Was passiert, wenn Rechte regieren?
Während in Österreich ein „Volkskanzler“ die Wahl gewinnt, betritt in Berlin ein „Volksbürger“ die mediale Herzkammer Deutschlands. Im Haus der Bundespressekonferenz hat der Spitzenkandidat der kürzlich gegründeten Partei „Demokratische Allianz“ (DA) seinen ersten Auftritt. Soeben hat er im „Freistaat“ eine absolute Mehrheit erreicht, kann also ohne Koalitionäre regieren.
„Arndt“ steht auf dem Namensschild, das eine Mitarbeiterin des Hauses gewissenhaft dort aufstellt, wo der neue Ministerpräsident gleich Platz nehmen wird. Als er in den Saal tritt, ersetzt sein Personenschützer es allerdings als Erstes durch: „Dominik Arndt“ – dass die Leute seinen Vornamen kennen, ist dem neuen Mann wichtig. Überhaupt spricht er viel von Dialog und Augenhöhe, von direktem Gespräch und offenem Umgang. Sein politisches Programm beginnt dort, wo auch der Alltag der meisten Menschen anfängt: bei Funklöchern, Bildungsfragen und Landflucht.
Auch die Sprache, die er spricht, klingt handfester als die der bisherigen Redner in diesem Raum. Er sei durchdrungen von „Leidenschaft für unser Land“, sagt Arndt und stellt eine mitgebrachte Mineralwasserflasche aus seinem „Freistaat“ auf den Tisch. Liberal, sozial, alternativ und, ja: auch national sei seine Partei. Aber das bedeute erst einmal nicht viel mehr als das, was die meisten Menschen in seinem Land fühlten: Zugehörigkeit.
Als Stilsünde gebrandmarkt
So wie Fabian Hinrichs diesen strahlenden Wahlsieger spielt, hat er nichts Unglaubwürdiges an sich. Die Vorstellung, dass eine neue Partei mit einem halbwegs charismatischen Anführer in kürzester Zeit große Stimmgewinne in einem deutschen Bundesland erzielen könnte, mag niemanden mehr überraschen, der etwa die letzten Wahlerfolge des BSW mitverfolgt hat. Zunächst ist es nur sein Hemd, das etwas über den spezifischen Politikertypus verrät, den Hinrichs an diesem Theaterabend vorführen will. Es ist jenes weiße Oberhemd mit dunkelfarbigen Markierungsknöpfen, das von AfD-Politikern gerne getragen und von hauptstädtischen Modekritikern als „Stilsünde“ gebrandmarkt wird, „deren tieferer Sinn verborgen bleibt“ („Berliner Zeitung“).
Dabei läge zumindest ein Sinn durchaus auf der Hand – nämlich die Sehnsucht danach, den beanspruchten Nonkonformismus auch dadurch zur Schau zu stellen, dass das konventionelle Unschuldsweiß durch ein aufbegehrendes Farbelement gebrochen wird. Ist das die Ästhetik des Widerstands unserer Tage? Jedenfalls spielt Hinrichs, der selbst gerade an einem Buch über Ästhetik schreibt, diesen Machtmann eher als impliziten Usurpator. Von „Machtergreifung“ kann keine Rede sein – selbst der Bundeskanzler gratuliert und die Regierungssprecherin gibt gerne zu, dass Arndt „demokratisch gewählt und daher ernst zu nehmen“ ist.
Aber genau um dieses Adjektiv, um die konkrete Haftbarkeit der Vertrauenskategorie „demokratisch“, geht es dann im weiteren Verlauf dieses vom engagierten Juristen Maximilian Steinbeis verfassten Theaterstücks, das erst etwas schirachhaft daherkommt, aber dann für den staatsrechtlichen Laien doch interessante Antworten gibt auf die gerade überall debattierte Frage: „Was, wenn die Populisten an die Macht kommen?“
Denn kaum ist Arndt im Amt, verdichten sich Hinweise darauf, dass sich in seinem Bundesland ein „Kurswechsel“ in der Asylpolitik abzeichnet und in Ausländerbehörden geltendes Recht gebrochen wird. Natürlich ist es eine Journalistin – so viel Vertrauen in die ehemals eigene Zunft hat der Ex-„Handelsblatt“-Redakteur Steinbeis noch –, die zunächst als „bedauerliche Einzelfälle“ abgetane Missstände aufdeckt und sich ihre Recherchen vom Vertreter einer NGO bestätigen lässt. Vielsagend ist, wie Regisseurin Nicola Hümpel die Nähe zwischen Hauptstadtjournalisten und Moralvertrauten inszeniert: Da werden Visitenkarten ausgetauscht und Bestechungsblicke gewechselt. Wenn dann aber milieufremde Gäste den Raum betreten, verhärten sich die Mienen schnell. So stößt beispielsweise ein Landrat, der von „Ukrainern in SUVs“ oder von „Multikulti-Städten“ spricht, sofort auf wütendes Kopfschütteln – nicht nur bei den Schauspielern, sondern auch beim hauptstädtischen Publikum.
Das Volk auflösen?
Dass bei den Auftritten des Landrats stets Fanfarenmusik eingespielt wird, entspricht jener fahrlässigen Bereitschaft zur Verächtlichmachung alles Bodenständigen als moralrückständig, die viel politischen Schaden angerichtet hat. Und doch stellt der Theaterabend eben nicht nur eigene Vorurteile in den Raum, sondern buchstabiert aus, welche Eskalation möglich wäre, wenn ein Ministerpräsident sich dem geltenden Bundesrecht widersetzte: Erst versucht es die Bundesregierung mit Krisendiplomatie, dann mit einem Beauftragten und schließlich mit einer (erfolgreichen) Klage in Karlsruhe. Als Arndt auch dieses höchste Urteil missachtet, schickt Berlin die Bundespolizei in den „Freistaat“, um Akten zu beschlagnahmen und den Ministerpräsidenten festzusetzen. Der flieht ins Ausland und zitiert Brecht: „Wäre es nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Das Performance-Kollektiv „Nico and the Navigators“ und Fabian Hinrichs präsentieren einen politischen Nachhilfeabend in Sachen Demokratiegefährdung. Am Ende ist es eine unheilvolle Unterscheidung, an der alles hängt – nämlich die zwischen „politischer Verantwortung“, die Arndt für sich beansprucht, und den „juristischen Fachproblemen“, die er für nachrangig hält. Das entspricht fast wörtlich dem, was der Anführer der seit Sonntag stärksten politischen Kraft in Österreich in Aussicht stellt: Im Falle einer Regierungsübernahme, so Herbert Kickl, würde er keine Asylanträge mehr annehmen – egal, was das Recht sagt.
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