Vorsicht, das Leben

Sie tun ihr Bestes, auch wenn es ihnen nicht leicht fällt: "Nico and the Navigators" zeigen sechs hinreißend Kleinmütige "Strategie für ein Leben ohne Tod und Sterben" steht auf den Mappen, die der Mann vor seiner Brust hält, just wie ein Zeuge Jehovas den Wachtturm. Egal aber, ob er die "Strategie" verfasst hat oder sie nur verkauft (verschenkt?), ihn selbst hat sie offensichtlich nicht glücklich gemacht. Christoph (Glaubacker, die Darsteller sprechen sich im Stück mit ihren richtigen Vornamen an) ist der Melancholischste in einer Reihe von Melancholikern, die wortkarg, aber reich an Mimik und Ausdruck, 70 Minuten lang vor allem von Angst und Abwehrstrategien erzählen, von Fahrradhelmen, Beipackzetteln, Billigfliegern und Beinrasierern (die Mikroben!), von HELden & kleinMUT. "Nico and the Navigators" klingt eher nach dem ersten Teil des Stücktitels, nach einer Truppe beherzt ins Ungewisse segelnder Seeleute. Doch handelt es sich um eine 1998 gegründete Theatergruppe, die nun zum ersten (und hoffentlich nicht letzten) Mal zum Gastspiel nach Frankfurt kam, ins Künstlerhaus Mousonturm. Nicola Hümpel, Jahrgang 1967, ist der Navigators-Kopf, ausgebildet wurde sie unter anderem in der "Bühnenklasse" am Bauhaus Dessau, und dass sie Darstellerin bei Achim Freyer war, sieht man ihrem klaren, sparsamen Bildertheater an. Dem jedoch eine feinere Poesie eigen ist als Freyers recht schematischen, dadurch manchmal langweiligen Inszenierungen. Oh je, ein fetter Fingerabdruck Der stille Christoph ist gleich in der ersten Szene des Stücks überfordert von Anne (Paulicevich), eine muntere, reizende femme fatale im roten Kleid, die – auf Französisch – von der Liebe und ihrem Ende singt. Er steht neben ihr, möchte gern und traut sich nicht, guckt und guckt, so dass sie die Initiative ergreift, mit ihm tanzt, sich in seinen Arm fallen lässt. Er ist zu schmächtig, sie zu halten, muss sie auf den Boden gleiten lassen. Von wo aus sie ihm gleich wieder auffordernd die Arme entgegen streckt. Diese Begegnung könnte aus einem Pina-Bausch-Stück sein. Inklusive des Ticks, mit dem Anne schließlich ihre Angst verrät: Die glänzende Fläche eines Tisches wienert sie manisch sauber, sobald sie darauf einen Fingerabdruck vermutet. Nico and the Navigators setzen sich tapfer zwischen alle Theater-und-Tanz-Stühle, der Text (hier in Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch) ist nur ein – nicht sehr wichtiger – Bestandteil ihres detailreichen Bewegungstheaters. Das sich Zeit nimmt, das Blicken und Körperhaltungen, auch mal der Stille Raum gibt (sowie: originellen Frisuren). Das kühle, hellgraue Bühnenbild von Oliver Proske ermöglicht den durchweg überzeugenden Darstellern ablenkungsfreie Präsenz; einer Burg, ihren Ausguck- und Rückzugsräumen nicht unähnlich, bieten die Bauten ihnen verschiedene Ebenen. Zwei halbrunde Wände lassen sich öffnen wie ein Tor, eine andere Wand lässt sich horizontal etwas auseinander schieben: Deckung für die Angst-Hasen, die nicht viel mehr als ihre Augen zu zeigen brauchen. Durch diese kargen Räume reisen sechs hinreißend Kleinmütige, Zaudernde, haben den ein und anderen Koffer dabei, begehen Harakiri (und stehen lachend wieder auf), kämpfen gegen eine Plastiktüte, die am nackten Fuß klebt. Erleben den ganz normalen Wahnsinn des Lebens. Und tun, obwohl es ihnen nicht immer leicht fällt, ihr Bestes – mitten in den Verrücktheiten des Daseins. Auch ganz ohne Strategie.

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