Oliver Proske von NICO AND THE NAVIGATORS im Gespräch mit Thomas Irmer

Oliver Proske von NICO AND THE NAVIGATORS im Gespräch mit Thomas Irmer


Nachdem in der Juni-Ausgabe im ersten Teil des Schwerpunkts Jonas Zipfs Essay das gesamte Betriebssystem Theater in den Blick nahm, geht es auf den folgenden Seiten um neue technologische Anwendungen: Die virtuelle Erweiterung des Bühnenraums, ein Austausch über die Zukunft der Theaterkritik und erstmalig der Abdruck eines Stücktextes, der von einer KI geschrieben wurde. 


Mit der von euch entwickelten Software erlebt man einen hybriden Raum, in dem sich künstliche Elemente mit einer realen Performance verbinden. Das Prinzip basiert auf den schon öfter auch im Theater eingesetzten Augmented-Reality-Brillen, erweitert aber das Spektrum. Um was handelt es sich genau? 

Man könnte sagen, dass wir eine immaterielle Traumlandschaft erzeugen, in der sich bereits Geschehenes mit aktuellen Ereignissen überlagert: Reale Performer:innen werden dabei mit imaginären Bildern konfrontiert, was künftig sicher neue Möglichkeiten des Erzählens eröffnet - als Fortschreibung der Virtual Reality, bei der bislang ja vor allem eine filmische Illusion erzeugt wird. Bei der von uns verwendeten Technik wird daraus eine Live-Raum-Begegnung von tatsächlich vorhandenen Körpern mit bewegten virtuellen Elementen, die in ihrer Dreidimensionalität bislang nur in der Fantasie vorgestellt werden konnten. 


Konkret sind es ja eine Art Gliederpuppen, die sich zusammen mit den realen Tänzern in eurer Produktion "Du musst Dein Leben rendern!" bewegen.

Diese animierten Figuren sind zunächst von den beiden Darsteller:innen selbst mit ihren Bewegungen belebt worden, die durch Datenanzüge abgenommen wurden. Die Tänzerin und der Tänzer stehen also mit ihren eigenen Abbildern im Dialog, was aber nur das Publikum mit der Brille so wahrnimmt. Im Probenprozess müssen die Akteure daher die genau zu ihrem Gegenüber passenden Bewegungen einstudieren - synchronisiert wird die Choreografie ganz klassisch über die Musik. Wir haben dabei die Möglichkeit, die Figurinen in jeder beliebigen Größe und Anzahl erscheinen zu lassen, also in verschiedenster Form - und so die Harmonie wie den Konflikt zwischen Schöpfer und Geschöpf zu zeigen. Das weckt natürlich eine Fülle von Assoziationen - von der Genesis über Pygmalion und Frankenstein bis zu aktuellen Debatten zu Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz. 


Wer gestaltet das? 

Bei NICO AND THE NAVIGATORS arbeitet seit Jahren die Tänzerin und Choreografin Yui Kawaguchi, die inzwischen auch die digitalen Medien als Erweiterung ihres kreativen Ausdrucks entdeckt hat. Sie hat das mit den beiden Tänzer:innen entwickelt, ihre Bewegungen aufgezeichnet und den Probenprozess geleitet. Nicola Hümpel kam als Regisseurin beratend hinzu. Technisch muss man wissen, dass wir die Software unabhängig von der nun damit gestalteten Choreografie entwickelt haben, was die Sache einerseits noch viel komplizierter macht. Andererseits aber entsteht so eine Technik mit offenen Möglichkeiten, die intuitiv genutzt werden kann - das System soll künftig auch für weitere, ganz anders gedachte Projekte eingesetzt werden. 


Es ist also kein Zufall, dass ihr mit Tanz angefangen habt, also kein textbasiertes Schauspieltheater dafür entwickelt.

Angefangen haben wir 2019 zum Bauhaus-Jubiläum, als wir dazu aufgefordert wurden, einmal mit der avanciertesten Technologie im Theater zu arbeiten. Damals haben wir abstrakte Formen und historische Bilder visualisiert und im ,,Verrat der Bilder" mit Performer:innen in Beziehung gesetzt. So sind wir erst mal mit dieser Technologie in Berührung gekommen, auf der nun die AR-Loop-Maschine basiert. Uns wurde aber auch bald klar, dass der reale Mensch nicht hinter der Technik verschwinden darf, woraus sich dann die jetzt vorgestellte Form entwickelt hat. 

Ein wichtiger Teil des Prozesses war eben die Möglichkeit, Bewegungsdaten mit den Motion-Capture-Anzügen zu integrieren, wofür uns besonders der Corona-Stillstand Entwicklungs-Zeit gelassen hat. Das bislang unverzichtbare Instrument bei solchen Inszenierungen aber bleibt die AR-Brille. 

Alle anderen Projektionen im Raum, die oft fälschlicherweise als Hologramme bezeichnet werden, basieren auf zweidimensionalen Tricks (,,Pepper's ghost" von 1862). Aus Dokumentationen solcher Illusionen entstehen Erwartungshaltungen, die in der Realität technisch jedoch nicht eingelöst werden können oder eben nur mit der Brillentechnik. 


Vom ersten Erleben her würde ich sagen, das ist tatsächlich eine Sache, die im Theater zukunftsträchtig sein kann. Wie sehen die Perspektiven aus?

Mit Walter Benjamin zu sprechen: Eine Aufgabe von Kunst ist es, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Zeit noch nicht gekommen ist. Als Künstler können wir ja nur unsere Arbeit vorstellen, deren Wirkung müssen die Zuschauer und Kritiker bewerten. Wie gesagt, bei „Leben rendern" handelt es sich um das inhaltlich adäquate Ausprobieren von technologischen Möglichkeiten. Das nächste Projekt von NICO AND THE NAVIGATORS ist übrigens wieder komplett analog: ,,Fleisch und Geist".// 


„Du musst Dein Leben rendern!" vom 14. bis zum 18. September 2022 im Dock Art Berlin: www.navigators.de/projects/du-musst-dein-leben-rendern/

Workshop mit der AR-Loop-Maschine vom 4. bis zum 8. November 2022 in Dresden: www.labore-fuer-digitale-szenografie.de/veranstaltungen/labor-5/ 

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