Hate me when thou wilt: Nico and the Navigators widmen sich den berühmten Gedichten gemeinsam mit Spielern des Puppentheaters Halle.
Aus William Shakespeares Sammlung von 154 Sonetten, die zu den schönsten Gedichten des Abendlandes zählen, haben Nico and the Navigators einen Teil szenisch erarbeitet und gemeinsam mit dem britischen Wort- und Bewegungskomiker Adrian Gillott, dem Soundtüftler und Musiker Sebastian Herzfeld sowie Spielern des Puppentheaters Halle auf die Bühne gebracht.
In parallelen oder sich kreuzenden Handlungssträngen werden Geschichten in Gedichten erzählt – oder verschwiegen. Dort wo die Sprache im Uneindeutigen bleibt, wird die metaphorische und klangliche Vielfalt der Sonette mit navigatorischer Phantasie ausgekostet. Bis heute wirken diese Texte drastischer, facettenreicher und zeitgenössischer als vieles, was moderne Lyrik genannt wird. Es geht um Liebe, Sex, Erfolg, Liebesverlust, Kinderwunsch, Unsterblichkeit – was immer auch bei Shakespeare steht, steht in klaren Rätseln auch in seinen Sonetten.
„freilich so hinreißend komisch, dass Shakespeares Geschichten in Gedichten über Liebe, Sex und Leidenschaften zu einem herrlichen Abgesang auf die abendländische Lyrik werden.“
...Sprachexperimentell, jedoch im schönsten Oxford-Englisch, kam auch das Puppentheater Halle daher, das im balletesken Tutu Shakespeare’s Sonnets elegisch deklamierte, freilich so hinreißend komisch, dass Shakespeares Geschichten in Gedichten über Liebe, Sex und Leidenschaften zu einem herrlichen Abgesang auf die abendländische Lyrik werden.
„Hümpel nutzt die künstlerische Freiheit zu einem sehr persönlichen Ausflug in die Welt des Dichters, sucht hinter dessen Motive zu kommen und das, was zum Lesen gedacht ist, der Theaterbühne zuzuführen. Fahrige, marionettenhafte mechanische Bewegungen illustrieren die häufig entrückte Diktion der Gedichte in dieser anregenden Kooperation mit dem Puppentheater Halle.“
Selbst den liebes- und leidtrunkenen Sonetten Shakespeares kann sie noch Humor abgewinnen. Denn Nicola Hümpel - sie ist die Nico der Navigators - konfrontiert die aufs äußerste komprimierte Lyrik, entstanden vor 1609, unter anderem mit einem Mann von heute, der als Abiturient bei der Sonett-Interpretation schmählich gescheitert war: Nebulös unverständlich, so hatte er damals geschrieben. Jetzt ist er Umweltschützer. Je mehr er die Sonette verstehe, desto mehr gehe es mit dem Mischwald bergab, bis zu Erosion, Abrieb von Steilküste. Ganz schön rumgeholzt habe Shakespeare damals, findet er. Dann redet er zu Sebastian Herzfelds sanfter Live-Musik weiter, die dem Wortklang ihren Tonklang beifügt. Dies ist eines der Bilder, mit denen sich die Regisseurin Nicola Hümpel den hochartifiziellen Kunstprodukten jenes Meisters anschmiegt oder entgegenstemmt, der die 154 Sonette einst verfasst hat. Zehn von diesen bringt sie gleichnishaft auf die von einem Hintergrundbogen umfasste Szene des Theater Aufbau Kreuzberg. Scheu betritt sie Adrian Gillott, ein Navigator-Urgestein. Und meint, der Dichter habe beim Schreiben getrunken und viel geweint. Stülpt sich eine Perücke über, schlüpft in dessen Part. Mit den englischen Originalen hat er es leicht, doch sie sind Heutigen schwer verständlich. So kommt seinen Mitspielern Nils Dreschke und Sebastian Fortak die Rolle zu, spielerisch die Eindeutschungen zu liefern. Etwa 300 Übersetzer haben sich an den sprachlich dichten Klagen über den Verlust an Schönheit, Jugend, Liebespartner versucht. Alle klingen sie anders - was jedoch meint der Lyriker wirklich mit seinen Worten? Auch das thematisiert der gut 75-minütige Abend. Sicher ist, dass 126 der Sonette an einen jungen Mann gerichtet sind, Realperson oder Dichterfiktion. Hümpel lässt deshalb ihre Männer mit Tutus über der Anzughose agieren. Wenngleich dieses Ballerinenrequisit erst viel später erfunden wurde, steht es für das Androgyne der Situation und zugleich die Tradition des elisabethanischen Theaters, Frauenrollen von Jünglingen spielen zu lassen. Während "Shakespeare" Gillot über die Liebe in fiebrige Rage gerät und sein Zuhörer das Tutu zum modischen Kragen der Zeit formt, verteidigt sich der Dichter, es gebe im Deutschen eben zu wenige Wörter für maßgerechte - Übertragungen. Sein Lamento über das Altern und den Apell, sich im Kind zu reproduzieren, "spricht" die Puppe eines Greises. Nachdem sie erst gestorben, dann wieder lebendig ist, geht diese Puppe eine Frau, die Sängerin Julla von Landsberg, zudringlich an. In einer weiteren Szene wird sie groteskes Oberteil eines menschlichen Unterteils: Shakespeare schreit ihr ins ertaubende Ohr sein Weh um eine verlorene Liebe. Dann wir die Regisseurin deutlicher und stellt dem Wehklagenden einen Mann zur Seite, der ihm die Hand küsst und an ihm niedersinkt, als er das titelgebende Sonett 90 haucht: "Hate me when thou wilt..." - hass mich, wenn du willst, doch verlass mich nicht. Aber Hümpel wäre nicht die feinsinnige Regisseurin, würde sie das Verlustpathos nicht noch ironisch brechen. Ein Faustschlag ins Genital krümmt den, der behauptet, kein größerer Scmerz als jener Verlust könne ihn treffen. Als Shakespeare sich zunehmend in Schmerzbereitschaft dichtet, sich in Sonett 90 als Sklave des Geliebten sieht, baut man ihn in ein Pakettstück ein, begleitet die Sängerin mit Vokalisen sein Leid. Zwar befreit er sich aus dem Kerker, doch einmal auf den Geschmack gekommen, ist er kaum zu bremsen. Wie ein Rockstar tönt er, musikalisch rhythmisiert, neben den Trümmern Lyrik in ein Mikro, auch noch, als die Musik verstummt, der Ton abgedreht wird, das Licht erlischt. Eben Shakepeare forever. Ob Shakespeare so eitel war, wie hier angedeutet, gehört ins Reich künstlerischer Freiheit. Die nutzt Hümpel zu einem sehr persönlichen Ausflug in die Welt des Dichters, sucht hinter dessen Motive zu kommen und das, was zum Lesen gedacht ist, der Theaterbühne zuzuführen. Fahrige, marionettenhafte mechanische Bewegungen illustrieren die häufig entrückte Diktion der Gedichte in dieser anregenden Kooperation mit dem Puppentheater Halle.
„Der Charme und die Herausforderung dieser Koproduktion von halleschem Puppentheater und Nico and the Navigators bestehen in der zelebrierten Zweisprachigkeit. Nicht mit Übertiteln, sondern als eine Art Dialog oder Echo gibt es immer auch die deutsche Version zum englischen Original. In das schlüpft der smarte Adrian Gillot in einer Art Wortchoreografie hinein.“
Nicola Hümpel bringt Shakespeares Sonette auf die Bühne. HALLE/MZ - William Shakespeare auf der Bühne - das versteht sich von selbst, braucht keine Begründung. Im speziellen Fall gilt das sogar für die berühmten Sonette. Denn auch die streng gezirkelte Lyrik hat das Welttheaterformat des großen Briten. Sie gehören zum am meisten in andere Sprache Übersetzten überhaupt. Aus den 154 überlieferten Sonetten hat Nicola Hümpel jetzt zehn ausgewählt. Allein dafür gibt es fünf Übersetzer. Der Charme und die Herausforderung dieser Koproduktion von halleschem Puppentheater und Nico and the Navigators bestehen in der zelebrierten Zweisprachigkeit. Nicht mit Übertiteln, sondern als eine Art Dialog oder Echo gibt es immer auch die deutsche Version zum englischen Original. In das schlüpft der smarte Adrian Gillot in einer Art Wortchoreografie hinein. Mit grauer Zottel-Perücke und durchdringender Stimme. Als nach- oder eingefühlte Performance. Und dann kommt Sebastian Fortak mit weißem Tütü-Kranz überm braunen Allerweltsanzug und träumt das Ganze in Deutsch nach. Oder vor. Auch mal mit der wunderbaren Halbkörperpuppe eines alten Mannes, der virtuos Playback beherrscht und sogar die Zunge raus stecken kann. Sonst bleibt der Abend eine Angelegenheit von Menschen auf Oliver Proskes shakespearekarger Bühne. Aus deren Parkett-Belag man einen Gefängnis-Turm bauen kann, wenn es im Sonett Nr. 57 heißt "Was soll ich tun, da ich dein Sklave bin". Sie erzeugen alle zusammen eine fremde und doch nahe Atmosphäre, die zu einem guten Teil auch von dem Sound lebt, den ihr Sebastian Herzfeld live beisteuert, auch wenn der manchmal im Crescendo zu sehr dominiert. Doch es bleibt ein Rest, zwar nicht von Schweigen wie bei Hamlet, aber doch von Geheimnis. Bis zu dem, welches Gegenüber das Dichter-Ich eigentlich anspricht. Vielleicht liegt es an den imaginären Tränen des Dichters, die seine Zeilen verlaufen ließen. So jedenfalls spekuliert Nils Dreschke, der wie ein Anwalt die Leser von heute vertritt. Und sich die Sonette markiert hat, die er auf Anhieb verstand. Dass es nur drei sind, ist Gag mit Hintersinn. Und Trost. So einfach ist es nämlich nicht. Weder auf Englisch, noch auf Deutsch. Doch Nicola Hümpel hat ein sicheres Timing für die Atempausen, fürs Heraustreten oder das Dazwischenfunken. Wie durch die wunderbare Steffi König. Wenn sie in den Seelen-Abgrund blickt, den man auch mit zehn Sonetten aufreißen kann, dann reagiert sie nicht mit der Melancholie ihrer Kollegen, sondern hält sich mit schrägen Nina Hagen-Tönen, fulminanter Präsenz und höllischem Lachen aufrecht. Vor drei Jahren haben Robert Wilson und Rufus Wainwright am Berliner Ensemble den Sonetten die ganz großen Theaterbilder verpasst, also das Innere nach außen gekehrt. In Halle versucht man es andersherum. Hier wird der Blick nach innen gerichtet. Hier soll man das Kratzen der Feder auf dem Papier hören. Hört man auch. Im Programmheft sind die Sonette abgedruckt. In Englisch und in Deutsch. Wer's vorher liest, hat es leichter an dem Abend. Wer nicht, hat das Vergnügungen danach. Beim Nachlesen und Nachklingen lassen.
„Gerade als das Ensemble in Fahrt kommt und die stärksten Szenen, z.B. die Einmauerung eines Akteurs mit aus dem Parkett gerissenen Klötzen, mit der größten Spielfreude entwirft, ist der kurzweilige Abend nach 70 Minuten leider auch schon wieder zu Ende.“
Von den 154 Sonetten Shakespeares habe ich nur 4 verstanden… Die habe ich mir in dem Bändchen mit Lesezeichen eingemerkt. Bei allen anderen fühlte ich mich wie damals im Abitur, als ich ein Sonett interpretieren sollte und nichts verstanden habe. Ich habe geschrieben: Der Text ist unverständlich, nebulös und holpert – und bekam dafür eine 6″, seufzt ein frustrierter Schauspieler auf der Bühne des Radialsystems. Die für ihre innovativen Inszenierungen bekannte Gruppe Nico and the Navigators versuchte in ihrer ersten Koproduktion mit dem Puppentheater Halle/Saale eine Annäherung an die berühmten Gedichte, die zu den am schwersten zu übersetzenden Werken der Weltliteratur gehören. Wie unergründlich manche Passagen sind, demonstrieren die Schauspieler in einer Szene, als sie mehrere stark abweichende Übersetzungen nebeneinander legen. So bleibt es bei einer schrittweisen Annäherung und Umkreisung. Der native speaker Charles Adrian Gillott trägt ausgewählte Stücke im Original vor, seine deutschen Kollegen oder die griesgrämige alte Puppe, die sich immer wieder einklinkt, legen die übersetzte Version nach. Gerade als das Ensemble in Fahrt kommt und die stärksten Szenen, z.B. die Einmauerung eines Akteurs mit aus dem Parkett gerissenen Klötzen, mit der größten Spielfreude entwirft, ist der kurzweilige Abend nach 70 Minuten leider auch schon wieder zu Ende.
Eine Produktion des Puppentheaters Halle in Kooperation mit NICO AND THE NAVIGATORS. Teil der inszenierten Konzertreihe KlangZuGang, für die NICO AND THE NAVIGATORS im Rahmen einer dreijährigen Konzeptionsförderung durch den Fonds Darstellende Künste aus Mitteln des Bundes unterstützt werden.
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