Der Familienrat

Mit der Familie beleuchten die Navigators eine weitere Keimzelle der Gesellschaft und untersuchen die mysteriösen Spielregeln und Rituale dieser naturgegebenen Menschen­konstellationen. Am Ende entscheidet der Zuschauer mit welchem Protagonisten er sich in welche Familiengeschichten einlässt. 

In ihrer fünften Produktion beleuchten NICO AND THE NAVIGATORS eine weitere Keimzelle der Gesellschaft: die Familie. Untersucht werden einzigartige, mysteriöse Spielregeln und Rituale, die dem Erhalt dieser naturgegebenen Menschenkonstellationen dienen. Der Familienrat nimmt seine Mitglieder unter die Lupe: Wie im Leben offenbart sich beispielsweise der Archetyp ‚Mutter’ gleichzeitig auch in seiner Rolle als Schwester, Ehefrau, Tante oder Geliebte. Am Ende entscheidet das Publikum, mit welchem Protagonisten es sich auf welche Familiengeschichten einlässt, denn die wahre Fantasie spielt sich im Kopf des Zuschauers ab. 

 

Im Jahr 2002 entstand das Stück in Berlin und tourte anschließend durch Europa, wobei es sich stark weiterentwickelte. Vom Publikum und der internationalen Presse zunehmend geliebt, wurde die Produktion 2005 im italienischen Theaterjahrbuch ‚Patalogo’ unter der Rubrik „bestes ausländisches Gastspiel“ gleich von 3 Kritikern gewählt. Im Jahr 2008 nahm das Ensemble diese Produktion als Familienrat II mit einer Umbesetzung erfolgreich wieder auf. 

 

Ihre strahlenden Augen waren seine Lebensgrundlage…  

Von Balkon zu Balkon tauschten sie telepathische Fähigkeiten…  

Die Ruhe im Kräutergarten war besser als jede Altersvorsorge…  

Er konnte lügen, schielen und seine Frau beglücken; sie war wild und verträumt… 

Manchmal fühlten sie sich einfach sprachlos wohl… 

In der Familienkutsche hatte jeder seine eigene Geschichte… 

Er war zu dünn, um Verantwortung zu übernehmen… 

Zum Erhalt malerischer Harmonie argumentierte er mit Besitz ergreifendem Charme gegen gewisse Regeln… 

In der Garage träumte er vom Fliegen…

MANCHMAL FÜHLTEN SIE SICH EINFACH SPRACHLOS WOHL …

Nachdem im Zyklus Menschenbilder tapfer Abschied genommen, hoffnungslos gearbeitet und die Dingwelt auf Gesellschaftstauglichkeit getestet wurde, gräbt die fünfte Produktion noch tiefer nach den Wurzeln menschlicher Fehlfunktionen und legt die Quelle allen Unheils frei. Erstmals deutet auch der Stücktitel unmissverständlich darauf hin. 

Die liebe Familie. Sie ist der Nährboden jeglicher sozialen Entwicklung und als Urzelle wesentlich dafür verantwortlich, wie gut oder schlecht sich ihre Schützlinge später durchs Leben schlagen werden. Sie spiegelt im Kleinen sämtliche Variationen gesellschaftlicher Ordnung und Unordnung, erstellt so manches Regelwerk ohne Zielbestimmung, beharrt auch in der größten Not auf ihren Ritualen und ist bei all dem stets darauf bedacht, ihr äußeres Erscheinungsbild auf Hochglanz zu halten. Wenn sich aber trotz aller Anstrengung doch etwas Rost auf den Goldlack legt, lauern Nico and the Navigators vor dem trauten Heim und gewähren einen heimlichen Blick hinter die rote Schrankwandfassade. Dann wird vielleicht der Vater beim lustvollen Polieren eines Damenschuhs vom Sohn ertappt und droht die Tochter am Familienballast in Brötchenform zu ersticken. Der kleine Bruder erfährt bitter, was es heißt, der Letzte zu sein und der Ehemann knöpft irgendwann die unerträglich gute Laune seiner Frau mit ihrem gelben Mantel zu. „Ihre strahlenden Augen waren seine Lebensgrundlage.“ Doch immer wieder ändert sich die Perspektive, verschwimmen die Rollenzuschreibungen und entscheidet der Zuschauer selbst, wann er hinter der Schwester die Geliebte und im Onkel den Enkel sieht. 

Nach der Uraufführung tourt das Stück durch Europa und wird im italienischen Theaterjahrbuch Patalogo 2005 von mehreren Kritikern in der Kategorie „bestes ausländisches Gastspiel“ erwähnt. Der Familienrat ist bislang die einzige Produktion der Kompanie, die nach längerer Spielpause eine Neuinszenierung erfährt: 2008 wird sie als Familienrat II nach fünf Jahren noch einmal aufgenommen. Geprägt von ganz unterschiedlichen auch familiären Entwicklungen der Ensemblemitglieder bietet der Stoff nach wie vor ein spannendes Spielfeld für alle Beteiligten.

MARIE HENRION

 

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Pressestimmen

Lorenz Tomerius / Märkische Oderzeitung

…Sie sind Fußgänger in der Luft, Pfadfinder der Glückseligkeit, staunend, verwirrt, verwirrend und zeigen, dass man auf dieser durchorganisierten Erde durchaus vom anderen Stern sein kann – ja sogar sein muss. Bei ihnen bekommen Alltagsverrichtungen sanft-verrückte Slapstick-Dimensionen. Sie stolpern, sie schweben durchs Leben, ungefährdet, weil Dutzende von Schutzengeln sie immer wieder auffangen. Sie passen in kein Raster, kein Schema, kein System. Sie sind immun gegen Erziehung und Normierung,…

Lorenz Tomerius / Märkische Oderzeitung

Begeisterung für "Nico and the Navigators" bei der Uraufführung ihres neuen Stückes "Der Familienrat" in den Berliner sophiensælen Berlin. „Familienbande“ ist ein Wort mit doppelter Bedeutung, sinierte einst der Wiener Satiriker Karl Kraus. Auch „Der Familienrat“, so der Titel der neuesten, in den Berliner sophiensælen bejubelten Kreation von „Nico and the Navigators“ trägt so Familienballast, der ratlos macht. Frustriert schleppt man auf dem jugendlichen Lebensbuckel die unerbittlich wohlgemeinte Last elterlicher Erziehung mit sich herum, spürt, wie sie den aufrechten Gang, den Sprung in die Lüfte gar, verhindert. Und möchte schier verrückt werden. Das tun „Nico and the Navigators“ nicht. Das kleine, feine, originelle und spezielle Ensemble um Nicola Hümpel startete 1998 am Bauhaus Dessau und kam schnell im maroden Charme der Avantgarde-Brutstätte am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte in Obhut. Im neuen Stück zeigen die Schauspieler einmal mehr, dass sie keine Bilderstürmer, keine Protestschreihälse, keine Profilneurotiker sind. Nicht mehr Geheimtipp, noch nicht routinegefährdet, ist ihr Markenzeichen der feine Humor, die verquere Poesie, das leise Denken um die Ecke, das Hinwehen auf den ersten Blick wirrer, auf den zweiten abgründig nachdenklicher Sprachsplitter wie „Sie wissen, was sie wollen sollten, aber sie wollen gar nicht“. Sie sind Fußgänger in der Luft, Pfadfinder der Glückseligkeit, staunend, verwirrt, verwirrend und zeigen, dass man auf dieser durchorganisierten Erde durchaus vom anderen Stern sein kann – ja sogar sein muss. Bei ihnen bekommen Alltagsverrichtungen sanft-verrückte Slapstick-Dimensionen. Sie stolpern, sie schweben durchs Leben, ungefährdet, weil Dutzende von Schutzengeln sie immer wieder auffangen. Sie passen in kein Raster, kein Schema, kein System. Sie sind immun gegen Erziehung und Normierung, mit Schusseligkeit begnadet, träumerisch lächelnd, mit nachdenklichem Witz, aufs Schönste weltfremd, weil eine so grauslich fade Welt in ihrer poesievollen Vorstellung gar nicht existiert. Diese Ritter von der kosmisch-komischen Gestalt, bei denen Grund und Abgrund, Sinn, Hinter- und Unsinn unmerklich ineinander übergehen, wohnen deshalb auch in einem von Oliver Proske wieder hinterlistig genial konstruierten Schrankwandmöbel mit verblüffendem Eigenleben. Die streng schöne hölzerne Wundertüte ist ein Überraschungscoup. Genau der rechte Spielplatz für diesen Kunst-Crossover, den Annedore Kleist, Verena Schonlau, Patric Schott, Peter Stock, Isabelle Stoffel, Sinta Tamsjadi und Julius Weiland in achtzig nachdenklich amüsanten Minuten vollführen. Was da an kleinen Geschichten, sanften Dramen, lachhaften Katastrophen unter dem Siegel von Familienobhut und Zwangsverwaltung abläuft, wird nun auch zwischen Krakau, Granada und Groningen, zwischen Mühlhausen und Montreal besinnlich erheitern. Es endet in weihnachtlichem Frieden: leise rieselt der Schnee als frisch geriebener Semmelbröselsegen und Lämmer blöken und mähen sanft und blöd „Stille Nacht“.

Andreas Hillger / Mitteldeutsche Zeitung

…Hinter den Verdrängungen und Kompromissen, die für das Zusammenleben jeder Familie überlebensnotwendig scheinen, entdecken sie die Hackordnungen der Generationen und Geschlechter,… Die Erfahrungen äußern sich direkt in physischen Defekten, die als nervöser Tick beginnen und in kleinen Katastrophen enden können. Dass man selbst aus solchem Desaster auch in der Wirklichkeit wieder in einen Alltag finden muss, kommt der vordergründig anekdotischen und doch psychologisch verzahnten Spielweise des Ensembles sichtlich entgegen…

Andreas Hillger / Mitteldeutsche Zeitung

Nico and the Navigators zeigen ihr neues Stück "Der Familienrat" Dessau/MZ. Die Brötchen der Kindheit sind blass und trocken, sie quellen im Mund wie erstickende Knebel oder zerbröseln bei der leisesten Berührung. Gewiss könnte man aus ihnen kleine Teigkügelchen formen oder sie mit dem Finger durchbohren – was man aber natürlich nicht wollen soll. Und selbst wenn man den Ernährungs-Ideologen Glauben schenkt, die gesündere Unterhälften angeblich dem eigentlich begehrterem Gegenstück vorziehen: Immer bleiben am Ende Krümel zurück, die unter den Füßen knirschen und sich nur mit großer Mühe beseitigen lassen. Mit ihrem neuen Stück „Der Familienrat“, das nach Vorstellungen in Berlin und Düsseldorf dank der Finanziellen Förderung durch das Nationale Performance Netz am Bauhaus Dessau zu Gast sein kann, suchen Nico and the Navigators nach Kindheitsmustern in einer Gegenwart. Dabei wirken sie im dunklen Winkel unter der Treppe, am Klettergerüst oder am Festtagstisch so verloren und dünnhäutig wie nie – was bei der inzwischen an den sophiensælen in Berlin-Mitte heimischen Truppe natürlich nicht in Tristesse ausartet. Davor wird das Ensemble um Regisseurin und Kostümbildnerin Nicola Hümpel schon durch Oliver Proskes Bühnenbild geschützt, das sich einmal mehr als Wunderkammer entpuppt: Flügeltüren verwandeln sich hier unversehens in tatsächliche Schwingen, solide Wände öffnen sich in geheime Kammern und ein Schuhregal macht sich berechtigte Hoffnung auf ein neues Leben als Showtreppe. Das dunkle Rot und die Messingbeschläge geben dem raum eine repräsentative Anmutung, die durchaus an eine „gute Stube“ denken lässt. Ein solcher Schutz- und Schamraum ist es auch, in dem die sieben Darsteller ihre überraschend beständigen Charaktere entwickeln. Hinter den Verdrängungen und Kompromissen, die für das Zusammenleben jeder Familie überlebensnotwendig scheinen, entdecken sie die Hackordnungen der Generationen und Geschlechter, deren Kulmination zuletzt in der Film-Adaption „Das Fest“ durch Michael Thalheimer ablesbar wurde. Bei den Navigatoren aber braucht es keine Wortkaskaden, um das Verschwiegene aufzuwühlen oder zuzudecken. Die Erfahrungen äußern sich direkt in physischen Defekten, die als nervöser Tick beginnen und in kleinen Katastrophen enden können. Dass man selbst aus solchem Desaster auch in der Wirklichkeit wieder in einen Alltag finden muss, kommt der vordergründig anekdotischen und doch psychologisch verzahnten Spielweise des Ensembles sichtlich entgegen. Dabei passen sich die beiden neuen Akteure auf fast schon gespenstische Weise in das darstellerische Spektrum ein: Fast hat man das Gefühl, als hätten genau diese beiden Gesichter bislang gefehlt. Dass sie sich nun in jene „Family Affair“ mischen, die im schlafwandlerischen Soundtrack einmal als „Brüder unter Waffen“ beschrieben wird, bleibt eine glückliche Fügung.

Britta Willeke / Rheinische Post, Feuilleton

…die Verhaltensrituale und Vorgänge im alltäglichen Miteinander werden in eine spezifische Theatersprache übersetzt. Dem Zuschauer wird nichts Greifbares geboten, es gibt auch keinen Handlungsstrang, den man verfolgen könnte… Der Zuschauer ahnt und fühlt mehr, als dass er weiß und denkt. Erst die Komposition aller Momente führt zu einer Erkenntnis, nämlich, etwas Besonderes erlebt zu haben… man muss es sehen…

Britta Willeke / Rheinische Post, Feuilleton

Es ist häufig schwer, mit bloßen Worten einem Stück gerecht zu werden, das für die Bühne konzipiert ist; das also gesehen und gehört werden will. Es ist allerdings noch schwerer, über ein Stück zu schreiben, wenn die Absicht des Geschehens darin besteht, etwas darzustellen, was jenseits der sprachlichen Vermittelbarkeit liegt. Und das ist vielleicht schon die wichtigste Aussage, die man zu dem neuen Stück der Berliner Gruppe „Nico and the Navigators“ machen kann: man muss es sehen. „Der Familienrat“ ist die vierte Produktion, die Regisseurin Nicola Hümpel und ihre Navigatoren im FFT Juta zeigen. Angeregt durch den skandinavischen Dogma-Film „Das Fest“ beschäftigt sich die Gruppe in ihrem neuen Stück mit den komplexen Rollen und Ritualen innerhalb der Familie. Es geht um Spielregeln und Verhaltensmuster, die das System Familie aufrechterhalten: Sie reichen vom Putzwahn bis zum sexuellen Missbrauch, vom Verliebtsein bis zur Außenseiterrolle. Auf der Bühne des Wilhelm-Marx-Hauses wird nichts von dem tatsächlich gespielt. Sondern die Verhaltensrituale und Vorgänge im alltäglichen Miteinander werden in eine spezifische Theatersprache übersetzt. Dem Zuschauer wird nichts Greifbares geboten, es gibt auch keinen Handlungsstrang, den man verfolgen könnte. Die Betonung im Stück liegt auf jedem einzelnen Moment. Und aus jedem Moment entstehen Bilder, Assoziationen. Der Zuschauer ahnt und fühlt mehr, als dass er weiß und denkt. Erst die Komposition aller Momente führt zu einer Erkenntnis, nämlich, etwas Besonderes erlebt zu haben. „Er weiß was er wollen sollte, er will aber gar nicht“; „er war zu dünn, um Verantwortung zu tragen“; „manchmal fühlten sie sich sprachlos wohl“ – immer mal wieder hallen solche Aussagen der Schauspieler durch den Theaterraum. Sie bilden das Gerüst für das sonst überwiegende Spiel aus Mimik, Gestik und Bewegung, unterstützt von unterschiedlichen Rhythmen, gelben Bechern, Brötchen und einem Bühnenbild besonderer Art, das sich verwandeln kann. Denn aus einer unscheinbaren roten Wand werden plötzlich Treppen, versteckte Zimmer und Garagentüren. Das ist das Werk von Oliver Proske, der gemeinsam mit Nicola Hümpel die Stücke der Navigators konzipiert. Er unterstützt und unterstreicht immer wieder mit seinen ungewöhnlichen Konzeptionen das Bühnengeschehen. Und wenn der roten Wand alle Geheimnisse entlockt sind, schließt der Familienrat. Im Hintergrund blöken Schafe „Stille Nacht, heilige Nacht“, und auf den Außenseiter der Herde rieselt leise der Brötchen-Schnee.

Antonia Kasparek / Westdeutsche Zeitung

…Poetisch und surreal wirkt die Inszenierung… Die Vielfalt menschlicher Verhaltensrituale, die oft rational nicht begründbaren Vorgänge im Familienalltag, übersetzen die sieben Schauspieler in ihre spezifische Theatersprache. Dabei sind Worte fast überflüssig geworden. Die Inszenierung lebt von einer Bildsprache, die dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, frei zu assoziieren und seiner Fantasie keine Grenzen setzt…

Antonia Kasparek / Westdeutsche Zeitung

Weihnachten kann kommen: "Der Familienrat" des Ensembles "Nico and the Navigators" tagt im FFT Juta Die Musik verrät es: Es ist Weihnachten, und zu keiner anderen Zeit des Jahres drängt sich die Familie so in unser Bewusstsein und lässt unterschwellige Konflikte hervortreten. Schon der Schriftsteller Heimito von Doderer wusste, „wer sich in die Familie hineinbegibt, kommt darin um“. Familie, ein Begriff, so komplex wie eine Therapie-Sitzung. Jedes Mitglied hat stillschweigend seine Rolle darin übernommen, macht gute Miene, um die oberflächliche Feiertagsharmonie nicht zu gefährden, obwohl innerlich Gewalt und Aggressivität brodeln, die Gefahr laufen, sich plötzlich zu entladen. Das Ensemble „Nico and the Navigators“ um Regisseurin Nicola Hümpel nähert sich mit ihrem neuen Stück „Der Familienrat“ diesen für Außenstehende meist befremdlichen Spielregeln der lieben Verwandtschaft. Die Vielfalt menschlicher Verhaltensrituale, die oft rational nicht begründbaren Vorgänge im Familienalltag, übersetzen die sieben Schauspieler in ihre spezifische Theatersprache. Dabei sind Worte fast überflüssig geworden. Die Inszenierung lebt von einer Bildsprache, die dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, frei zu assoziieren und seiner Fantasie keine Grenzen setzt. Dabei werden die Dinge ihrer gewöhnlichen Bedeutung beraubt. Ein Kleiderbügel kann auch zum Schreiben benutzt werden und die Dusche wird zum Kleiderschrank. Diese Wandelbarkeit unterstützt die rot gehaltene Bühne von Oliver Proske. Klappe auf, Klappe zu: mal eine Tür, dann ein Garagendach, zum Schluss ein Haus. Das Bühnenbild bietet viele Möglichkeiten zum Rückzug und zum Verstecken – ganz im Sinne der Familie. Auch die scheinen ihre Rollen gerne zu tauschen, so dass man sich fragt „Wer ist nun eigentlichVater, Mutter, Bruder oder Schwester?“ Zeitlupenartig verträumt, aber auch slapstickhaft komisch agiert die Bühnenfamilie. Ihre Stimmungen werden musikalisch untermalt, so dass sich eine Einheit aus Bewegungs-, Klang-, Sprach- und Raumbildern entwickelt. Poetisch und surreal wirkt die Inszenierung. Worte spielen kaum eine Rolle, und so entziehen sich auch hingeworfene Sätze wie „Er war zu dünn, um Verantwortung zu übernehmen“ oder „Die Ruhe im Kräutergarten war besser als jede Altersvorsorge“ jeglichem Sinnzusammenhang. Es herrscht eben sprachloses Wohlfühlen, manchmal auch bei Familienfesten.

Katrin-Bettina Müller / TAZ

…Freud lauert in jedem Detail, und die Requisiten werden zu symbolischen Verrätern ihrer Nutzer…

Katrin-Bettina Müller / TAZ

...Im Märchen weiß man, dass die Dinge im Bündnis mit geheimen Mächten stehen und der Umgang mit ihnen oft eine Bewährungsprobe meint. Im Alltag hat man das meist vergessen. Deshalb arbeitet die Regisseurin Nicola Hümpel seit fünf Jahren mit ihrem Ensemble daran, die verschütteten Bedeutungen der Dinge freizulegen..... Freud lauert in jedem Detail, und die Requisiten werden zu symbolischen Verrätern ihrer Nutzer... eine stilsichere Verweigerung der modischen Zuordnung...

Irene Bazinger / Berliner Zeitung

…So nähert sich das Ensemble den für Außenstehende meist befremdlichen Spielregeln und bizarren Ritualen in der lieben Verwandtschaft. Aus den heiligen Bräuchen und den eingeschliffenen Mustern versuchen sie, die Matrix dessen zu entschlüsseln, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ohne Angst vor Klischees, heißen Eisen und den bekannten Traumata. Familienfeiern inklusive…

Irene Bazinger / Berliner Zeitung

Nico and the Navigators zeigen „Der Familienrat“ in den Sophiensaelen Der Vater schneidet am Sonntag den Braten an. Die Mutter putzt im Frühling die Fenster. Die kleine Schwester plärrt im Keller. Der große Bruder holt den wieder einmal verschossenen Ball von den Nachbarn. Die Großmutter trägt eine Schürze. Der Großvater kann Papierflieger falten. Ach, traute Familie! Aber schon Heimito von Doderer, der skeptisch auf die blanken bürgerlichen Fassaden blickende österreichische Schriftsteller, bemerkte: „Wer sich in Familie begibt, kommt darin um.“ Familie, ein Begriff, so komplex wie eine Therapiesitzung, ein Thema, so vielschichtig wie eine goldene Hochzeit – und insofern eine ideale Herausforderung für Nico and the Navigators. Diese bemerkenswerte freie Gruppe um die Gründerin und Regisseurin Nicola Hümpel stellt nun mit der Uraufführung von „Der Familienrat“ ihre fünfte Arbeit vor. Seit der Gründung 1998 am Bauhaus Dessau haben sich die Navigatoren einen internationalen und festivalerprobten Ruf als formsichere, stilbewusste, absurd-versonnene Alltagskiebitze erworben. In einer Mischung aus Tanztheater, Slapstick, Pantomime, ergänzt mit kruden Worthülsen und kunstvollem Hintersinn, geraten bei ihnen die Dinge aus dem Normalmaß. Die Bedeutungen trudeln, bis auf nichts mehr Verlass ist. Der Wahnsinn hat hier charmant choreografierte Methode, das Chaos strahlt in disziplinierter Groteskgymnastik, die Unsinnstiraden kitzeln ungeahnte Assoziationsfelder wach: „Die Ruh im Kräutergarten war besser als jede Altersvorsorge“, heißt es, oder: „Er war zu dünn, um Verantwortung zu übernehmen.“ So nähert sich das Ensemble den für Außenstehende meist befremdlichen Spielregeln und bizarren Ritualen in der lieben Verwandtschaft. Aus den heiligen Bräuchen und den eingeschliffenen Mustern versuchen sie, die Matrix dessen zu entschlüsseln, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ohne Angst vor Klischees, heißen Eisen und den bekannten Traumata. Familienfeiern inklusive.

Ulrich Deuter / Süddeutsche Zeitung

…Immer geht es bei Nico um Dinge und unsere Haltungen zu ihnen; und wie sich unsere Haltungen in die Dinge hineingraben; und wie unsere Haltungen zu Sätzen und diese Sätze wiederum zu Dingen werden. Die dann so aussehen wie Proskes genial dienstfertige Entfremdungskästen. Wenn es also diesmal, um die Familie geht, dann geht es wieder um die Formationen und Deformationen, die jeder der sieben Navigators in seiner eigenen Primärgruppe mitbekommen hat, sind sie wieder so zur Form besänftigt, zur Lakonie herabgekühlt, zur Ironie erleichtert, dass die Wirkung sanft und nachhaltig ist…

Ulrich Deuter / Süddeutsche Zeitung

„Nico and the Navigators“ berufen den „Familienrat“ im Forum Freies Theater Düsseldorf. Die Welt ist schön. Angenehm, bunt, hell, sauber und von praktischer Emotionalität. Hier ist alles gut. Hier ist alles Design. Wir haben Bänke, die auch Tische sein können, Tische, die Duschkabinen waren, Wände, in denen sich Garagentore öffnen, die zu Spitzgiebeln aufsteigen. Haben Schränke, in denen man sich verstecken kann, um sofort entdeckt zu werden. Denn hier ist kein Platz für Abgründe. Hier sind ja wir, die Familie. Bei uns wird übrigens Entschuldigung gesagt. Sieht es nicht schön aus, wie unser trauriger Kleiner da stundenlang still auf der Stelle sitzt? Wir haben ein Schuhregal, das sich schräg legt und zur Treppe wird. Und hinten ein erhöhtes Eigenheimpodest, denn im Leben kann es auch mal aufwärts gehen. Zum vierten Mal sind Nico and the Navigators im Düsseldorfer Forum Freies Theater zu Gast, nun mit ihrer jüngsten Produktion „Der Familienrat“. Seit ihrer Gründung 1998 ist die Berliner Gruppe um Regisseurin Nicola Hümpel und Bühnenbildner Oliver Proske auf der Suche nach der Traurigkeit im Geglückten. Proske findet sie in kühl-eleganten Bühnengehäusen, die so multifunktional sind, dass es einer Charakterlosigkeit gleich kommt. Hümpel und ihre Spieler finden sie in unglücklich-komischen Körperhaltungen, einem frierend im Gesicht stehenden Lachen, in der ehrgeizig misslingenden Interaktion mit den Gegenständen der Bühne – in der Diskrepanz zwischen den leergeträumten Blicken der Menschen und ihren verheißungsvollen Accessoires. Eine Mischung zwischen Tanz- und Sprechtheater, Musik und Design: Ambient mit Rissen. Immer geht es bei Nico um Dinge und unsere Haltungen zu ihnen; und wie sich unsere Haltungen in die Dinge hinein graben; und wie unsere Haltungen zu Sätzen und diese Sätze wiederum zu Dingen werden. Die dann so aussehen wie Proskes genial dienstfertige Entfremdungskästen. Wenn es also diesmal um die Familie geht, dann geht es wieder ums selbe; und die Formationen und Deformationen, die jeder der sieben navigators in seiner eigenen Primärgruppe mitbekommen hat, sind wieder so zur Form besänftigt, zur Lakonie abgekühlt, zur Ironie erleichtert, dass die Wirkung sanft und nachhaltig ist. Dauernd kommt jemand mit verlegener Haltung herein; lange liegt eine Kleine unter der Bank; Mitleid erregend turnt ein Entschlossener; somnambul hüpft ein Schlaksiger. „Er war zu dünn, um Verantwortung zu übernehmen.“ – „Er weiß, was er wollen sollte. Er will aber nicht.“ Das sind so Sätze, die fallen. Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit, befand einmal Karl Kraus. Die kennen wir alle, auch „Familienrat“ geht nicht darüber und also in den Unrat hinaus. Aber selten schmeckte die Bitternis dieser Wahrheit so süß wie hier.

Peter-Hans Göpfert / Kulturradio

…Natürlich ist man als Zuschauer sofort bereit, diese sieben Spieler, vier Frauen, drei Männer, als eine Familie zu verstehen. Aber es wird keine Familiensaga erzählt und auch kein Familienrat abgehalten. Wenn man unbedingt will, kann man einzelne Motive des bürgerlichen Familienlebens identifizieren. Etwa das morgendliche Hereinschlurfen im Bademantel… Nico and the Navigators sind ja inzwischen so etwas wie Kult…

Peter-Hans Göpfert / Kulturradio

Wer zu Nico and the Navigators geht, erwartet in der Regel keine Grundsatzerörterungen und tiefschürfenden Analysen. Insofern ist man schon etwas überrascht, wenn die Sophiensaele jetzt ankündigen, „das einzigartige Ensemble" werde einen Blick auf „die einzigartigen Spielregeln, merkwürdigen Rituale und eigentümlichen Verhaltensmuster" werfen, mit deren Hilfe das Zusammenleben der Familie organisiert und erträglicher gemacht wird. Natürlich ist man als Zuschauer sofort bereit, diese sieben Spieler, vier Frauen, drei Männer, als eine Familie zu verstehen. Aber es wird keine Familiensaga erzählt und auch kein Familienrat abgehalten. Wenn man unbedingt will, kann man einzelne Motive des bürgerlichen Familienlebens identifizieren. Etwa das morgendliche Hereinschlurfen im Bademantel, wobei es schon recht ungewöhnlich sein dürfte, was da einzelne Herren quasierotisch mit einem Paar Damengoldschuhen anstellen. Es gibt auch eine gemeinsame Mahlzeit. Dabei ist dann allerdings sehr verwunderlich, dass ausschließlich total vertrocknete Semmeln verzehrt werden. Keine Marmelade, keine Nutella. Es krümelt, was das Zeug hält. Überhaupt herrscht eine gewisse Schrippen-Inflation. Es wird daran gewürgt und gemampft und gebröselt Zum Schluss kippen sie fuderweise aus einer Klappe. Wenn man so will, ließe sich die von Sinta Tamsjadi verkörperte Frau als eine karikierte formelhafte Muttergestalt sehen. Immer schematisch keep smiling. Mit der Kehrschaufel unterwegs. Sie fühlt sich ohne Einschränkung geliebt. Und sie verkündet ein paar verrückte Erziehungs- oder Verhaltensmaximen. Das Publikum hat hier mühelos einen Wiedersehens- und Wiedererkennens-Effekt. Denn Nicola Hümpel und ihre Spieler handhaben wiederum bekannte Stilelemente. Das Spiel wird von einer gelegentlich fast trancehaften Langsamkeit bestimmt. Es ist aber auch die Verwendung von Requisiten. In der letzten Produktion „Lilli in putgarden" spielten Mengen von Porzellantassen eine erhebliche Rolle, sodass sogar das Ende des Welttassentages ausgerufen wurde. Diesmal wird mit Plastiktassen hantiert und gestapelt. Oliver Proske hat auch wiederum ein Multifunktions-Bühnenbildmöbel gebaut, das sich wunderbar ausklappen, öffnen und schließen lässt. Da wird mit einem Regal getanzt, ohne dass dessen Inhalt herausfällt, und das sich anschließend in eine Treppe verwandelt, die man hinabschreiten kann. Mutti trinkt irgendwann im Kühlschrank Kaffee. Vor allem lässt sich mit Teilen dieses Möbelbaukastens wunderbar blödsinnig herumturnen. Bei Nico and the Navigators wird üblicherweise nicht viel gesprochen. Es fallen aber so bemerkenswerte Sätze wie „Er war zu dünn, um Verantwortung zu übernehmen", „zuviel Wurzelgemüse"; es gibt einen sehr komischen Monolog über den Vater, der fuhr genauso gut rückwärts Auto wie vorwärts, hat den amerikanischen Präsidenten beraten, besaß die größte Bienenzucht, bekam aber nie einen Stich. Ein Album wird geblättert, ohne hineinzusehen, andeutungsweise wird Öl über die Bilder gegossen. Denn auch diesmal wird das Motiv „Erinnerung" hin- und hergewendet. Mutters Erinnerung an ihre Eltern etwa. Nico and the Navigators sind ja inzwischen so etwas wie Kult. Und gestern Abend herrschte in den Sophiensaelen klaustrophobische Enge. Im Foyer trat man sich die Zehen platt und pustete sich die Zigaretten um die Ohren. Dieser besondere Nimbus steigert natürlich das Erlebnis. Das Stammpublikum, in das sich auch reifere prominente Gesichter mischen, ist selbst Familie. Auch diese Inszenierung pendelt, mit verschiednen Musiken umspült, zwischen Sense und Nonsens, Slapstick und verrückt akrobatischer Bewegung. Aber es scheint mir doch deutlicher, was sich schon bei der letzten Produktion abzeichnete: die Methode Nico wird zur Routine, sie schleift sich ein oder ab. Dieses liebevolle Blödeln ist immer wieder komisch und putzig. Da gibt es eine Theorie über die dummen Oberhälftenesser (wir sind wieder bei den Schrippen) und die intelligenteren Unterhälftenesser, die auch gleich noch bessere Menschen sind. Aber manchmal wird es doch auch ziemlich langweilig. Und so völlig verrückte Einfälle wie den Gassi geführten Stabsauger oder das auf dem Luftkissen eines Haushaltsgerätes balancierte Ei - Einfälle vergleichbar herrlich dämlicher Qualität habe ich diesmal nicht gesehen. So grandios ist die von Schäfchen gemäh-mähte „Stille Nacht, Heilige Nacht" dann doch nicht. Und die Aufführung hat reichliche, Bedeutung vorgebende Leerläufe. Dafür gab es dann wieder hübsche Momente von Verschämtheit, von Annäherung oder auch von völligem Insichgekehrtsein. Die Navigators, glaube ich, müssen aufpassen, dass sie nicht immer noch eine neue Inszenierung für internationale Tourneen herausbringen und dabei in reine Routine fallen.

Eine Produktion von NICO AND THE NAVIGATORS und den Sophiensælen, gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, in Koproduktion mit dem La Filature Mulhouse, dem FFT Düsseldorf, sowie dem Grand Theatre Groningen, in Kooperation mit der Stiftung BAUHAUS Dessau.

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