Nico and the Navigators im Jubiläumsrausch: „sweet surrogates“

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Kulturelle Endzeitstimmung als Ausgangspunkt von „sweet surrogates“: Ein geheimnisvoller Musikteppich, auf der großen Leinwand über der Bühne eine Videobildmischung aus Rauchschwaden und grauer, einsamer Winterstraße. Und ein Gedicht über Kunst als Rauschmittel (…) Hugo von Hofmannsthal hat das geschrieben, Künstlerweihe heißt das Sonett. Und der Schauspieler spricht es, als wäre es für die Abgründe, vor denen wir heute stehen, geschrieben. Die Welt, erschüttert von Gewalt und Krisen, Gewissheiten scheint es keine zu geben. 


[Nicola Hümpel:] Wie gehen wir damit um, was können wir in dem Raum, in dem Kunst-Raum noch erzählen? [Nicola Hümpel, künstlerische Leiterin] Und auch uns schwinden da manchmal die Kräfte und wir sehen, was da draußen passiert und empfinden uns selbst als klein und ohnmächtig. 


Ob „Lucy in the Sky with Diamonds“ da helfen kann? Der Song wird fast wie eine Frage gesungen. Und die rhythmischen Zuckungen der jeweils zwei Sänger-, Tänzer- und Performer*innen auf der Bühne sind überhaupt keine Antwort. 


[Nicola Hümpel:] Die große Frage, die über allem steht, ist, kann uns die Kunst noch verführen, oder nicht? 


Sie kann, mit einer Dramatik, die trunken macht. Die Sängerin singt ihre Arie mit so intensiver Ausdruckskraft, auf der Leinwand herangezoomt ganz groß zu sehen, dass die beiden Darsteller, denen sie die Haare zerwühlt, vollkommen benebelt sind. 


[Nicola Hümpel:] Das ist eine große Sehnsucht danach, mit Sängern und Sängerinnen so zu arbeiten, dass sie in sich selbst wirklich die Musik spüren und fühlen und leben und ihren ganz persönlichen Film da fahren - und das ist, glaube ich, der einzige Weg, wie wir die von uns so geliebte klassische Musik wirklich in die heutige Zeit retten können.


Das Stück: eine Collage aus Gefühlszuständen, ausgedrückt über die Bilder, die Tanz, Gesang, Spiel, Video und immer wieder wohldosiert Worte auf der Bühne entstehen lassen. Die fünf Musiker*innen binden alles trotz ständiger Musikbrüche ganz organisch zusammen und sind selbst immer wieder in das Spiel eingebunden. Sich in den Rausch tanzen, dann als gequälte Kreatur sich krümmen, in der Gruppe zusammenfinden oder sich im Blutrausch aufeinander stürzen. Oder ganz allein, verzweifelt. Der Pianist am Klavier, er fühlt das Stück -das sieht man in seinen Augen, groß auf der Leinwand übertragen. 


[Nicola Hümpel:] Für mich ist das eine sehr berührende Szene, da Matan ja nun aus Israel kommt und gerade diese tragische Geschichte in sich trägt. Und als wir im Proebenraum das gemacht haben, ich bin wirklich in Tränen ausgebrochen, weil ich alles in seinen Augen hab spiegeln sehen.


Die anderen auf der Bühne halten inne, beobachten, nehmen Anteil. Auch das eine spontane Reaktion aus der Probenarbeit, im Stück festgehalten. Was kann uns also retten? Antworten gibt es keine, wir finden sie nicht in Ablenkung, Ersatzreligionen oder Ekstase. So intensiv die Erfahrungen auch sein mögen: Wir können nur immer wieder leben, immer weiter und weiter. Ein schönes Bild dafür ist, wenn der Tänzer sich auf dem Boden langsam dreht und von oben gefilmt sieht es aus, als würde er im Kreis laufen. Ganz entspannt, und dann immer schneller, wie als würde er in einem Strudel verschwinden. Und es sind solche Gefühlsskulpturen aus Bild, Bewegung Mimik und Musik, die hängen bleiben.


[Nicola Hümpel:] Wir können keine politischen Reden halten, das Sprachrohr was wir besitzen, ist die Musik, ist der Körper, ist die Seele. Und mit der sprechen wir und das tun sie miteinander auf der Bühne und das tun sie mit dem Publikum.


Eine Plastiktüte, die sich im Wind windet, die Tänzerin, die es ihr gleichtut. Notenblätter, die durcheinanderwirbeln - künstlerisches Chaos als Spiegelbild des Weltenchaos. Und ganz zaghaft gesungen, fast wie eine Frage: Here comes the sun…


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