„Nico and the Navigators“ ließen in Erfurt viele Fragen offen
Viele Fragen werfen Nico and the Navigators in ihrer neuen Bildtheater-Produktion zu Gioachino Rossinis "Petite messe solennelle" auf. Doch sind die Fragen nicht nur existentielle Auseinandersetzungen mit Sinn und Zweck des Daseins. Über weite Strecken sind es Fragen konzeptioneller Art. Am Freitag und Samstag war die musikalisch brillante Uraufführung, in Kooperation mit dem Kunstfest Weimar "pèlerinages" erarbeitet, im Theater Erfurt zu erleben. Viel Kritik an Spiritualität und institutionalisierter Religiosität teilen die Navigatoren aus, doch sinnige Identifikationsangebote bietet die collageartige Bilderfolge Nicola Hümpels kaum: Das Warum soll sich aus künstlerischem Impuls und Erfahrungshorizont des Betrachters füllen. Immerhin zeigte Rossinis "arme kleine Messe", interpretiert von einer fantastischen Solistenbesetzung unter Leitung Nicholas Jenkins', durch ihre kokette Opernnähe, den Traditionsbezug und des Komponisten schelmische Manuskriptnotiz an Gott einen Weg individueller Glaubensgestaltung. Im deutsch-englischen Diskurs verschiedener Figuren (ohne Untertitel!) hinterfragt die freie Berliner Compagnie Glaubensbekenntnisse des 21. Jahrhunderts: Ein Logiker sucht in der Auseinandersetzung mit einem Priester rationale Erklärungen für die Existenzfragen, die er für sich nur unbefriedigend beantworten kann, jedoch mit aller Macht des Gläubigen den Halt in Gott zu zerrütten sucht. Hümpel greift Rossinis Ironie auf So debattieren die Figuren den Absolutheitsanspruch kirchlicher Glaubensauslegung und demaskieren Selbstdarstellung und Fehler der Diener des Herrn, sowie Formen übersteigerter Religiosität. Ein Cowboy in bayerischer Tracht hingegen stellt sich die großen Fragen des Lebens erst gar nicht und sieht schon in der Begegnung mit einer Kuhträne eine überirdische Erfahrung. Andere hingegen wissen Profit aus Heilsversprechen zu schlagen und feilschen im "Credo", wenn es um die Auferstehung und den Eintritt in das Himmelreich geht, über den Preis für den Sphärenübertritt. Innere Balance und Harmonie fanden erst Yui Kawaguchi und ihr Partner, die in vergnügter Verspieltheit tänzerisch dem Frühlingsrausch frönten. Einen Geniestreich landete Oliver Proske mit seiner Bühnenausstattung, deren multifunktionale Teile Nicola Hümpel kunstvoll zu beweglichen Bildern zusammensetzte. Kaum Ausdeutung erfuhr der Ordinariumstext, dessen Gottesfurcht sogar szenisch konterkariert wurde, wie beispielsweise im "Gloria", als die Darsteller zu den Gottesanrufungen auf den Boden spuckten. Die musikalische Ironie Rossinis mit opernhaften Melodiegesten griff die Regisseurin in Primadonnen-Imitationen auf. Doch ließ die Produktion das gewohnt Schelmische der Truppe nur selten durchscheinen und füllte manche Leere mit Slapstick. Zum Teil unterlief das Bühnenspiel auch die tiefe Kontemplation, die sich durch die gesanglichen Höchstleistungen einstellte. Aus der ungewöhnlichen instrumentalen Besetzung der Messe mit Harmonium (Jan Gerdes) und zwei Klavieren (SooJin Anjou, David Zobel) zog Nicholas Jenkins große rhythmische Verve und sensible Ausdrucksfähigkeit. Rossinis "Alterssünde" versprühte unter seinem Dirigat große Lebendigkeit und Energie. Der Chor erstrahlte in schönster Balance mit reizvollen Piani im A-Capella wie Stimmkraft in den Jubelchören. Gerade die polyphonen Passagen erklangen voll transparenter Leichtigkeit. Mit erhabener Ausgewogenheit und geschmeidigen Stimmen brillierte das Solistenquartett aus Laura Mitchell, Ulrike Mayer, Milos Bulajic und Nikolay Borchev.
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