Whisky für alle!
Unser Konzertleben gleicht einem seltsamen Ritual, bei dem mit Herunterdrehen des Saallichtes Konzentration einsetzen soll. Nach der vollständigen Wiedergabe eines Werks darf geklatscht werden, und in der Pause trinkt man ein obligatorisches Gläschen. Seit 120 Jahren geht das nun so, Abend für Abend – auch wenn Musik erklingt, die unter solchen Umständen niemals uraufgeführt worden wäre. Neue Konzertformen zu finden, die möglicherweise ganz alte sind, ist ein lohnendes wie kritisch beäugtes Unterfangen. Das Theaterensemble Nico and the Navigators tüftelt an einer Reihe inszenierter Konzerte, im Rahmen des Zeitfenster- Festivals gibt es mit „Angel’s Share“ eine leicht flüchtige und dabei zart erheiternde Kostprobe. Der „Anteil der Engel“ bezeichnet jene Menge Whisky, die im Laufe der Lagerung aus den Fässern weicht. In das Land der beschwipsten Himmelsboten und irdischen Teufelsgeiger, hingestreckt unter einem endlosen Horizont bis zum tosenden Atlantik – nach Schottland führt dieses staged concert im Radialsystem. Reisebegleiter sind ein strubbliger Englishman (Adrian Gillott), dessen Herz für Schottland schlägt, eine Tänzerin (Nadine Milzner), die ein bisschen wie Cate Blanchett als britische Königin aussieht, eine wundervoll wache Sopranistin (Julla von Landsberg) und die beherzten Urban Strings aus den Reihen das Akademie für Alte Musik. Sie spielen Purcell und Fiddle-Ware aus den Highlands, zwischen höfischem Zeremoniell und Pub – und wundern sich aufs Liebevollste übereinander. Man entfaltet Landkarten, betrachtet Dias, schichtet Gläser, in denen schließlich Whiskey landet, für alle. Natürlich ist das Trinken eher symbolischer Natur und es traut sich kaum jemand, mitklatschend in die scottish tunes einzufallen. Auch Purcells Gassenhauer, der sich daran berauscht, dem Feind die Stadt niederzubrennen, bleibt ungesungen. Das hätte dem reizenden Abend einen scharfen Ton verliehen. Schon vor der Tür, am Spreeufer, ist er verweht, der Whiskyhauch.
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