„Wo Du nicht bist“, ein Stück über das Glück
„Nico and the Navigators“ und die Tiroler Musikgruppe „Franui“ bezaubern in den Sophiensaelen Berlin ihr Publikum Diese Truppe ist von Gott auf die Stirn geküsst. „Nico and the Navigators“, von Nicola Hümpel 1998 am Bauhaus Dessau erstmals präsentiert und dann in den Sophien- saelen Berlin heimisch geworden, ist immer noch ein geliebter Geheimtipp, das aber durchaus weltweit. Mit Gastspielen beim Theatertreffen, bei den Wiener Festwochen und in weiter Welt unterwegs, kommen sie jetzt von den Bregenzer Festspielen mit einer neuen Produktion ins Berliner Mutterhaus und be- und verzaubern ihr Publikum mit dem gemeinsam entwickelten Stück über das Glück „Wo Du nicht bist“. „Überall ist es schön, wo ich nicht bin“ mault nicht nur heute auch manch jugendlicher Melancholiker. Der kann sich dabei auf Franz Schubert berufen, der ihm im Lied „Der Wanderer“ schon zuvor kam: “Dort, wo Du nicht bist, dort ist das Glück“. Ein „geliebter Gegner“, wie er hier in der Textcollage aus griechischen, römischen, deutschen und englischen Philosophen, aber auch Texten von Simone de Beauvoir, Albert Camus oder der Sängerin Francoise Hardy, angesprochen wird - aber so schwer dingfest zu machen ist. Wie soll man es fangen, haschen, erwischen, sich nicht nur erträumen? Die acht Schauspieler ( Niels Bovri, Christoph Glaubacker, Anne Paulicevich, Verena Schon-lau, Patric Schott, Andreas Schwankl, Gerd Lukas Storzer, Myoko Urayama) denken darüber auf Deutsch, Englisch , Französisch nach und entwickeln dabei nachdenk-lich, spielerisch, kess und komisch, aus ihren Individualitäten der glückhaften, muti-gen, aber eben auch demütigen Art eine seltene Theaterform: hier gibt es keine Be-hauptungen, keine Forderungen, sondern nur staunend neugierige Fragen an sich und die Welt. Das führt zu lustigen Spielen wie der Blick zu den Sternschnuppen, bei denen man sich etwas still wünschen kann, aber auch zum Silvesterspiel, dass jede ausgespuck-te Weintraube für eine kleine Hoffnung steht. In Oliver Proskes wieder bauhausklarer Bühne können sie mit Ball und Schlitten, Eimer und Wasser spielen, plantschen, aber auch in Büchern blättern, ihren Gedanken nachhängen, sie einander anvertrauen oder sich sagen lassen, dass einer nur soviel arbeitet, weil ihm das Talent zum Glück fehlt. Andererseits aber gibt es auch Leute, die sich ihr Unglück oder auch nur das Fehlen von Glück gar nicht wollen rauben lassen, weil sie wie schon Marlene Dietrich bei Felix Hollaender „Angst hat vor dem Glücklichsein“ haben. Was hier in Nicola Hümpels Regie aus monatelangem gemeinsamem Erdenken, Erfühlen, Erproben entstanden ist, ist ein Tableau einer durchaus heutigen Romantik. Kein Biedermeier, das im eigenen Heim den Kopf graziös und bildungsfreudig in den Sand steckte, sondern eine gedankenvolle Poesie, eine spielerische Melancholie, eine Labsal für Herz und Hirn, die Wege aufzeigen kann ins Licht einer malerischen Zukunft. Die Trauer um das vermisste und die Hoffnung das erwünschte Glück, die Nähe zwi-schen Leben und Tod finden Nico and the Navigators im Zusammenwirken mit den neun hinreißenden Musikern von „Franui“, einer Musicbanda aus einem Bergdorf in Osttirol. Die haben sich 18 Lieder von Franz Schubert eigenwillig zu eigen gemacht und damit in ihren Musikpavillon wie in einer Spieluhr auf Hackbrett und Harfe, Gitarre und Akkordeon, Posaune und Kontrabass eine Klangwelt geschaffen von traurig erdigem Zauber und frommer Entrücktheit. In ihrem Dorf fürs Tanzvergnügen wie fürs Totenfest zuständig, führen sie beides hier anrührend zusammen. So bekommt der Abend eine metaphysische Dimension, die der Poesie und Melan-cholie einen Ernst gibt, den die Schauspieler immer wieder aufzubrechen wissen. Sie bringen Anmut und Charme ein, das Lachen mit einer Träne im Knopfloch. So spielen sie gedankenvoll mit der Suche nach Glück und bereiten sich auch schon vor auf den Verzicht in Weisheit. Ein kleiner Abend des großen Glücks für die hingerissenen Zuschauer, eine Reise wert.
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