Schokolade und Selbstkasteiung

Nico and the Navigators interpretieren Rossini. So recht wusste Gioachino Rossini wohl selbst nicht, was er von seiner „petite messe solennelle“ halten sollte. Ist das nun „heilige“ oder doch eher „verfluchte“ Musik, fragte er sich nach der Beendigung der Komposition – dabei lustig mit der Doppelbedeutung des französischen Wortes „sacré“ spielend. Allein dass Rossini sich diese Frage in einem treuherzig formulierten Brief an Gott stellt, lässt vermuten, dass er sein Werk so heilig nicht fand. Er sei eben ein Mann der „opera buffa“ entschuldigt er sich beim „lieben Gott“ und fügt dann listig an: „Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies“. Eine solchermaßen kecke Forderung wäre einem Anton Bruckner wohl nie über die Lippen gekommen. Es spricht eine bemerkenswerte Angstfreiheit in religiösen Dingen aus Rossinis unverstellten Worten. Im Entstehungsjahr der Messe, 1863, war die katholische Welt schließlich noch weitgehend in Takt. Dieser Angstfreiheit – und dem heiteren Naturell des Komponisten – ist zu verdanken, dass man es bei Rossinis „kleiner“ Messe mit einer ungewöhnlich beschwingten Sakral-Komposition zu tun hat. Das „Cruzifixus“ im „Credo“, wo die Komponisten gewöhnlich auf sinnenfrohe Musikalität verzichten, walzert bei Rossini fast schon ketzerisch vor sich hin, und auch das „Kyrie“ zu Beginn klingt in der Begleitung eher keck als erbarmungsbedürftig. Seltsam bedeutungsvoll und hintergründig Es sind diese Ungereimtheiten, die das komponierte Glaubensbekenntnis gleichzeitig wieder relativieren und die die „petite messe“ so offen für Interpretationen machen. Das Ensemble Nico and the Navigators jedenfalls nutzte diese Offenheit am Mittwochabend im Radialsystem für eine generelle Betrachtung über Glauben und Zweifel: leichtfüßig, phantasievoll, amüsant – und damit in bester Nachfolge Rossinis. Gezeigt wird eine Art Gesamtkunstwerk aus Tanz, Pantomime, Schauspiel und musikalischer Aufführung, das seltsamerweise nie überladen wirkt, obwohl auf der Bühne ziemlich viel passiert (Regie: Nicola Hümpel). In braun-bunter Sechzigerjahre-Kleidung kostümiert, verteilen sich die zwölf Sänger auf der Szene und bilden abwechselnd Wimmelbilder: hier kaut gerade jemand auf einer Rosenblüte herum, da streicht einer dem Vordermann über den Kopf, hier tanzt jemand zur Musik, da steht einer stocksteif am Rand und bewegt stumm den Mund. Das muss man, kann man nicht alles verstehen, und doch wirkt es seltsam bedeutungsvoll und hintergründig. Nur ausnahmsweise greift die Bildsprache der Navigatoren auf klar entzifferbare und dann schnell platte Symbolik zurück, etwa wenn zu Beginn des „Credo“ vor allem Mammon gehuldigt wird, indem fortwährend mit Geldscheinen gewedelt wird oder sich einer der Darsteller mit seiner Anzugjacke selbst geißelt. Verstand und Spiritualität Zusammengehalten wird der Bilderreigen durch eine dezent hinzugefügte Rahmenhandlung. Zwei Gott-Sucher tauchen immer wieder zwischen den einzelnen Abschnitten der Messe auf und fechten den Streit zwischen kühlem Verstand und Spiritualität aus. Letztere, dargestellt in der Person eines weihevoll säuselnden Mönchs (Adrian Gillot), geht am Ende an der zwanghaften Selbstkasteiung zugrunde („Ich habe gestern Abend Schokolade gegessen. Oh Gott, ich bin ein schlechter Mensch“). Andererseits wird der pedantisch-verdruckste Verstandesmensch Benedikt (Peter Fasching) am Ende des Abends ebenfalls nicht wesentlich weiter gekommen sein. Es gibt niemanden auf der Bühne, der an diesem Abend nicht spielt: Auch der Dirigent (Nicholas Jenkins) gibt sich als Schauspieler und leitet die Musik mit pantomimischer Dramatisierung gleichsam aus dem Stück heraus. Das geht trotz der Betriebsamkeit auf der Bühne erstaunlich gut, wobei dem Dirigenten auch die zwölf exzellenten, hellwachen Sänger helfen. Es entsteht ein überschäumendes Gesamtkunstwerk zwischen „heilig“ und „verflucht“ und damit ein Welttheater unterhaltsamster und anregendster Art.

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