Neue Rezeptionsformen des Konzerts: In einer ersten kreativen Begegnung öffnet das Kuss Quartett den musikalischen Erfahrungsraum zu Beethovens op. 135 mit Nico and the Navigators für einen Dialog mit Tanz, Bewegung und Licht.
Mit ihren Musik-Theater-Projekten regen Nico and the Navigators den Austausch von Musikern und Performern auf Augenhöhe an und untersuchen neue Rezeptionsformen des Konzerts.
In dieser ersten kurzen Begegegnung erforscht das Kuss Quartett gemeinsam mit der Tänzerin und langjährigen Navigatorin Yui Kawaguchi spielerisch Beethovens Streichquartett op. 135, um neue Perspektiven auf das Werk zu ermöglichen.
Die Zwiegespräche zwischen Musik, Tanz, Bewegung und Licht markieren den ersten Schritt für ein 2020 geplantes größeres Beethoven-Projekt.
Ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Kuss Quartett und NICO AND THE NAVIGATORS.
Die Tänzerin Yui Kawaguchi (Nico and the Navigators) hat das Spiel des Kuss-Quartetts mit hoch virtuosen, präzisen und stets zur Musik passenden Tanzbewegungen begleitet und so zum Quintett erweitert. Auf diese Weise ist den fünf Künstlern eine faszinierende „produktive Umformung“ gelungen, die beim Publikum einen Sturm der Begeisterung ausgelöst hat.
Die diesmal sehr sommerlichen Musiktage in Hitzacker legen einen ungewöhnlichen Schwerpunkt auf den deutschen Komponisten Es begann damit, dass sich John Neumeier vor mehr als drei Jahrzehnten berufen fühlte, Bachs „Matthäus-Passion“ choreografisch auszuweiden: ein Akt schöpferischer Aneignung verjährten geistigen Eigentums, der später auch Händels „Messias“ und sogar Mahlers Symphonien treffen sollte. Dagegen verblich die lichtspielende „h-Moll-Messe“ Bachs, mit der Jeffrey Tate seine vorletzte Symphoniker-Saison eröffnete, zur überfälligen Reverenz an den optischen Zeitgeist. Der nämlich in dem Maße gedeiht, wie die Hörgeduld abnimmt. Mangels Erfahrung mit komplexeren Klangformen, die man nicht mühelos geschenkt bekommt, schwindet allenthalben das Vertrauen in die Fähigkeit gut komponierter Musik, sich ohne visuelle Nachhilfe verständlich zu machen und für sich selbst zu sprechen. Gewohnt, alles Komplizierte vereinfacht, alles Mehrdeutige versimpelt zu bekommen, wächst längst eine Generation musikalischer Analphabeten heran. Einer musikalischen Elite, die von Kindesbeinen an das Wechselspiel von Anstrengung und Beglückung erfuhr, steht eine Mehrheit ungeduldiger Konsumenten gegenüber, die den raschen Rausch ersehnen. Auch wenn es Oliver Wille, dem Intendanten der Sommerlichen Musiktage Hitzacker, und seinen stillvergnügten Quartettpartnern nicht bewusst sein mag: Der Gedanke, sich mit einer Performance-Gruppe kurzzuschließen, die davon lebt, musikalische Energieströme in Körperbewegung, Tanz und Lichtspiel „umzusetzen“, könnte der Grundidee des langlebigsten bundesdeutschen Kammermusikfestivals entgegenwirken: das Ungeheuerliche großer Klangkunst akustisch erfahrbar zu machen. Zum Glück war das Eröffnungskonzert der 73. Musiktage dazu angetan, derlei Bedenken zu zerstreuen. Mit dem numerisch ersten und dem tatsächlich letzten der 16 Streichquartette Beethovens (die „Große Fuge“ op. 133 und die Umarbeitung der Klaviersonate op. 14,1 zum Streichquartett nicht mitgerechnet) umriss es die selbst gestellte Herkulesaufgabe der Festspielleitung, an neun Tagen das 28 Jahre umspannende Streichquartettschaffen Beethovens komplett abzubilden. Um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, strapaziert Oliver Wille derzeit nicht nur seine Stammformation, das Kuss Quartett, sondern auch Studierende seiner Hannoveraner Streichquartettklasse sowie Stipendiaten des Deutschen Musikwettbewerbs, die als „Preisträgerakademie“ eine Woche lang Erfahrungen auf und hinter der Bühne sammeln. Als Vorgeschmack auf das intermediale Beethoven-Projekt des Kuss Quartetts zum Jubeljahr 2020 lieferten sich Jana Kuss und Oliver Wille (Violinen), William Coleman (Viola) und Mikayel Hakhnazaryan (Violoncello) zu Festivalbeginn der 1998 am Bauhaus Dessau gegründeten Truppe Nico and the Navigators aus. Für Beethovens F-Dur-Quartett aus dem ersten Sechserwurf op. 18 – Frucht mühevoller Arbeit angesichts der kaum übertrefflichen Gattungsvorbilder Haydns und Mozarts – und Enno Poppes kurzweilige Variationenglosse „Freizeit“ (2016 dem Kuss Quartett gewidmet) noch seriös im Tuch, legten die vier nach der Pause nicht nur ihr Schuhwerk ab. Barfüßig und ihrer Quartettnoten ledig, überließen sie sich locker ortswechselnd ihrem Tongedächtnis, wobei nichts Geringeres als Beethovens letztvollendetes Streichquartett op. 135 auf dem Spiel stand. In welches sich nun eine Tänzerin von Gnaden einmischte: Yui Kawaguchi, die katzenhafte Seele der Nico-Truppe, eine federgelenkige Gliederpuppe, halb Gnom, halb Elfe. Von fern an die kultischen Tänze erinnernd, denen das japanische No-Theater entsprang, ließ sie die Stromstöße der vierstimmig durchbrochenen Satzkunst Beethovens durch ihre Sehnen zucken, um im abgeklärten Variationensatz „cantante e tranquillo“ das stilisierte Mondschiffchen zu besteigen, das zuvor schon die Violinen samt Bratsche an Bord genommen hatte. Ein Publikumserfolg sondergleichen, wie sich ahnen lässt. Beethoven dergestalt „vertanzt“: muss nicht, aber kann sein (um das rätselvolle Doppelmotto des Finalsatzes zu parodieren).
„Die Tänzerin Yui Kawaguchi (Nico and the Navigators) hat das Spiel des Kuss-Quartetts mit hoch virtuosen, präzisen und stets zur Musik passenden Tanzbewegungen begleitet und so zum Quintett erweitert. Auf diese Weise ist den fünf Künstlern eine faszinierende „produktive Umformung“ gelungen, die beim Publikum einen Sturm der Begeisterung ausgelöst hat.“
Die 73. Sommerlichen Musiktage Hitzacker, Deutschlands ältestes und wohl auch innovativstes Kammermusikfestival, haben auch in diesem Jahr viele Musikfreunde in das kleine, idyllische Städtchen an der Elbe gelockt. Thema ist "Beethoven!". Oliver Wille, der seit 2016 Intendant der „Sommerlichen“ ist, hat für dieses Jahr seinen, wie er sagt, „Lieblingskomponisten Beethoven“ in den Mittelpunkt gestellt, zwei Jahre vor dessen 250. Geburtstag. Berühmte Künstler geben sich während des 9-tägigen Festivals die Türklinke in die Hand, von Camilla Tilling und Christian Tetzlaff bis hin zu Rudolf Buchbinder. Festivalgruß: Nike Wagner vom Beethoven Fest Bonn Ein ganz besonderer Gast kam aus Bonn, Nike Wagner, die Urenkelin des großen Komponisten. Als Intendantin des Beethoven Festes Bonn (seit 2014) konnte sie in ihrem Vortrag „Wagners Beethoven“ zukunftweisende Impulse zu dem Thema „Jubiläumsjahre“ geben. Sie erläuterte, welchen Aufgaben sich ein Beethovenfest im 21. Jahrhundert zu stellen hat und kam zu dem Schluss, dass die Werke nicht nur immer neu gespielt und interpretiert werden sollten, sondern auch eine, wie sie es nennt, „produktive Umformung“ erfahren müssten. "Produktive Umformung" In Hitzacker geschieht genau das, in fast jeder einzelnen Veranstaltung. Und das zeichnet dieses sympathische Festival im östlichsten Winkel Niedersachsens in besonderem Maße aus. Oliver Wille, der zweite Geiger des Kuss Quartetts, hat Beethovens letztes Quartett, das Opus 135, dem Publikum in neuem, geradezu sensationellen Licht präsentiert. Beethovens letztes Streichquartett auf der Kippe Die barfuß und in salopper Kleidung auftretenden Musiker haben ohne Noten gespielt, sind dabei hin und her gegangen, als ob sie sich miteinander unterhielten, entsprechend dem berühmten Goethe-Wort über das Quartett-Spiel als „Gespräch von vier vernünftigen Leuten“. Aber ob es „vernünftig“ war, dass zwei Musiker auf eine große u-förmige Wippe stiegen und dort weiter spielten, sei dahingestellt. Das sah halsbrecherisch aus und verblüffte nicht wenig. Szenische Interpretation durch Nico and the Navigators Die Tänzerin Yui Kawaguchi (Nico and the Navigators) hat das Spiel des Kuss-Quartetts mit hoch virtuosen, präzisen und stets zur Musik passenden Tanzbewegungen begleitet und so zum Quintett erweitert. Auf diese Weise ist den fünf Künstlern eine faszinierende „produktive Umformung“ des oft als sperrig empfundenen letzten Streichquartetts von Beethoven gelungen, die beim Publikum einen Sturm der Begeisterung ausgelöst hat.
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