Spiel mit der Macht

Nico and the Navigators zeigen „Ein Volksbürger“ im Haus der Bundespressekonferenz


Durch das riesige Panoramafenster im Haus der Bundespressekonferenz blickt man direkt auf das Regierungsviertel: Bundeskanzleramt, Paul-Löbe-Haus, Deutscher Bundestag, alles in Steinwurfweite. Denkwürdige Pressekonferenzen fanden hier statt, wie jene im Jahr 2015, auf der Angela Merkel ihren berühmten Satz „Wir schaffen das!“ sagte. Kleines Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn auf genau diesem Podium ein populistischer Ministerpräsident nach einem Erdrutschsieg in einer Landtagswahl Platz nähme und selbstbewusst Reden hielte?


Dieses Szenario haben Nicola Hümpel und ihr Theater-Kollektiv Nico and the Navigators zusammen mit Maximilian Steinbeis entwickelt, Autor und Gründer des Verfassungsblogs. In der Rolle des aalglatten Politaufsteigers: der großartige Fabian Hinrichs, bekannt aus Volksbühnen-Produktionen und als Tatort-Kommissar. Im Stil einer Live-Mockumentary setzt das Stück an einem Wahlabend ein. Über einen Monitor flimmern die Ergebnisse aus dem fiktiven Freistaat: klägliche Quoten für die bürgerlichen Parteien, während sich ein satter Balken für die „Demokratische Allianz“ aufbaut. Absolute Mehrheit aus dem Stand! Der Parteivorsitzende Dominik Arndt – bis in die Initialen verkörpert er die „DA“ – eilt schnurstracks in die Bundeshauptstadt, um sich den Fragen der Presse zu stellen.


Mit dem Habitus eines Triumphators rauscht Arndt alias Hinrichs in den Saal. An Dialog ist er aber nicht interessiert. Viel lieber schwadroniert er über schlechten Handyempfang und betont: „Wir sind vieles, wir sind demokratisch, wir sind alternativ, sozial, liberal und ja, wir sind national, aber das hat erst mal nichts mit rechts oder links, mit oben oder unten zu tun, sondern mit der Mitte, mit einer Leidenschaft für unser Land.“ Hinrichs changiert gekonnt zwischen den Polen sympathischer Blender und knallharter Manipulator. Und das macht das „Was-wäre-wenn“-Szenario noch beklemmender. Wenn Demokratieverachtung eben nicht im Gewand einer klar extremistischen Partei daherkäme, sondern das Reaktionäre von Akteuren ausgeht, die sich als diffus moderne, bodenständige Kümmerer inszenieren.


Das Stück spannt sich als Folge diverser Pressekonferenzen über den Zeitraum eines Jahres. Und von PK zu PK wird klarer, wohin die Reise geht. Im nicht näher genannten „Freistaat“ gibt es schon nach wenigen Wochen Unregelmäßigkeiten im Ausländerrecht: Ämter bearbeiten die Akten nicht mehr, Schutzsuchende landen in der Obdachlosigkeit. Journalistisch nachgebohrt wird von drei Schauspielern und einer Schauspielerin, die im Publikum verteilt sitzen. Wobei das Kommunikationsgefälle atemberaubend ist: Der Populist Arndt redet zwar sehr viel, lässt im Grunde aber alle Fragen abperlen. 


Ein Landrat, der über die Zumutungen des örtlichen Flüchtlingsheims klagt, ein Vertreter einer NGO, der seinen Recherchestapel zu nicht bearbeiteten Asylfällen vorlegt. Wechselndes Personal hat seinen Auftritt, bis klar wird, dass der Bund es hier mit etwas zu tun bekommt, was eigentlich eine verfassungsrechtliche Anomalie ist: „Exekutiver Ungehorsam“, also wenn die Exekutive die Judikative missachtet und Bundesrecht auf Landesebene bewusst nicht umgesetzt wird. Wer eine Missachtung von hochrichterlichen Entscheidungen durch einen Ministerpräsidenten für aus der Luft gegriffen hält, dem serviert das Stück auch gleich ein Beispiel aus der Realität: Markus Söder und das Dieselfahrverbot. Bundesauflagen aus dem Jahr 2012 ignorierte er einfach im Interesse des „Autolands“ Bayern.


Und wie endet das Gedankenexperiment „Ein Volksbürger“ auf der Theaterbühne? Mit einem spektakulären Showdown, namens Artikel 37 Grundgesetz. In der Geschichte der Bundesrepublik so noch nie angewandt, erlaubt der sogenannte „Bundeszwang“ drastische Maßnahmen gegen ein Bundesland, das sich weigert, föderale Pflichten zu erfüllen. Im Fall der „DA“ heißt das: Die Bundespolizei beendet die Machtübernahme, der Ministerpräsident flieht ins Ausland. Aus einem „befreundeten Land, wo die Zitronen blühen“ meldet er sich dann umgehend per Videobotschaft, natürlich mit paroliger „Es hat etwas begonnen, das nicht mehr zu stoppen ist“-Botschaft. 


Unkartiertes Gelände, so nannte Jurist und Verfassungsblog-Autor Maximilian Steinbeis in einem Gespräch nach der Premiere die politischen Vorgänge, die von der theatralen Versuchsanordnung so plastisch abgesteckt werden. Von ihm stammt auch der Essay „Ein Volkskanzler“ aus dem Jahr 2019, der durchspielt, wie autoritäre Kräfte innerhalb einer Legislaturperiode die Verfassung aus den Angeln heben könnten, ohne offenen Verfassungsbruch und ohne einen Buchstaben an der Verfassung zu ändern. Aktuell befasst sich das Verfassungsblog-Team mit dem „Thüringen-Projekt“, einer Forschungsarbeit, die die Resilienz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in genau diesen Punkten abklopfen will.


Eine Paradebeispiel aus dem Playbook der parlamentarischen Obstruktion hat die Thüringer AfD jedenfalls erst kürzlich wieder geliefert. Am 26. September blockierte der Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD stundenlang eine Abstimmung zur Änderung der Geschäftsordnung. Erst per Eilentscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts konnte die konstituierende Sitzung des Landtags fortgesetzt werden. Das Theaterstück „Ein Volksbürger“ war nach zwei Stunden zu Ende. Man wird sehen, wie es auf der echten politischen Bühne weitergeht. In Erfurt und anderswo. 

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