Nico and the Navigators: «Petite messe solennelle»

34 Jahre lebte der Opernkomponist Gioachino Rossini von einer stattlichen Rente aus seinem Vertrag mit dem französischen König. Abgesetzt von Liberalen des 19. Jahrhunderts, die Rossini viel Zeit gaben, das Geld für Trüffel auszugeben und, glaubt man den Brüdern Goncourt, «junge Mädchen dazu zu bringen, sich bis zur Taille auszuziehen und ihn seine Hände lüstern über ihren Oberkörper streifen zu lassen, und dabei ließ er sie an seinem kleinen Finger lutschen». Ein Sünder, der hundert «Péchés de vieillesse» komponierte, darunter die bekannteste «Alterssünde», die «Petite messe solennelle», mit denkwürdiger Widmung: «Lieber Gott, habe ich wirklich geistliche Musik geschrieben oder nur dummes Zeug wie sonst auch? Du weißt sehr wohl, dass ich für die Opera buffa geschaffen bin. Das verlangt keine großen Fähigkeiten, dazu reicht im Grunde ein bisschen Gefühl. Also, Ehre sei Gott, und bitte lass mich ins Paradies kommen.» «So mag ein religiöser Mensch wie der zum Kind werden», denkt der Schriftsteller Julian Barnes. Die choreografierende Regisseurin Nicola Hümpel denkt: Er ist noch heute da, der Kinderglaube vom guten Leben, selbst wenn Gott darin keine besondere Rolle spielt. Ihr Bühnenbildner Oliver Proske fragt: Wie sieht es aus, das Paradies? In Erfurt zum Kunstfest «pèlerinages» überragt die Bühne eine Wolkenbrücke. Darunter lässt sich für den apostolischen Chor aus zwölf Sängern eine fahrbare Tribüne so auseinandernehmen, dass ein orientalisches Tor entsteht, das an eine Sicherheitsschleuse am Flughafen erinnert. Noch da oben hat man Angst vor Attentätern. Ein orientalisches Tor ist rund. Legt man dessen Hälften auf den Boden, entstehen zwei Wippen. Auf denen schaukeln Gott und sein Zweifler, ein gewisser Benedikt (wie der Papst) sich in den Witz hinein. Wer zum Teufel ist Gott? Der Teufel ist eine Tänzerin, Yui Kawaguchi. Gott dagegen liebt das Lieben. Sein Gegenspieler zweifelt: «Woher soll Gott nur die geringste Ahnung von Liebe haben?» Single ist er, nicht mal geschieden. Also schlägt Yui Kawaguchi die chinesische Klangschale, bis die Kirche leer ist. Rossinis Glaube spiegelt sich im exzellent choreografierten Chor und in den brünstigen Sätzen Kyrie, Gloria, Credo und O salutaris hostia, begleitet von zwei Klavieren und einem Harmonium, inbrünstig dirigiert von Nicholas Jenkins. Das ist frech, vor allem: körperlich. Nichts ist unfassbarer als der Teufel, den Yui Kawaguchi als Kobold von unglaublicher Beweglichkeit verkörpert. Ihr hält – die Überraschung – der Countertenor Philipp Caspari tänzerisch so tapfer stand, als fiele nicht nur die Allmacht Gottes, sondern auch die der Oper. Für Nicola Hümpel, wie für Sasha Waltz oder Heike Hennig, gibt es kein Verbot, demzufolge ein Oratorium nicht getanzt werden dürfe. Der Körper, von Kirchen geächtet, von Rossini bis zur Depression erlitten, feiert den «betrunkenen Bach», um den Aberglauben vom Seelischen, der Stimme, zum Teufel zu schicken. Zum Tanz.

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