Wasted Land

Musiktheater zum 100-jährigen Jubiläum von T. S. Eliots „The Waste Land“

+++ NICO AND THE NAVIGATORS zeigen „Wasted Land“ unter Verwendung von T. S. Eliots „The Waste Land“ in englischer Sprache. Zu Beginn gibt es eine ca. 15-minütige Einführung des Lyrikers Norbert Hummelt auf Deutsch. Dauer insgesamt ca. 95 min. +++

Als der amerikanische Autor Thomas Stearne Eliot (1888-1965) im Jahr 1922 sein Langgedicht „The Waste Land“ veröffentlichte, traf er damit den Nerv der Zeit: Vier Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und unter dem Eindruck der unmittelbar anschließenden, in die Geschichte als „Spanische Grippe“ eingegangenen Pandemie beschrieb der von schweren psychischen Problemen geplagte Dichter in 433 Zeilen und fünf Abschnitten die vereinsamte und sinnentleerte Existenz des modernen Menschen in einer tristen, ausgedörrten und kaputten Umgebung.

Zum 100-jährigen Jubiläum von „The Waste Land“ entwickeln Nico and the Navigators eine szenisch-musikalische Revision des Gedichtes, die mit einer eigens dafür entstandenen Komposition sowie mit Sprache, Tanz und Projektionen nach der bleibenden Gültigkeit und der gestiegenen Aktualität des Textes fragt.

Äußerlich geht es dabei natürlich um die Ironie als Maske der Verzweiflung und um Eliots assoziative Gedankensprünge – eine Methode, die den Navigators seit ihren Anfängen vertraut ist und die sie nun für die Fort- und Umschreibung von „Das wüste Land“ einsetzen. Dabei nutzen sie auch die Kommentarebene, die der Dichter selbst seinem verschlüsselten Text beigefügt hat – die „Fußnote“ wird zum realen Begleiter des Ich-Erzählers.

Inhaltlich aber verhandelt der Abend auch Ereignisse, die der Autor nicht voraussehen konnte und die uns in wechselnden Varianten heute betreffen. Natur-Katastrophen und pandemische Krankheiten beeinflussten die Darstellung des Künstlers „als Prozess eines fortwährenden Selbstopfers mit dem Ziel der völligen Auslöschung der Persönlichkeit“ (Eliot, „Tradition and the Individual Talent“) ebenso wie ein scheinbar fremder Krieg heute in das Leben jedes Einzelnen hineinwirkt. Der Titel „Wasted Land“ spielt darüber hinaus auf den verschwenderischen Umgang des Homo sapiens mit seiner Erde und auf die daraus folgenden Konsequenzen an. Zudem blickt die Inszenierung kritisch auf biografische Aspekte von T. S. Eliot und fragt damit auch nach der Rolle von Intellektuellen in politischen Debatten.

+
weiterlesen

Termine

Pressestimmen

Dr. Ingobert Waltenberger / Online Merker

„Nicola Hümpel hat mit ihren Navigators T.S. Eliots lyrische Jubiläums-Vorlage frei für einen Theaterabend adaptiert, der einen direkt an der Halsschlagader packt … Angenehmerweise wird auf alle Aktualisierungen mit dem Holzhammer verzichtet, im Vertrauen auf das dichterische Wort liegt die Stärke der Produktion. Im Zentrum des Abends steht Ted Schmitz, ein US-amerikanischer Sänger und Schauspieler der Sonderklasse … er spricht Eliots Gedicht in britischem Englisch dermaßen klangschön und archaisch eindringlich, dass während seines Rezitierens auf der dunklen leeren Bühne alles um ihn herum versinkt.“

Dr. Ingobert Waltenberger / Online Merker

„Gegenwart und Vergangenheit sind vielleicht in der Zukunft enthalten und im Gewesenen das Künftige. Ist aber jegliche Zeit stets Gegenwart, bleibt alle Zeit unerlöst.“ aus T.S. Eliot „Vier Quartette“


„April ist he cruellist month“ – Wer würde bei den wolkenbrechenden Wechselbädern draußen diesem enigmatischen Anfangssatz aus T.S. Eliots 433 Zeilen langer Suada über ein wüstes Land, diesem monologischen Monster, dieser liturgischen Monodie, nicht zustimmen? Der blinde Seher Tiresias verirrt sich in die 20-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Zeitreise des Propheten aus den ‚Metamorphosen‘ des Ovid mündet in eine nüchterne Gegenwart. Über London, dieser „unreal city“ und ihren Brücken wanken Prozessionen an Toten. Der Krieg ist zwar vorbei, die Spanische Grippe hat sich ausgetobt, aber eine noch nie dagewesene Dürre sucht England heim und die todbringende wirtschaftliche Depression wird in den Metropolen in nächtlicher Ekstase für ein paar Stunden vergessen.


Den Menschen fehlen Halt, Werte und fester Standort, Ordnung und Übersicht. Ideologien beginnen, Menschlichkeit, urbedürftiges Miteinander und Realsinn abzulösen. In dieses rau(s)chnebelige 1922 stürzen drei literarische Monolithen herab: T.S. Eliot mit seinem von Ezra Pound radikal gekürzten „Waste Land“, James Joyce’s „Ulysses“ und Rilke mit seinen Sonetten an Orpheus.


Nicola Hümpel hat mit ihren Navigators T.S. Eliots lyrische Jubiläums-Vorlage frei für einen Theaterabend adaptiert, der einen direkt an der Halsschlagader packt. Aus den fünf Kapitel des Poems „Das Begräbnis der Toten“, „Eine Schachpartie“, „Die Feuerpredigt“, „Tod durch Wasser“ und „Was der Donner sprach“ destilliert ihre Regie Fragmentarisches, Banales und Philosophisches zu eindringlichen melodramatischen Szenen, pantomimischen Soli und brennpunktmäßig auf die Leinwand projizierten Gesichtslandschaften. Angenehmerweise wird auf alle Aktualisierungen mit dem Holzhammer verzichtet, im Vertrauen auf das dichterische Wort liegt die Stärke der Produktion. Aber: Jeder Versuch, die Sprachmacht von Thomas Stearns Eliots Poesie mit adäquater Musik (Konzept Tobias Weber) zu kontrapunktieren, muss ein Versuch bleiben. Da können auch die kurzen und gekonnt arrangierten Tonsequenzen aus Richards Wagners „Tristan und Isolde“ und „Rheingold“ nichts ausrichten.


Im Zentrum des Abends steht Ted Schmitz, ein US-amerikanischer Sänger und Schauspieler der Sonderklasse, der der in Dessau gegründeten und seit 2006 regelmäßig im Radialsystem auftretenden Theatergruppe seit 2011 die Treue hält. Dieser initial zweite T.S. des Abends spricht Eliots Gedicht in britischem Englisch dermaßen klangschön und archaisch eindringlich, dass während seines Rezitierens auf der dunklen leeren Bühne alles um ihn herum versinkt. Die Wahrnehmung des Zuschauers ist auf diesen großen hellhaarigen schlanken Künstler konzentriert, der – wenn er singt – einem Barden aus dem elisabethanischen Zeitalter gleicht. Hier gewinnt auch die Musik an Konzentration, die in ihrer kammermusikalischen Prosodie an Benjamin Britten erinnert.


Daneben hinterlassen die Auftritte von Lujain Mustafa, einer in Syrien geborenen Tänzerin, Performerin und Choreografin, den stärksten Eindruck. Sie erzählt in ihren expressiven pantomimischen Liedern ohne Worte vom naiven Hyazinthenmädchen, das im Bordell landet und abtreiben muss, von der Einsamkeit der Kreatur, der Nüchternheit der Begegnung mit dem anderen Geschlecht: „Well now that’s done: and I’m glad it’s over“. Die Zeitebenen scheinen aufgelöst, Erinnerungen, Angst und Verlangen in Kopf und Denken brüchiger und zerrissener Seelen irrlichtern in einer ebensolchen Welt. Der Sinn unseres Tuns ist schwer auszumachen. Genügen das Bemühen, die Anstrengung, wie das später so anschaulich Albert Camus in „Der Mythos des Sisyphos“ beschreiben wird?


Wir erkennen in T.S. Eliots Befund „I will show you fear in a hand full of dust“ einen Spiegel unserer Zeit voller wortgewaltig inszenierten surrealen Bildorgien im social-media-style, voller Naturkatastrophen, Gerassel mit dem Einsatz atomarer Vernichtungswaffen und dem vielen bekannten Gefühl des Nichts, mit dem sich Nichts verbindet.


Erst am Ende segnet der Autor sein eigenes radikales literarisches apokalyptisches Experiment, das so viel von einem Hölderlin der Frühromantik dem 20. Jahrhundert anverwandte, und wohl auch seine Leserschaft mit dem hinduistischen Shanti, shanit, shanti, shanti. Es ist ein (sehr) leiser Wunsch nach Seelenruhe und innerem Frieden unter den trockenen Felsen des Daseins und einer Menschheit, die metaphorisch nach Regen dürstet.


Das Publikum schloss auf die nachdenklichen, von feiner Poesie getragenen eindreiviertel Stunden ohne Pause auch Patrick Schott als Chronisten und die Musiker Daniel Seminara (Gitarre), Paul Hübner (Trompete), Philipp Kullen (Schlagzeug, Sythesizer), und Wolke Misewitch (Violine, Gesang) in den überaus heftigen Applaus mit ein.


Hinweis: Am 16. Dezember 2023 wird das 25-jährige Bestehen der Berliner Kompanie mit einer Kammerfassung der Produktion „Lost in Loops“ gefeiert werden.


https://onlinemerker.com/berlin-raialsystem-wasted-land-nico-and-the-navigators-in-einer-melodramatischen-musiktheatralischen-aktion/

Barbara Wiegand / RBB - Inforadio

„Eindringlich: Nico and the Navigators greifen die Düsternis auf… ein Klangraum mit genügend Platz für eigene Assoziationen um sich treiben zu lassen in Zeilen die nicht immer Sinn ergeben, die man nicht immer verstehen muss damit sie einen berühren… der Gesang fühlt sich sensibel darin ein…Der Tanz sucht Ängste und Aggressionen auszudrücken die sich hier auftun…“

Barbara Wiegand / RBB - Inforadio

Unter dem Eindruck zahlreicher Krisen schrieb T.S. Eliot 1922 sein Gedicht "The Waste Land" - so düster, wie zeitlos. Gut hundert Jahre später nimmt sich das Theaterkollektiv Nico and the Navigators des Textes an und macht daraus "Wasted Land" im Radialsystem.


Der Beitrag kann hier nachgehört werden: https://www.ardaudiothek.de/episode/kultur/eindringlich-wasted-land-von-nico-and-the-navigators/rbb24-inforadio/12549199/


(Einspieler / Ted Schmitz) „…what branches grow | Out of this stony rubbish?”


Was sind das für Wurzeln, die greifen, was für Äste wachsen | Aus diesem steinernen Schutt?

1922, der Erste Weltkrieg ist vorbei. Genauso die Spanische Grippe. Gerade hat es in Europa eine außerordentliche Dürreperiode gegeben. Krisen, die die Menschen zermürbt haben, das Land veröden ließen. Leere, auch persönliche Leere. Tief taucht T.S. Eliot mit seinem Poem „The Waste Land“ in Endzeitstimmung ein, in fragmentarisch zerrissenen, assoziativen 433 Zeilen, gespickt mit Zitaten vergangener Mythen und Legenden und voller Blicke hinab in menschliche Abgründe, eigene Seelenzustände. Handlung gibt es nicht, eher einzelne Ereignisse. Geht es doch um das Totenamt, um Dürre und Flut, um Zwist und um den Lauf der Dinge – gestern wie morgen.


(Einspieler / Ted Schmitz) „April is the cruelest month”


April als übelster Monat von allen, selbst der Frühling ist bei T.S. Eliot hoffnungslose Erinnerung an einen entbehrungsreichen Winter. NICO AND THE NAVIGATORS greifen die Düsternis über diesem ‚Waste Land‘ in ihrem „Wasted Land“ auf und erheben sich zu Anfang aus dem über die leere Bühne wabernden Nebel zu ihrem Spiel mit und um T.S. Eliots Worte herum. Mal schwingt das mit in einer gewissen Melodramatik, mal bricht es damit, in dem die Gruppe manches Zitat ironisch überzieht.


(Einspieler / Patric Schott) „Tristan und Isolde, Erster Aufzug, Vers 1 bis 8…“


Dazu ist die Musik mit E-Gitarre, Geige, Trompete, Schlagzeug, Synthesizer mal atmosphärischer Klangteppich, mal vorwärtstreibende Disharmonie, dann plötzlich heiterer Folksong, Blues-Ballade – ein Klangraum mit genügend Platz für eigene Assoziationen, um sich treiben zu lassen in Zeilen, die nicht immer Sinn ergeben, die man nicht verstehen muss, damit sie einen berühren.


(Einspieler / Wolke Mišewitch, Ted Schmitz) “Well now that's done: and I'm glad it's over. | This music crept by me upon the waters”


Der Gesang von NICO AND THE NAVIGATORS fühlt sich sensibel darin ein. Der Tanz sucht, Ängste, Aggressionen auszudrücken, die sich hier auftun – Eindringlich, ein bisschen formelhaft bisweilen. Auch die szenische Interpretation wirkt manchmal eher vorgetragen, nur um den sehr strapazierten Effekt der Livecam erweitert. Hier hätte man sich mehr eigene Akzente gewünscht. Immer wieder aber schaffen es NICO AND THE NAVIGATORS doch, sich an T. S. Eliots „The Waste Land“ anzunähern. An ein Gedicht, das seinem Urheber in seiner Bruchstückhaftigkeit Halt bieten sollte. In krisenhaften Zeiten, die uns heute so zeitlos erscheinen.


(Einspieler / Wolke Mišewitch) “Well now that's done: and I'm glad it's over.”

Eine Produktion von Nico and the Navigators, gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa sowie aus Fördergeldern des „dive in. Programms für digitale Interaktionen“ von der Kulturstiftung des Bundes. In Kooperation mit dem Radialsystem.

logo logo
<< Zurück zur Projektübersicht

Ticket-Benachrichtigung

Tickets für diesen Termin sind noch nicht erhältlich. Hinterlassen Sie Ihre E-Mail-Adresse, um benachrichtigt zu werden, wenn Tickets verfügbar sind.

Unbenannt-2