Heiner Müllers „Quartett“ trifft auf Leoš Janáčeks Streichquartette
Mit Inszenierung der Streichquartette Nr. 1 „Kreutzer-Sonate“ und Nr. 2 „Intime Briefe“ von Leoš Janáček (1854-1928) setzen wir die Zusammenarbeit mit dem renommierten Kuss Quartett fort. Diese hatte im Beethoven-Abend „Force & Freedom“ ihren hoch gelobten Anfang gefunden. Dass die beiden 1924 und 1928 uraufgeführten Streichquartette, nicht anders als die adaptierten Streichquartette Beethovens, aus der Spätphase ihres Komponisten stammen und zu den erklärten Favoriten des Kuss-Quartetts zählen, trug zu dieser programmatischen Wahl bei.
Zudem nahm Janáček in seiner ersten Auseinandersetzung mit der „Königsdisziplin“ der Kammermusik auf ein berühmtes Beethoven-Werk Bezug – auf die dem Geiger Rodolphe Kreutzer gewidmete „Kreutzer-Sonate“. Janáčeks musikalische Reflexion über Lew Tolstois gleichnamige Novelle, die von Liebe, Sex, Eifersucht und Mord handelt, eröffnet die Möglichkeit einer inhaltlichen Verknüpfung mit Heiner Müllers „Quartett“. Dramaturgisch spannend ist die Konfrontation der „Kreutzersonate“ mit Janáčeks zweitem, fünf Jahre jüngeren Quartett, das den 74-jährigen Komponisten als vitalen Liebenden zeigt, der nur halb so alten Kamila Stöslová in bedingungsloser Zuneigung verfallen, der er diese „Intimen Briefe“ als Zeichen und Ausdruck zärtlichsten Verlangens schrieb. Die Umkehrung des möglichen Verlaufs einer Paarbeziehung in der Chronologie des Werkverzeichnisses – zunächst die mörderische Eifersucht eines enttäuschten Ehemanns, dann die schwärmerische Hingabe eines frisch Verliebten – stellt ein spannendes Vexierspiel dar.
Janáčeks Prinzip der Verdopplung verkehrt Heiner Müllers Theatertext „Quartett“ (1980/81) ins Gegenteil: Beschäftigt der Komponist für seine Adaption der Tolstoi-Novelle statt der beiden Sonaten-Instrumente Violine und Klavier vier Streicher, so reduziert Heiner Müller (1929-1995) das Figurenensemble des berühmten Briefromans „Les Liaisons dangereuses“ (1782) von Choderlos de Laclos auf zwei Stimmen. Er nennt das so entstandene Stück, das wie Janáčeks Nr. 2 aus einer intimen Korrespondenz generiert wird, gleichwohl „Quartett“, da er seine ProtagonistInnen ihre (Geschlechter-) Rollen tauschen lässt.
Es ist ein Spiegelkabinett menschlicher Lieb- und Leidenschaften, in dem Leoš Janáčeks Musik zum Impuls und zum Kommentar der literarischen Komposition Heiner Müllers wird. Mit einem DarstellerInnen- und einem TänzerInnen-Paar sowie dem Kuss Quartett entwickeln wir eine Inszenierung, die in Zeiten tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen die fragwürdige Zuflucht des Privaten thematisiert. Dabei erweist sich die eskapistische Enklave als Schlachtfeld wechselseitiger Zerfleischung. Es sind die unversöhnten gesellschaftlichen Widersprüche, die das Individuum von innen her zersetzen.
Der junge, vielseitige Schlagzeuger Lorenzo Riessler und der virtuose Trompeter Paul Hübner akzentuieren den Text mit perkussiver Schärfe und elektronisch verfremdeter Tragweite.
Am 30. Dezember 2025 jährt sich der Todestag Heiner Müllers zum 30. Mal.
Eine Produktion von Nico and the Navigators, gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
In Kooperation mit dem Radialsystem. Der Originaltext wird verwendet mit Genehmigung des henschel SCHAUSPIEL Theaterverlags Berlin.
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