Moderne Trauer ist schön

„Nico and the Navigators“ berufen den „Familienrat“ im Forum Freies Theater Düsseldorf. Die Welt ist schön. Angenehm, bunt, hell, sauber und von praktischer Emotionalität. Hier ist alles gut. Hier ist alles Design. Wir haben Bänke, die auch Tische sein können, Tische, die Duschkabinen waren, Wände, in denen sich Garagentore öffnen, die zu Spitzgiebeln aufsteigen. Haben Schränke, in denen man sich verstecken kann, um sofort entdeckt zu werden. Denn hier ist kein Platz für Abgründe. Hier sind ja wir, die Familie. Bei uns wird übrigens Entschuldigung gesagt. Sieht es nicht schön aus, wie unser trauriger Kleiner da stundenlang still auf der Stelle sitzt? Wir haben ein Schuhregal, das sich schräg legt und zur Treppe wird. Und hinten ein erhöhtes Eigenheimpodest, denn im Leben kann es auch mal aufwärts gehen. Zum vierten Mal sind Nico and the Navigators im Düsseldorfer Forum Freies Theater zu Gast, nun mit ihrer jüngsten Produktion „Der Familienrat“. Seit ihrer Gründung 1998 ist die Berliner Gruppe um Regisseurin Nicola Hümpel und Bühnenbildner Oliver Proske auf der Suche nach der Traurigkeit im Geglückten. Proske findet sie in kühl-eleganten Bühnengehäusen, die so multifunktional sind, dass es einer Charakterlosigkeit gleich kommt. Hümpel und ihre Spieler finden sie in unglücklich-komischen Körperhaltungen, einem frierend im Gesicht stehenden Lachen, in der ehrgeizig misslingenden Interaktion mit den Gegenständen der Bühne – in der Diskrepanz zwischen den leergeträumten Blicken der Menschen und ihren verheißungsvollen Accessoires. Eine Mischung zwischen Tanz- und Sprechtheater, Musik und Design: Ambient mit Rissen. Immer geht es bei Nico um Dinge und unsere Haltungen zu ihnen; und wie sich unsere Haltungen in die Dinge hinein graben; und wie unsere Haltungen zu Sätzen und diese Sätze wiederum zu Dingen werden. Die dann so aussehen wie Proskes genial dienstfertige Entfremdungskästen. Wenn es also diesmal um die Familie geht, dann geht es wieder ums selbe; und die Formationen und Deformationen, die jeder der sieben navigators in seiner eigenen Primärgruppe mitbekommen hat, sind wieder so zur Form besänftigt, zur Lakonie abgekühlt, zur Ironie erleichtert, dass die Wirkung sanft und nachhaltig ist. Dauernd kommt jemand mit verlegener Haltung herein; lange liegt eine Kleine unter der Bank; Mitleid erregend turnt ein Entschlossener; somnambul hüpft ein Schlaksiger. „Er war zu dünn, um Verantwortung zu übernehmen.“ – „Er weiß, was er wollen sollte. Er will aber nicht.“ Das sind so Sätze, die fallen. Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit, befand einmal Karl Kraus. Die kennen wir alle, auch „Familienrat“ geht nicht darüber und also in den Unrat hinaus. Aber selten schmeckte die Bitternis dieser Wahrheit so süß wie hier.

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