Wanderreise mit Schubert

Vor fast 20 Jahren gründete das Künstlerpaar Nicola Hümpel und Oliver Proske am Bauhaus Dessau ein Theaterkollektiv mit dem seltsamen Namen Nico and the Navigators – Nico steht für Nicola, die Navigatoren sind ihre Mitstreiter und Impulsgeber. Schnell kam es zu einer Kooperation mit den Sophiensälen in Berlin, wo die Gruppe als artists in residence die ersten Stücke erarbeitete. Projekte am Radialsystem und zur Eröffnung der Tischlerei an der Deutschen Oper folgten. Mittlerweile haben sich die Navigators als feste Größe in der Freien Szene Berlins etabliert. Wobei etabliert rein künstlerisch zu verstehen ist. Denn obwohl die Truppe mittlerweile europaweit in internationalen Koproduktionen zu erleben ist, begleitet der zähe Kampf um Fördermittel die künstlerische Arbeit. Die Kreativität hat dabei glücklicherweise nicht gelitten, wie die Berliner Premiere von Silent songs into the world beweist, die nach der Brüsseler Uraufführung im Februar nun im Konzerthaus zu sehen ist. Silent songs into the world trägt den Untertitel Staged Concert mit Musik von Franz Schubert, ist aber viel mehr als ein szenisches Konzert. Nicola Hümpel greift auf Lieder des Komponisten zurück, die sich ums Wandern und Reisen drehen und um alles, was damit zu tun hat, seien es Sehnsuchts-, Abschieds-, Fremdheits- oder Glücksgefühle. Aus ihnen entwickelt sie mit dem Bühnenbildner Oliver Proske, der auch die ausgeklügelte Videoregie verantwortet, eine assoziationsreiche Collage aus Gesang und Tanz, die die Stimmungen von Musik und Text subtil einfängt. Sie steckt auch musikalisch voller Überraschungen. Schubert erklingt nicht nur im Original, sondern verfremdet und in delikaten Neuarrangements durch den Gitarristen Tobias Weber. Parallel zu den Aktionen, in die auch die Instrumentalisten – das Apollon Musagète Quartett, Weber selbst und der Pianist Matan Porat– miteinbezogen sind, werden die Gesichter der Darsteller vergrößert auf zwei bewegliche Leinwände projiziert. So entsteht eine besondere Nähe zum Publikum. Jede Musiknummer trägt eine moderne Überschrift. Gretchen am Spinnrade heißt beispielsweise U-Bahn-Gretchen. Dabei kauert Sarah Laulan als Flüchtlingsfrau inmitten einer Menschengruppe und singt „Meine Ruh ist hin“. Oder Meeres Stille mit dem Übertitel Lampedusa: Während Julla von Landsberg das Lied ganz zart vorträgt, simuliert das Ensemble durch Körperbewegungen Wellen. Sehr aktuell wirken diese Bilder, aber nie aufgesetzt. Auch humorvolle Szenen gibt es, wenn etwa Yui Kawaguchi zum Klavier-Impromptu den Pianisten übermütig antanzt. Das Stück mündet in ein mitreißendes Finale. Mit überschäumendem Drive intonieren alle Mitwirkenden Das Wandern ist des Müllers Lust . Jeder in seiner Sprache, denn auch die Multinationalität gehört zum Konzept. Aus sieben Ländern kommen die Sänger, Tänzer und Instrumentalisten, und jeder von ihnen bringt seine eigene Geschichte mit ein. Zusammen aber bilden alle ein absolut homogenes Ensemble. Und doch ist ein Solist hervorzuheben: Der Bariton Nikolay Borchev singt so empfindsam und kultiviert, dass er sich als hoffnungsvoller Liedsänger empfiehlt. Viele Bravos und langanhaltender Applaus im fast ausverkauften Konzerthaus nach einem anregenden und beglückenden Abend. Der so facettenreich ist, dass ein einmaliges Erlebnis eigentlich nicht ausreicht. Zur Vertiefung der Eindrücke ist im März kommenden Jahres im Radialsystem Gelegenheit.

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