Wenn Schubert herumgeistert
"Nico and the Navigators" kommen mit "Wo du nicht bist" in die Muffathalle Als Nicola Hümpel in München einen Pullover kaufen ging, hörte sie im Kaufhaus eine Schubert-Klaviersonate. Da Frau Hümpel keineswegs dazu neigt, ihr eigenes Ich im Verhältnis zur sie umgebenden Welt als Maßstab zu sehen, war sie nicht entsetzt vom ökonomiebestimmten Umgang mit der von ihr geliebten Musik. Sie wunderte sich nur. "Nichts ist schöner, als Schubert ins Jetzt zu heben." Das muss selbstverständlich nicht im Kaufhaus passieren, das ist naturgemäß der völlig falsche Platz dafür. Aber dass eine ihrer Schauspielerinnen Schubert im Walkman hört und ihre WG in Berlin-Friedrichshain damit infiziert, das freut sie schon. Für Nicola Hümpel ist Schubert ein lieber Freund. "Schuberts Musik ist die Verschmelzung von Glück und Unglück, der undefinierte Zustand im Jetzt." Bei den Bregenzer Festspielen gibt es die Reihe "KAZ - Kunst aus der Zeit". Und die beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen dem, was wirklich ist, und dem, was unwirklich ist. Folgt man Nicola Hümpel, dann ist diese Unterscheidung eine Wissenschaft für die Engel. Als Künstlerin heißt Frau Hümpel Nico und beschäftigt sich seit 1998 zusammen mit dem Bühnenbildner Oliver Proske mit der physischen Bebilderung einer psychologischen Spurensuche. Ihr Theater ist politisch, poetisch, wundersam, ihre Berliner Truppe eine Ansammlung verhaltenshauptstädtischer Körpertheatertiere mit windschiefen Frisuren und pastellfarbenen Schlaghosen. Im Sommer 2006 brachten "Nico and the Navigators" in Vorarlberg ihre achte Produktion zur Uraufführung. Am 7. und 8. Februar ist "Wo du nicht bist" nun in der Muffathalle zu sehen. Und wer von der Jury für das Berliner Theatertreffen Zeit hat, der sollte da hingehen. Die Navigators waren in München schon öfters zu Gast. Zunächst im Rahmen vom Spielart-Festival, dann aber lud Dietmar Lupfer von der Muffathalle sie auch eigenständig ein. Das war stets gut so, weil man so wundersam fragile Theatermomente, die schon im Augenblick ihres Entstehens vom Verschwinden bedroht sind, selten erleben kann. Ein halbes Jahr nach der Bregenz-Premiere liefert Frau Hümpel in einem Münchner Café dafür möglicherweise eine Erklärung. In allen ihren Arbeiten sei Schubert herumgegeistert. Und die Schönheit des Augenblicks kann man nicht festhalten. Sie zerrinnt. Der Wanderer muss weiter, die Reise in den eigenen Winter ist nie zu Ende. Dass nun Schubert schließlich zum expliziten Thema der Navigators wurde, liegt darin, dass Nico irgendwann zwangsläufig dessen Herumgeistern beenden musste und ihn explizit aufnehmen musste in ihren eigenen Diskurs von der Zerschredderung des Ichs, der fragilen Möglichkeit von Sehnsucht und der Frage, wie die äußere und die innere Welt zusammenhängen. Es geht ihr um Schubert als in sich selbst nur höchst ungenügend Behauster; entsprechend heißt der Abend eben "Wo du nicht bist", in Analogie zu Schuberts Lied "Der Wanderer", in welchem der zitierte Satz lautet: "Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück." Wandern, suchen - ein vergebliches Bemühen. Keine Manifestation. "Wo du nicht bist" ist ein Schubert-Abend und auch wieder nicht. Er ist zunächst ein Nico-Abend, mit bekannt unheimelig-steriler Bühne, die nicht einmal in den verkrachten Berliner Sophiensälen, Nicos Heimstatt, zu einem selbstverständlichen Zuhause wurde. Das ist ein Abend mit acht skurrilen, verkruschterten Akteuren, die sich zusammenfinden und wieder auseinander stieben, die einen sinnlosen Balkon erobern, von zwei kleinen Hügeln hinunter rollen, zu verbogenem Paarverhalten für Sekunden zusammenfinden. Und es ist eben doch ein Schubert-Abend, weil Nico mit der Osttiroler Combo Franui zusammengetroffen ist. Schuld daran war Thomas Wördehoff, Chefdramaturg der Ruhrtriennale. Dort sollte "Wo du nicht bist" ursprünglich herauskommen, aber so schnell ging das nicht. Wichtig aber war das initiierte Zusammentreffen der Musiker mit den Theatermenschen, das Anstoßen einer aneinander sich reibenden Auseinandersetzung, die noch lange nicht ihr Ende gefunden hat. Franui also, diese aufgeklärte Heimatband, sitzt in der Aufführung in einer Art Spieldose, mit viel Blech, Hackbrett, Geige und Harfe, wird am Anfang quasi mit einer Kurbel aufgezogen und unterlegt das Nico-spezifische Treiben mit einem Klang-Teppich, feingewoben aus vielen schönen, in erster Linie klanglich behutsam transformierten Liedern Schuberts, denen der Abschied vom geliebten Ich (das eigene oder ein fremdes), Trauer und Zerfall innewohnt. Aber vor allem die Suche, die Wanderschaft. "Ein Stück über die Höhenflüge und Abgründe des Glücks" (Nicola Hümpel). Für Hümpel war die Arbeit an "Wo du nicht bist" vergleichbar mit der Entwicklung einer Oper - tatsächlich ist der Produktionsaufwand mit dem eines Stücks Musiktheater vergleichbar, weshalb das Münchner Gastspiel ein kleines Wunder ist. In ihren bisherigen Arbeiten hatte Nicola Hümpel alle Freiheiten, aus improvisatorischen Prozessen die ihr wichtigen Ergebnisse herauszudestillieren. Mit Schubert und Franui ging dies nicht mehr. Zum ersten Mal hatte sie die Vorgabe präziser Zeiteinheiten, die zu füllen waren. Und dennoch entstand damals in Bregenz ein Abend von einer irisierenden, organischen Leichtigkeit, dem man keineswegs ansah, dass Frau Hümpel die völlig entkräfteten Schauspieler nach der Generalprobe ins Bett geschickt und ihnen das Nachdenken verboten hatte. Franui haben mal, in einer Art klanglicher Vorstellung eines Ballsaals auf einer Almwiese, Schuberts "Deutsche Messe" eingespielt. Die Alten in ihrem Tal nennen sie die "Kompassmesse", weil sie mit den Worten "Wohin soll ich mich wenden" beginnt. Aus diesem Witz wird in "Wo du nicht bist" Ernst. Mit Schuberts Liedern zeigt der Kompass ins Innere der acht Schubert-Nico-Körper. Die Akkorde des "Leiermanns", die melodische Süße des "Ständchens", die erhoffte Ruhe in "Wandrers Nachtlied II" - all dies sind Momente, in denen die Akteure ein Glück finden könnten, in einer Umarmung, in der Lektüre eines zerfledderten Buchs oder auch schlicht in der Erkenntnis, dass der eigene Name tatsächlich zu einem gehört. Zwar ist dies alles todesnah, doch ist das Ende keineswegs niederschmetternd, sondern zerreißend schön: Eine Geige spielt die Melodie von "Abschied", wie eine schwebende, übermenschliche Stimme. Der Text dazu würde lauten: "Über die Berge zieht ihr fort. Kommt an manchen grünen Ort; muss zurücke ganz allein. Lebet wohl! Es muss so sein."
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