„Mit aller Härte bestrafen und remig… äh, zurückführen!“

Zum 75. Jubiläum der Bundespressekonferenz zeigen Fabian Hinrichs und Nico and the Navigators, was passiert, wenn eine populistische Partei an die Macht kommt und macht, was sie will. Die bundesdeutsche Realität ist allerdings noch gruseliger.


Die ersten Hochrechnungen erscheinen auf dem Bildschirm in der Bundespressekonferenz: Linke, BSW und Grüne fliegen aus dem Landtag, die SPD liegt im einstelligen Bereich und die CDU kommt immerhin auf knapp 20 Prozent. Klarer Wahlsieger im Freistaat ist mit satten 44 Prozent die DA. DA – das steht für Demokratische Allianz, aber auch für den Namen ihres Gründers, Dominik Arndt, neuer Ministerpräsident.


Der kommt noch am Abend seines Wahlsiegs überraschend nach Berlin, um sich den Fragen der Journalist:innen zu stellen, die er bislang gemieden hat. Noch bevor er das Haus der Bundespressekonferenz betritt, bekommt der TV-Journalist Theo Koll das erste Interview. Der echte Theo Koll, versteht sich. Auch das flimmert nun über den Bildschirm im Pressekonferenzraum.


Fabian Hinrichs: smarter und aalglatter Populist


Und dann betritt er den Raum: Dominik Arndt alias Fabian Hinrichs – federnder Gang, smarter Anzug, abgeklärt-charmantes Lächeln. Statt Fragen zu beantworten, reißt er allerdings lieber sein Parteiprogramm ab: „Wir sind sozial, wir sind demokratisch, wir sind alternativ, wir sind liberal. Wir sind auch national, aber das hat nichts mit rechts zu tun oder links, sondern mit der Mitte, mit einer Leidenschaft für unser Land.“


Das Publikum dieses Theaterstücks mit dem sprechenden Titel „Ein Volksbürger“ sitzt, wo sonst die Presse sitzt – dazwischen vier Schauspieler:innen in der Rolle von Journalist:innen, die nun im Laufe eines Jahres und einer Reihe von sich immer weiter zuspitzenden Pressekonferenzen unbequeme Fragen stellen. Denn wo die Demokratische Allianz Geld für Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung ausgeben möchte, da muss auch gespart werden. „Kann es sein, dass sich Ihre Sparmaßnahmen bereits jetzt auf den Vollzug des Ausländerrechts erstrecken?“, fragt eine forsche Journalistin.


Plötzlich heißt es: Putsch der Bundesregierung!


Die Vorwürfe erhärten sich. Der Freistaat verschleppt Asylverfahren, verweigert Aufenthaltstitel, so dass Geflüchtete ohne Grundsicherung im wahrsten Sinne auf der Straße sitzen. Und verteidigt genervt sein Vorgehen mit dem vermeintlichen Schutz seiner Wähler:innen: „Wer bei uns im Freistaat einen Gottesstaat ausrufen möchte oder widerlichste, antisemitische Aktionen fährt, der wird bei uns mit aller Härte bestraft und auch remi… äh, zurückgeführt.“


So der Seitenhieb auf die AfD und die Remigrationsdebatte, den Maximilian Steinbeis hier eingefügt hat. Er ist nicht nur Autor des Theaterstücks, sondern auch Chefredakteur des Onlinemediums „Verfassungsblog“, auf dem er die momentanen Querelen im Thüringer Landtag lange vorausgesehen hat. 

Im Stück spielt er nun durch, was passiert, wenn die Exekutive die Judikative nicht anerkennt. Die DA-Partei verweigert der Bundesregierung Zugang zu den Akten. Bis die Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht zwar Recht bekommt – dieses Recht nun aber mit der Bundespolizei durchsetzen muss. Was nicht für gute Schlagzeilen sorgt. Von Putschversuchen seitens der Bundesregierung ist plötzlich die Rede.


Realer Fall: Markus Söder und das Dieselfahrverbot


Wer diese dreiste Missachtung des Gerichts von einem Ministerpräsidenten für übertrieben hält, der braucht, auch das zitiert der Abend, nur nach Bayern zu schauen. Wo Markus Söder 2012 schlicht das Dieselfahrverbot ignorierte, zu dem der Freistaat verurteilt worden war.


Die Inszenierung von Nicola Hümpel und der Gruppe Nico and the Navigators legt Wert darauf, ein realistisches Szenario darzustellen – inklusive Namensschilder und Wasserflaschen für die Gesprächspartner. Trotzdem spielt der Abend auch mit der politischen Farce, Fabian Hinrichs überzeichnet und ironisiert – was dem zweistündigen Spiel durchaus guttut.


Im Dienste der politischen Aufklärung


Ein Theaterabend, der weniger im Dienst der Kunst steht als im Dienst der politischen Aufklärung – wogegen nichts zu sagen ist. Dass sein Inhalt weniger wachzurütteln vermag, als er beabsichtigt, liegt schlicht daran, dass die Realität noch gruseliger ist. Denn wo hier der populistische Spuk mithilfe der Gerichte nach einem Jahr vorbei ist (die Partei liegt am Boden, der Ministerpräsident ist nach Italien geflohen), muss sich die Wirklichkeit auf ein mindestens vierjähriges Debakel einstellen. Im Thüringer Landtag. Aber nicht nur dort.

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