkischen Melzow. Cornelia Jentzsch hat Nicola Hümpel dort getroffen. Frau Hümpel, wie sind Sie und Ihr Lebensgefährte in die Uckermark gekommen? Das ist jetzt schon gut zehn Jahre her. Wir haben uns in diese Landschaft verliebt. Wahr- scheinlich weil Oliver aus Süd- deutschland kommt und ich aus Norddeutschland – und die Uckermark mit ihrer leicht hüge- ligen Endmoränenlandschaft die Mischung von beidem bietet. Ich finde es hier betörend schön. Das ist genau der Ort, an dem wir uns gut regenerieren und konzentrieren können. Nicola Hümpel Haben Sie erst die Landschaft und dann das Haus entdeckt oder war es umgekehrt? Wir waren regelmäßig hier in der Region bei Freunden in Groß Fredenwalde, sind herum- gefahren und haben sehr viele Ortschaften angeschaut. Irgend- wann hatte es uns der kleine spe- zielle Ort Melzow angetan. Hier gab es diese Gaststätte, die niemand haben wollte, weil sie so hässlich und groß war und unbeheizbar schien. Sie stand ewig auf einer Immobilien-Internetseite, bis wir uns ihrer angenommen haben. Über die große Fläche sind wir dankbar. Wir nutzen sie sowohl als Kostümlager und Werkstatt, wir feiern hier Feste und können vor allem gut arbeiten. Wie anders als in der Stadt arbeiten Sie hier auf dem Land? Unser Berliner Büro liegt praktisch in dem Mietshaus, in dem wir auch wohnen. Das heißt, Arbeit und Privatleben sind eng verzahnt. Ein gemeinsam arbeitendes Paar ist immer gefährdet, sich zwischen den Aufgaben zu verlieren. Wir sind ja nicht nur Künstler, sondern auch Produzenten unserer eigenen Company. In Berlin werden wir von unseren Mitarbeitern stark in Beschlag genommen. Es geht sehr viel um Büroarbeit, Logistisches, Technisches, Tour- und Finanzplanung, Öffentlichkeitsarbeit, Künstlerbetreuung – das alles bearbeitet sein will. In der Uckermark können wir uns sehr gut zurückziehen, wenn es um die Recherche von Inhalten geht. Hier können wir gemeinsam über Projekte – also wie wir im Dialog zwischen Bühnenbild und Regie arbeiten wollen – nachdenken. Inspiriert Sie die Landschaft? Auf jeden Fall. Man denkt ruhiger, besonnener, essentieller, das heißt auch existenzieller. Dazu kommt, dass diese Region mehr und mehr bewohnt wird von interessanten Menschen, die nicht nur aus unserem eigenen Arbeitsbereich Theater kommen. Spannende, geistvolle und liebenswerte Menschen, mit denen wir uns über Politik, Gesellschaft und aktuelle Geschehnisse gerne austauschen. Wenn man sich nur im eigenen Kreis, also sehr fachspezifisch um sich selbst dreht, ist das eher eine Gefahr. Gibt es nicht in einer großen Stadt wie Berlin weitaus mehr Begegnungsmöglichkeiten? Zum Beispiel bei Ihren spektakulären Musiktheateraufführungen? Es macht einen Unterschied, ob ich mich im Foyer für 20 Minuten beim Glas Wein unterhalte oder für ein Gespräch diese endlose Ruhe und Zeit wie in Melzow nutze. Man kann hier auf der Terrasse durchaus mal drei Stunden diskutieren, vor allem wenn Besuch verweilt und übernachtet. Aber das Wesentliche ist die Natur. Betrachtet man sich im Verhältnis zur Natur, verschieben sich die Wichtigkeiten und damit die übertriebene Bedeutung, die man oft sich selbst und seiner eigenen Arbeit zumisst. Angesichts der Natur und der Vergänglichkeit relativiert sich vieles. Die Natur ähnelt dem Theater auch ein bisschen. Beim Gärtnern kann man keine Pflanze zwingen, in eine bestimmte Richtung zu wachsen. Man freut sich eher über das, was gedeiht und blüht, und fördert und unterstützt es. Gedeiht etwas nicht so gut, lässt man seinen Ehrgeiz irgendwann los und akzeptiert. So ähnlich arbeite ich auch mit meinem Theaterensemble, ich erzwinge nichts, ich lasse die sich zeigenden Blüten einfach gedeihen. Vielleicht ist dieses Verfahren, das wir seit 20 Jahren anwenden, unser Geheimrezept. Wir nutzen die Stärken der Künstler und legen im Vorfeld wenig fest. Man sagt immer, auf dem Land gibt es ein geringeres Kulturangebot als in der Stadt – wie finden Sie das Kulturangebot in Melzow? Wir haben in Melzow mit den tollen Lesungen und Sommerkonzerten ein Kulturprogramm, das man ganz anders wahrnimmt als die Angebote im kulturell überfüllten Berlin. Die Begeisterung wird geteilt, und es gibt anschließende Diskussionen. Das heißt, hier wird mit einer anderen Aufmerksamkeit verarbeitet. Woran arbeiten Sie gerade? In den Weihnachtsferien habe ich in Melzow drei Stücke vorbereitet. Das eine ist „Der Barbier von Sevilla“, ich arbeite an einer neuen Opernfassung, die in diesem Jahr produziert wird. Die Premiere ist im Januar 2020 in Hannover. Für das zweite Projekt begannen gerade die Proben, es ist unser Totentanzprojekt „Niemand stirbt in der Mitte seines Lebens“. Es geht um Ekstase, Rausch und Totentänze in der Musik. Wir wählten Musik aus, die dieses Thema behandelt – von Alter Musik bis Pop. Dazu kommen Texte und schauspielerische wie performative Elemente, es sind wieder zwei Tänzer dabei. Gezeigt wird das Stück im April im Konzerthaus in Berlin. Außerdem werden wir im September mit „Der Verrat der Bilder“ im Berliner Kolbe-Museum eine Installation mit vier Akteuren zum 100. Bauhaus-Jubiläum zeigen.

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