SUOR ANGELICA von G. Puccini, „Faith to Face“ im Education Programm der Berliner Philharmoniker

„A Star is Born“, so mein Eindruck nach der Aufführung von Giacomo Puccinis Drama „Suor Angelica“ im Rahmen des Education Programms der Berliner Philharmoniker. Erstmals dirigiert ihr Chef Kirill Petrenko in Berlin eine Oper, jedoch mit lauter jungen, sehr begabten Menschen. Es sind die Stipendiaten der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, die ihre Instrumente mit Verve und schon fast wie die Profis spielen. Einen guten Job macht auch der Chor des Vokalhelden- Chorprogramms. Mit dem Ausdruck „Volkhelden“ soll die Hemmschwelle tiefer gelegt und jungen Leuten Mut gemacht werden, dem Chor beizutreten. Das größte Erstaunen erregen jedoch die 13 Sängerinnen, Gesangssolistinnen und Studentinnen der Berliner Musikhochschulen. Sie singen und spielen die Schwestern in diesem Marienkloster. Puccini gemäß Italienisch singend, gestalten sie ihre Rollen mit Temperament, Darstellfreude und bereits gut entwickelten Stimmen. Die neu ins Kloster Eintretenden legen zunächst ihre farbenfrohe Garderobe ab, schlüpfen in die weiße Klostertracht und sitzen dann zusammen mit den schon länger im Kloster Lebenden auf einer langen Bank vor Petrenko und den Instrumentalisten/innen, aber direkt gegenüber dem Publikum. Auf einem großen Bildschirm sind sie außerdem genau von vorne zu sehen, ganz gleich, ob sie mal ärgerlich das Gesicht verziehen oder ihre Rollen singen. Oliver Proske hat das Bühnenkonzept und diese Videotechnik entwickelt, die in ihrem Dauerdasein mitunter etwas störend wirkt und von Puccinis Musik ablenkt. Wie sie gesungen wird, ist dagegen genau zu beobachten. Da alles direkt aufgenommen wird, zeigt sich zudem, dass die jungen Sängerinnen offensichtlich kein Lampenfieber haben. Wenn sie wegen ihrer kleinen Sünden eine Strafe erhalten, verziehen einige, wie gleichfalls erkennbar wird, durchaus ihre Gesichter, doch insgesamt wirken alle relativ zufrieden in dieser Abgeschiedenheit. Auch Ann Toomey als die tatsächliche Schwester Angelika (nun deutsch geschrieben). Nur einen Stachel trägt sie im Herzen: seit sieben Jahren hat sie nie eine Nachricht von ihrer begüterten Familie erhalten, die sie nach der Geburt eines unehelichen Sohnes in ein Kloster gesteckt hat, wo sie ihr „Vergehen“ büßen soll. Auch hat sie nie mehr ihren kleinen Sohn wiedergesehen. Doch dann kommt endlich ihre fürstliche Tante zu Besuch, die auch Mezzo –Partien singende Sopranistin Katarina Dalayman. Aber nur mit einem Schriftstück, das die Neuverteilung des Vermögens regeln soll, da Angelikas Schwester heiratet. Frau Dalayman gibt sie als Person mit versteinertem Herzen, die auf Angelicas Frage nach ihrem Kind mitleidlos kundtut, dass es vor zwei Jahren verstorben sei. Für Schwester Angelica bricht nun eine Welt zusammen, und wie Ann Toomey das singt, geht es direkt zu Herzen. Ihr kräftiger, intonationsreiner und klangvoller Sopran, der nach lyrischen Passagen nun ihre ganze Verzweiflung dramatisch ausdrückt, flutet durch die große, sehr gut gefüllte Philharmonie. Doch trotz der glaubhaft gestalteten Qual wird ihre Stimme selbst im hohen Bereich niemals schrill. Ihre intensiv heraus gesungene Verzweiflung treibt manchen Zuhörerinnen die Tränen in die Augen. Die von der Tante mitgebrachte notarielle Urkunde reißt sie in Stücke und formt daraus eine Babyfigur, die sie sich auf den Arm legt. Nie hat sie den eigenen Sohn in den Armen halten können, jetzt will sie zu ihm in den Himmel gelangen. Sie trinkt ein Unkrautvernichtungsmittel und erinnert sich zu spät daran, dass einer katholischen Selbstmörderin die Hölle gewiss ist. Ein neuer Verzweiflungsschub übermannt sie und wieder erbringt sie, Mutter Maria um Hilfe anflehend, eine packende gesangliche Leistung. „A Star is Born“, so mein Eindruck, der später vom dem ihr zujubelnden Publikum vermutlich geteilt wird. Während ihres Abgesangs und noch danach fertigen zwei Schwestern aus ihren früheren Kleidungsstücken lauter kleine Gräber für weitere aus Papier geformte Babys. Viele scheint es davon heimlich zu geben. Eine beeindruckende Idee der sich ansonsten angenehm zurückhaltenden Berliner Regisseurin Nicola Hümpel mit ihrem Ensemble Nico and the Navigators. Auch Petrenko gibt sich beim Schlussbeifall zugunsten der jungen Künstlerinnen und Künstler zurückhaltend, strahlt aber zu Recht übers ganze Gesicht. Hier alle Schwestern in ihren Rollen: Ann Toomey Sopran (Suor Angelica); Katarina Dalayman Sopran (La zia principessa), Daniela Vega Mezzosopran (La badessa), Fleur Barron Mezzosopran (La suora zelatrice), Sarah Laulan Alt (La maestra delle novizie), Aurora Marthens Sopran (Suor Genovieffa), Qing Wang Sopran (Suor Dolcina), Aphrodite Patoulidou Sopran (La suora infirmiera), Alessia Schumacher Sopran (1. Almosensucherin), Ekaterina Bazhanova Mezzosopran (2. Almosensucherin und 2. Laienschwester), Yeo-Jung Ha Sopran (1. Laienschwester), Bernadeta Astari Sopran (1. Novizin), ergänzt durch die spektakulär bewegliche Tänzerin Yui Kawaguchi (Suor Osmina).

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