Nicola Hümpel im Gespräch mit Knut Elstermann – live aus dem Bikini Berlin
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Was ist die ganze Wahrheit über Lügen? Wo lässt sie sich finden und was kommt zum Vorschein, wenn sie enthüllt wird? Wer im Zeitalter Künstlicher Intelligenz und Sozialer Netzwerke auf der Suche nach der Wahrheit über Lügen ist, wird oftmals im Paradoxen fündig – oder eben im Theater.
Die Performancegruppe NICO AND THE NAVIGATORS fragen in ihrer Berliner Uraufführung von „The Whole Truth About Lies“ nach der unberechenbaren Kraft der Lüge. Über Musiktheater und über große und kleine Lügen sprechen wir heute mit Nicola Hümpel von Nico and the Navigators im studioeins im Bikini Berlin.
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Elstermann:
„The whole Truth about Lies“ ist ein neues Stück oder eine Performance, das werden wir ganz genau bereden können, was es ist. Im Radialsystem nächste Woche Donnerstag ist die Premiere und ich freue mich sehr, dass die Frau da ist, die nicht nur dieses Stück auf die Bühne bringen wird, sondern schon eine ganze Reihe von Projekten gemacht hat, die so grenzüberschreitend sind. Bei denen man nicht ganz genau sagen kann: ist das jetzt ein Stück, ist das eine Performance - ist es vielleicht auch eine, ja diskursive Veranstaltung? Auf jeden Fall freue ich mich sehr, dass sie heute bei uns ist: Nicola Hümpel, meine Damen und Herren, von Nico and the Navigators.
Bevor wir auf dieses Werk zu sprechen, kommen, damit die Leute auch so eine Hausmarke haben, es hing ja so vor einiger Zeit... Immer so große Plakate, so rum, wo ich kurz dachte, Kann man Fabian Hinrichs jetzt wirklich wählen? Kandidiert er für irgendwas? Ich habe ihn dann auch gefragt, ich habe es leider verpasst, habe es nicht gesehen. Was war das für ein Projekt? Das war ja auch von dir.
Hümpel:
Das hat übrigens sein Klempner auch gedacht. Er hat ihn auch gefragt, ob er ihn wählen kann. Ja, also, das war ein sehr realpolitischer Abend, den wir am Haus der Bundespressekonferenz gemacht haben, zum Jubiläum 100 Jahre Haus der Bundespressekonferenz. Und es ist irgendwie komplett durch die Decke gegangen. Und das hat uns wahnsinnig gefreut, weil der Text von Maximilian Steinbeiß als Verfassungsrechtler wirklich genau den Nerv der Zeit getroffen hat. Und wir tatsächlich einen Tag nach dieser Geschichte in Erfurt die Leute fast verrückt gemacht haben, weil diese Grenze zwischen dem, was wir gespielt haben und dem, was gerade real passierte, so verschwamm, dass es verrückt war.
Elstermann:
Ich habe es leider verpasst, wie gesagt, aber du hast mir schon gesagt, ich kann es sehen.
Hümpel:
Ihr könnt es alle sehen und zwar in der ARTE Mediathek. Und da die Nachfrage so groß war, haben Sie es inzwischen in sechs Sprachen untertitelt. Also, man kann es auf Polnisch, Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch sehen.
Elstermann:
Sehr, sehr schöner Hinweis und auch vielleicht eine gute Einübung, dann für dein nächstes Projekt - so eine Art Vorspiel. Also, das ist ja vielleicht medial ähnlich, dass die Grenzen verschwimmen zwischen Realpolitik und Kunst? Wie ist es jetzt im Radialsystem?
Hümpel:
Das ist jetzt ganz anders. Und wir haben uns natürlich auch gefragt, müssen wir jetzt diese Schiene weiterfahren? Und vielleicht machen wir das auch. Es kann sein, dass das jetzt so eine Art neue Schiene wird. Aber was wir jetzt machen, ist nochmal wieder zurück zu unseren anderen Wurzeln. Musiktheater, sehr poetisch. Wir kümmern uns um die Fragen um Fake News, Selbsttäuschung, Fremdbestimmung. Was macht KI mit uns, all das, was sozusagen das Falsche in unser Leben holt. Und das tun wir aber dieses Mal eben auf sehr persönliche Weise. Wir gehen sozusagen von den großen, politischen und religiösen Konflikten in das ganz kleine Private und behandeln das dort. Und es ist ein wahnsinnig, ich finde, sehr herzerwärmender Abend geworden, der auch Hoffnung macht, weil die Gruppe so kooperiert und so wahnsinnig, innig und intensiv miteinander arbeitet. Zwischen Tanz, Gesang, Text. Eben dieser Wahnsinns-KI-Technik, die wir einsetzen und diesem völlig abgefahrenen Bühnenbild von Oliver Proske, was wirklich irre ist, wo wir sehen, was passiert. Wir sehen, dass wir ausgetrickst werden, sozusagen. Die Leute fliegen durch die Luft, obwohl sie eigentlich am Boden liegen. Und wir sehen, wie es gemacht ist, und wir lassen uns trotzdem auf diese Illusion ein. Und das ist für mich... Ein Sinnbild für das, was wir vielleicht mit uns auch machen lassen gesellschaftlich.
Elstermann:
Das wäre jetzt die Frage. Also wenn ich es richtig verstehe, runtergebrochen aufs Private oder Intime, dann lügen wir ja ständig. Das wissen wir auch. Also es gibt so Untersuchungen wie 20 mal am Tag lügen wir irgendwie, was vor uns hin.
Hümpel:
200 mal.
Elstermann:
Meinst du sogar so oft? So viel redet man doch gar nicht am Tag.
Hümpel:
Zu diesen 200 Lügen gehören aber auch Unterlassungen. Das, was wir jetzt so schön gerade aktuell in der Realpolitik erleben. Also, es gibt nicht nur die Lüge, die konkret gelogen ist, sondern es gibt eben auch das Weglassen von Wahrheiten, indem man eben sagt, das habe ich, statt zu sagen, das habe ich nicht gewusst. Ich bin nicht in Kenntnis davon, zum Beispiel. Also solche kleinen Differenzen. Und damit kann man dann sozusagen, die Offenheit lassen.
Elstermann:
Jetzt muss man fairerweise sagen, also, ich denke das jedenfalls, dass diese Lügen diese lässliche Sünde irgendwie sind, weil man letztlich ja... Wenn man alles sagen würde, was man denkt, im normalen Umgang miteinander, wäre es kaum auszuhalten. Also, es ist ja auch eine Art von Schmiermittel für soziale Beziehungen. Andererseits, darum geht es wahrscheinlich bei euch nicht unbedingt, sondern es gibt natürlich das Lügengerüst, von dem wir umgeben sind. Und wo uns Politiker von morgens bis abends ja tatsächlich immer schonungsloser, finde ich, falsche Tatsachen präsentieren.
Hümpel:
Genau. Also, wir haben natürlich dieses Experiment mal ausprobiert: Was passiert, wenn wir einfach gnadenlos ehrlich sind miteinander? Alles sagen, was wir denken: Du siehst echt gerade scheiße aus. Du stinkst und diese Dinge und haben festgestellt, es ist sehr... sehr unangenehm. Und das wollen wir eigentlich nicht. Und es gibt aber auch eine Szene dazu. An diesem Abend haben wir aber, muss man ja jetzt auch dazu sagen, auch klassische Musik. Und wir haben eben Literatur aus der klassischen Musik ausgesucht, wo es um Verschwörungen, um Lügen geht. Und wir wissen ja spätestens seit Shakespeare, dass man sich ja auch im Theater ganz bewusst der Lüge hingibt. Das ist ja die Verabredung, die wir sozusagen miteinander haben. Das Theater ist eine Lüge, eine verabredete Lüge. Und wir geben uns auch in der Musik den falschen Liebesliedern in künstlicher Stimme hin. Und das ist aber auch eine schöne Art zu leben. Und deshalb auch die Frage, inwieweit hält uns die Lüge auch am Leben?
Elstermann:
Ja, sehr schön gesagt, weil natürlich die Kunst die schöne Lüge ist. Aber das ist, wie du sagst, eine Verabredung. Das weiß ich ja, dass das so nicht stattgefunden hat. Aber es bereichert mich auch. Es gibt die andere Lüge und über die denke ich natürlich viel mehr nach, wir alle, wenn irgendwelches Zeug erzählt wird, also, wenn du dir an den Kopf fasst. Und das ist ja ein Wahnsinn geworden, im Prinzip, was alles möglich ist. Und so aus ganz berufenen Mündern, jeden Tag wird uns irgendwas serviert.
Hümpel:
Unglaublich, ja. Und wir kopieren auch immer mehr davon. Und das erschreckt mich am meisten, wie wenig Courage wir haben, wir selbst zu bleiben und wie wir immer mehr in dieses Fahrwasser geraten, mitzumachen.
Elstermann:
Ja, das ist eine andere Wirklichkeit. Also, wenn Trump sagt, ‚in Deutschland gibt es nicht genug Wind, deshalb sind die Windräder auch eine totale Fehlinvestition und deshalb ist Angela Merkel zurückgetreten.‘ Das ist Originaltext von Trump gewesen. Das haut der einfach mal so raus. Das verblüfft uns auch gar nicht mehr so sehr!
Nico and The Navigators präsentieren ab kommenden Donnerstag dann bis zum 15. - also, man muss sich auch ein bisschen beeilen, dass man sich das anschaut - im Radialsystem ihr neues Stück. Ist das eigentlich gut, wie ich das sage, ‚Stück‘? Oder was würdest du sagen? ‚Performance‘?
Hümpel:
Stück kann man schon sagen.
Elstermann:
Stück kann man machen. The whole Truth about Lies. Einiges haben wir schon beschrieben. Was ich noch nicht ganz verstanden habe - mehrere Dinge nicht. Lass uns noch mal über die KI ganz kurz reden. Weil die KI ist ja jetzt erstmal klar. Die ist die KI, die macht was. Die macht auch bei Euch was auf der Bühne. Inwiefern ist das eine Lüge? Ich weiß ja, dass es die KI ist.
Hümpel:
Ja, Sie generiert etwas live auf der Bühne. Also ein Tänzer bewegt sich und gleichzeitig wird er zu verschiedenen Machthabern: zu Putin, zu Trump, zu Elon Musk. Und wir wissen aber nicht vorher, was genau passiert. Also wir wissen es nicht. Es ist jedes Mal anders, es generiert sich jedes Mal neu. Das ist auch so ein bisschen heikel, weil es auch manchmal nicht so toll funktioniert und andere Male besonders gut. Ja, es ist noch sehr offensichtlich und wir zeigen ja auch, was wir tun. Aber man zeigt damit sozusagen, was möglich ist. Und wir wissen ja nun selbst, dass man inzwischen Politiker mit falschen Reden ins Netz stellen kann. Und diese ganze Entwicklung, die hat uns in der Recherche schon auch ziemlich Bauchschmerzen gemacht, weil wir als Künstler und Künstlerin einfach uns natürlich auch fragen, schaffen wir uns gerade selbst ab? Man schiebt da irgendwas rein und kriegt was raus, was wirklich irre gut ist und muss dann natürlich noch mal genauer gucken, aber man fragt sich am Ende, enden wir am Ende mit Eingeben statt Eingebung? Und... was wird sozusagen die Entwicklung von Künstlerinnen und Künstlern sein? Dieses ganze Ringen um Texte, das Ringen um Ideen. Wir haben dann versucht, einen Song von der KI herstellen zu lassen im Stil von Leonard Cohen. Wir haben also gesagt, ‚schreib uns doch mal einen Cohen-Song zum Thema Lügen‘. Haben dann immer mehr Inhalte reingegeben und gesagt, ‚ein bisschen drastischer‘, ‚ein bisschen philosophischer‘, ‚ein bisschen schärfer‘. Und der wurde immer besser und immer besser. Dann haben wir uns die Akkorde geben lassen. Wir haben jemanden, der wirklich eine Wahnsinns-Cohen-Stimme hat. Der singt auch Cohen an dem Abend. Und dann haben die das gemacht und es war verdammt gut. Aber die Gruppe hat sich gewehrt und hat gesagt, wir machen es nicht. Wir wollen es nicht. Es geht einfach nicht.
Elstermann:
Weil sie sich abgeschafft fühlen. Ich glaube übrigens auch im Journalismus. Vielleicht wird es in ein paar Jahren gar keine Nachrichtensprecher und Sprecherinnen geben, sondern einfach so eine KI, die dann Nachrichten sortiert und raushaut. Und auch Moderatoren, die sind dann vielleicht sogar besser. Also irgendwie, wie sie dann aussehen, wissen wir ja nicht. Kann man ja sich bauen.
Hümpel:
Das allerbeste war, Ich habe dann der KI mal so eine Nachricht reingeschoben und habe gesagt, ich habe Depressionen, deinetwegen. Kannst du mir dazu einen Text schreiben? Und der war so sensationell gut, dass ich den dann meinem Dramaturgen gegeben habe und gesagt habe, guck, mal, ich habe was gefunden, das muss ich dir mal zeigen. Und habe ihm aber natürlich nicht gesagt, dass es aus der KI kam. Und er hat gesagt... der ist verdammt gut, wo hast du den denn her? Und dann musste ich ihm leider sagen, aus der KI. Und das war nicht so witzig.
Elstermann:
Also, ich kann in einer Hinsicht beruhigen, mein lieber Freund und Kollege Karkowski, also der für Wissenschaft zuständig, ist, der hat mal so eine Frage gestellt, ‚was soll ich Knut Elstermann fragen, wenn ich den jetzt interviewen sollte?‘ Und die Fragen waren alle okay, also keine war doof oder so. Das stimmte alles schon, aber sie waren uninspiriert. Also, es war so, wenn man jetzt zu einem Praktikanten sagt, stell mal so ein paar Fragen zusammen, die man so stellen kann. Also, da fehlte schon die Wärme und die Idee und der Witz und so. Also ein bisschen Unterschied gibt es schon noch, und wir müssen unbedingt nochmal reden. Es gibt Riesenunterschiede. Ja, das wollen wir eben nochmal sagen. Vielleicht auch nicht mehr so lange. Aber im Augenblick ist es so. Ich fand das schon interessant. Also, es war so 0815.
Hümpel:
Die Frage ist, ob der Mensch sich der KI anpasst. Also so rum.
Elstermann:
Ja, oder ob er das eben nutzt und sagt, das ist Gerüst und jetzt kommt aber noch die Wärme rein, also das Menschliche. Da wollen wir vielleicht ein bisschen Optimismus bewahren. Wo ich den nicht mehr habe das ist wirklich bei der Politik, muss ich nochmal aufgreifen. Es ist ja gar nicht so neu. Also Goebbels hat das ja ganz deutlich mal ausgesprochen: ‚Je größer eine Lüge ist, je unverfrorener, desto eher wird Sie geglaubt.‘ Sind wir da im Prinzip wieder gelandet oder ist es vielleicht sogar eine neue Stufe inzwischen?
Hümpel:
Naja, oder wir müssen sie, wie Trump sagt, so lange wiederholen, bis wir sie glauben. Und das ist, glaube ich, schon etwas, was... So Mainstream ist und inzwischen ja wirklich bei uns in demokratischen Parteien als probates Mittel eingesetzt wird, dass man schon denkt, wie könnt ihr erwarten, dass wir euch vertrauen, wenn Ihr unser Vertrauen missbraucht und verspielt. Und das ist so schade, weil es ist jetzt die Chance, nochmal die Demokratie wirklich auf Vordermann zu bringen. Und wenn wir das jetzt nicht schaffen, dann war es das.
Elstermann:
Ja. Nico, deshalb wüsste ich gerne mal zum Schluss, wie ich mir diesen Abend vorstellen soll. Also Du hast ja schon von Tänzern gesprochen, von der KI, von Leuten, die fliegen, wo sie gar nicht fliegen und so. Also, was ist das jetzt eigentlich für ein Abend?
Hümpel:
Es ist eine typisch-navigatorische Collage aus Tanzelementen, aus klassischer Musik, aus Arien, aus Popsongs, aus Tanz von einem Breaker. Es gibt von Cohen bis Barock wirklich eine Mischung, ein Pasticcio, aus verschiedenen Musiken, die sich aber alle aus der Recherche zu diesem Thema zusammengesetzt haben und sich dann ihren Weg gebahnt haben, dass es eine Geschichte geworden ist. Das ist immer das Verrückte bei uns, dass man das gar nicht planen kann und sich im Probenraum dann die Dinge irre fügen und ergeben. Und am Ende daraus ein Ganzes, Großes wird, über das man im Nachhinein staunt, davor sitzt und denkt, ‚wer hat sich das eigentlich ausgedacht‘?
Elstermann:
Also Nico, ich sage jetzt hier mal ganz offen, ich glaube dir. Ich habe das Gefühl, das wird ein besonderer und sehr schöner und sehr aktueller Abend auf jeden Fall. Du hättest vielleicht sagen müssen, was nicht dabei ist, denn das ist wahrscheinlich leichter, als zu sagen, was alles dabei ist. Das ist ganz offensichtlich eine wilde Mischung und die kann man erleben. Vom 12. bis zum 15. Dezember.
Hümpel:
Und wer keine Karten mehr kriegt, kann auch noch im April kommen, weil wir es dann nochmal zeigen. Oder in die Shanghai-Concerthall nach China kommen.
Elstermann:
Na klar, da macht ihr das auch? Ja. Nicht schlecht, da gehört es, glaube ich auch hin. Also ich habe den Dezember, glaube ich, gar nicht erwähnt. Also 12. Bis 15. Dezember im Radialsystem, dann im April nochmal, dann die kleine Tour nach China mit The whole Truth about Lies von Nico and the Navigators. Erstmal ganz lieben Dank und frohe Weihnachten.
Hümpel:
Gleichfalls, Danke auch!
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