Online-Premiere: „Force & Freedom“ von Nico and the Navigators

Musik und Theater und Tanz und Performance, die Bühnenwerke von Nico and the Navigators sind in der Regel bildsatte und denkraumöffnende Produktionen, in denen das alles ineinanderfließt. Man staunt und guckt sich schlau. Natürlich wollte auch Nicola Hümpel sich mit ihrer Kompanie in den Gedenkprozess zu Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag einschalten – aber, nun ja, es kam alles anders in diesem Jahr. „Force & Freedom“ heißt die Projektidee mit dem Kuss Quartett. Äußere Zwänge und innere Freiheiten bei Beethoven: das war das Motto, was nun unfreiwillig auch zum Corona-Jahr passt. Die Premiere und Vorstellungen im Berliner radialsystem fallen aus; aber aus dem Bühnenprojekt wurde jetzt ein Film, der heute Abend bei ARTE Concert zu sehen sein wird. Frauke Thiele war bei den Dreharbeiten dabei. FT: Im Großen Saal gibt es gar keine Zuschauerplätze. Stattdessen steht da ein großes Podest mit Bildschirmen, Mischpulten und Kabeln. Unglaubliche Konzentration und auch Euphorie ist zu spüren. Zusammenarbeiten. Endlich. Kamera, Licht, Bühne, Kostüm, Regie, usw. Alle tragen FFP2-Masken; außer die Künstler auf der Bühne. Getestet sind alle – jeden Tag auf’s Neue – bloß kein Risiko. NH: „Das hätten wir uns nicht vorstellen können, wie heftig es noch alles kommen würde und wie eklatant auch für die Künstlerszene diese Pandemie als Konsequenz ist. Deshalb ist natürlich dieses Stück wahnsinnig existenziell für uns. Denn Beethoven hatte auch diese schreckliche Situation in Zwängen sich zu befinden, was seine Taubheit betraf; obwohl er die Geselligkeit geliebt hat. Dieses von Menschen entzogen sein und die Kunst nicht gemeinsam zu teilen, das ist schrecklich und das wissen wir natürlich nun auch an erster Stelle. FT: Nicola Hümpel ist Regisseurin und der Kopf von Nico and the Navigators. Sie führt zum ersten Mal Regie beim Film. Damit alles klappt hat sie eine erfahrene Kollegin dazu geholt. Tagelang haben sie in Videokonferenzen darüber gebrütet, wie sie so kurzfristig das szenische Beethoven-Konzert „Force & Freedom“ in eine Filmsprache bringen können. Die vier Musiker*innen vom Kuss Quartett und die Tänzerin Yui Kawaguchi setzen heute den ersten und zweiten Satz von Beethovens Streichquartett Opus 135 um – sein letztes Werk. Mehrmals hintereinander, jede Szene, spielen sie für die Kamera. Solange bis es passt. Fast wie bei einer CD-Produktion. Oliver Wille vom Kuss Quartett: „Was neu ist: Dass wir auch gesehen werden. Und dass das, was wir uns überlegt haben an zwischenmenschlichen Aktionen, dass die wirklich jedes Mal, genauso wie das instrumentaltechnische, möglichst aufnahmereif gespielt werden müssen. Die Musiker sitzen barfuß auf einer Art liegendem Halbmond, später stehen sie auch drauf, wie auf einer Wippe. Die Tänzerin Yui Kawaguchi stelzt in den Saal, dann windet sie sich die Arme, wie hinter dem Rücken gefesselt. Plötzlich, ein kokettes Winken in Richtung Musiker. Bewegungen wechseln wie Gefühlszustände unaufhörlich, wie in der Musik von Beethoven. OW: Wenn wir ohne Yui spielen, haben wir jetzt immer Yui im Kopf und spielen dieses Werk seitdem sprechender, auch noch rhetorischer. Was dieser Musik unglaublich zugute kommt. FT: Nicola Hümpel sitzt vor dem Saal vor großen Bildschirmen mit unterschiedlichen Kamera-Einstellungen. Sie gibt die Anweisungen für die Kamera am Kran durch’s Mikrofon. Die Kamera am Kran verfolgt die Tänzerin in Nahaufnahme, während sie um die Musiker herumschleicht und zwischen ihnen plötzlich nach vorne springt und am Boden breakdance-ähnlich um ihre eigenen Hände kreist. NH: Wir versuchen die Musik aktuell hörbarer zu machen. Mit dem nötigen Spaß, aber auch mit der nötigen abgründigen Tiefe. Und das Experiment ist natürlich immer zu versuchen es nicht zu bebildern, sondern einen Dialog zwischen Körper und Musikern herzustellen. Und auch die Musiker bewegen sich ja frei, spielen auswendig, was bei diesen wahnsinnig schweren Werken alles andere, als einfach ist. Aber dadurch lebt es anders und greift Raum im 21. Jahrhundert. FT: Die Kameras halten alles fest. Die nackten Füße vom Kuss Quartett. Die Tänzerin, die ihre Qual lautlos hinausschreit. Die Musiker, die schließlich auf dem Halbmond wippen, während sie spielen. Alles Beethoven. Morgen werden neben der Tänzerin auch ein Darsteller und ein Sänger dazukommen – Wortzitate von Beethoven, auch kleine Liedfragmente, live und von der Videoleinwand, E-Gitarre – ganz dezent. NH: Also wir wollen ihn (Beethoven) ja nicht verhiphoppen. Aber wir dürfen ihn auch einfach mal im Heute denken, auch in ganz aktuellen Gefühlen und einer zeitgemäßen Ästhetik. OW: Das ist die große Kunst, die diese Komponisten verstanden haben – und Beethoven ganz besonders. Die sind so stark in sich, von ihrer Natur aus, dass sie alles was Mensch sein bedeutet, eigentlich verkörpern.

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