Wie eine Feuerschmiede – Nicola Hümpel inszeniert „Der Barbier von Sevilla“ an der Staatsoper Hannover

1816, das Uraufführungsjahr von Gioachino Rossinis „Der Barbier von Sevilla“, ist auch in Rom keineswegs ein gemütliches Jahr. Die napoleonischen Kriege waren vorbei, in die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden mischte sich die zensurscharfe Restauration. Michael Talke bot in Bremen vor vier Jahren eine Aufführung, in der er die Menschen in einem beispiellosen Egoismus zeigte und gleichzeitig der Absurdität und der Komik freien Lauf ließ. Dieses Stück einer Frau anzuvertrauen, die sich in ihren preisgekrönten Performances und Installationen viel mit Musik beschäftigt, war eine gute Idee der Staatsoper Hannover. Denn Nicola Hümpel, Gründerin der seit zwanzig Jahren erfolgreichen Gruppe „Nico and the Navigators“ vermeidet in ihrer mit stehenden Ovationen bejubelten Arbeit jeglichen Versuch einer wie auch immer gearteten Theorielastigkeit. Das mag man bedauern, das setzt aber Situationen frei, die dann ihrerseits doch sehr eindeutig sind. Die Szenen werden gefilmt und zeitgleich in riesiger Vergrößerung der Gesichter vor allem gezeigt. Doch was zunächst einmal wie ein nicht besonders einfallsreiches schauspielerisches Kammerspiel wirkt, verändert sich im Laufe der Aufführung zu einer immer stärker werdenden Komplexität von Bedeutungen. Denn die Bilder im Hintergrund verschränken sich mit der Aktion im Vordergrund: wenn zum Beispiel die arme Rosina ihre Wut gegen Bartolo vor seiner Übergröße raushaut – eine ganz kleine Frau gegen einen Riesen – auf einmal ein erschütterndes Bild. Oder wenn in einem Sextett im Hintergrund als Fadenzieher nur Figaro und Almaviva zu sehen sind. Und dann erscheinen auf einmal Bilder, die sehr wohl von der Einsamkeit der Menschen erzählen, so die Gewittermusik. Sie läuft ab vor drehenden abstrakten Formen und Landschaften (Bühne von Oliver Proske), die Menschen taumeln regelrecht darin: ihr „Gehirn als Vulkanausbruch“ oder „wie eine Feuerschmiede“, wie es im Text heißt. Oder auch ein wunderbares hoffnungsvolles Bild: Ein unglaublicher Wind weht alle in eine andere, hoffentlich bessere Zeit. Dass das alles so gut funktioniert, ist natürlich auch und besonders der musikalischen Aufführung zu verdanken: Einmal kann man vom Singen alles sehen, die Zunge, den Speichel, den Unterkiefer, die Zahnplomben, aber alle Sänger*innen bieten auch exzellente psychologische Studien in der Mimik. Nina van Essen, Sunnyboy Dladla und Hubert Zapiór sind neu im Ensemble: van Essen als Rosina ist eine Idealbesetzung, Dladla als Almaviva bietet durchgehend verzaubernde und unendlich komische Lebenslust und Zapiór als Figaro tobt mit einer immer auch ironischen – sein Ebenbild hat er an Oberarm tätowiert und küsst es auch mal – Selbstsicherheit und einem hinreißenden Gesang nur so durch die Szene. Frank Schneiders als Bartolo zeichnet eine empfindliche Lebensunsicherheit, Daniel Miroslaw als Basilio und Carmen Fuggiss als Berta ergänzen das Trio vortrefflich. Alles unterliegt der geschmeidigen Souveränität der musikalischen Leitung von Eduardo Strausser: er betont mit dem Staatsorchester alle Details, so dass eine brillante Genauigkeit einhergeht mit einer geradezu berauschenden Lebenslust. Es dauerte keine Minute, da stand das Publikum.

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