Ein Education-Projekt mit Kirill Petrenko & Nico and the Navigators: Menschlichkeit in einer inhumanen Umgebung und das Ringen um die eigene Würde; diese zeitgemäßen Aspekte der Oper „Suor Angelica“ von Giacomo Puccini will Nicola Hümpel mit ihren Akteuren herausarbeiten.
Giacomo Puccinis Operneinakter „Suor Angelica“ erzählt eine berührende Geschichte: Die Protagonistin, die nach der Geburt eines unehelichen Sohnes von ihrer hartherzigen Tante ins Kloster verbannt wurde, sehnt sich nach ihrem Kind. Das Klosterleben ist geprägt von Geboten und Verboten, die die Mitschwestern offen oder heimlich zu umgehen versuchen. Als Angelica während eines Besuchs ihrer Tante erfährt, dass ihr Sohn gestorben ist, will sie nicht länger leben und bereitet sich einen Gifttrank. Im Sterben hat sie die Vision, dass die Mutter Gottes sie mit ihrem Kind vereint.
Auch wenn Ort und Zeit wenig mit unserer heutigen Lebensrealität zu tun haben, ist die Botschaft der Oper aktueller denn je: Es geht um Menschlichkeit in einer inhumanen Umgebung und um die Verteidigung der eigenen Würde. Diese zeitgemäßen Aspekte des Werks arbeitet die Regisseurin Nicola Hümpel mit ihrem Ensemble Nico and the Navigators und den Solistinnen der Berliner Musikhochschulen heraus. Die Themen von einst verschmelzen mit aktuellen gesellschaftspolitischen Phänomenen und der eigenen Erfahrungswelt zu einer neuen Form von Musiktheater – alltagsnah, assoziativ, fordernd, anrührend, verblüffend. Hinzu kommt Puccinis grandiose Musik in der Interpretation von Kirill Petrenko. Mit psychologischem Feingefühl weiß der Komponist sämtliche Emotionen seiner Protagonistinnen musikalisch zu beleuchten und nachzuzeichnen.
In den Aufführungen von Puccinis Operneinakter „Suor Angelica“ vereinen sich zudem mehrere Aspekte von Vermittlungsarbeit, die sich die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko auf die Fahnen geschrieben haben: Neben der Förderung von vielversprechenden jungen Nachwuchsmusikerinnen und –musikern zählt hierzu insbesondere die Idee, Menschen aller Altersgruppen und verschiedenster Herkunft gemeinsam für die Klassische Musik zu begeistern. Mit der Besetzung aus Solistinnen der Berliner Musikhochschulen und den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Karajan-Akademie erhalten hochtalentierte junge Musikerinnen und Musiker die Gelegenheit, intensiv mit einem Dirigenten von Weltruhm sowie mit einem erfahrenen Regieteam zusammenzuarbeiten. Die erwachsenen Laiensängerinnen und -sänger des Projektchors haben sich im Vorfeld einem anspruchsvollem Auswahlverfahren gestellt und können so gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen der Vokalhelden in einem hochprofessionellen Setting eine sicherlich unvergessliche künstlerische Erfahrung sammeln.
„Genial auch dieser szenische Einfall Hümpels: Der erwartbar große Auftritt von der Fürstin (hochgenial: die stimmlich nach wie vor total intakte und in unauffällig-schwarzes Managerdesign gesteckte Katarina Dalayman!!), welcher mit ihrer live gefilmten Limousinen-Anfahrt bis vors Hauptportal des Hans-Scharoun-Baus startet, sich mit ihrem Gang durch das Foyer fortsetzt und ihrem Treppensteigen Richtung „Bühneneingang“, wo sie endlich dann höchstselbst den Saal für sich erobert, kulminiert, hat Extrabiss und ist von ominöser Qualität!! / Die Oper endet dann auch so, dass man bei/nach dem unendlich verhallenden, verhauchenden Finale Suor Angelicas nur noch die Dalayman, die sich inzwischen wieder ins Foyer verdrückt hatte, wo sie sich Wein hinter die Binde kippt, zu sehen bekommt.“
Jetzt wird also auch Kirill Petrenko nach und nach das schon vor 16 Jahren von Sir Simon Rattle initiierte Education-Programm der Berliner Philharmoniker mit "Eigen-Einbringung" zu adeln wissen - gestern Abend tat ihm das auf umwerfende Weise bei Puccinis Suor Angelica (unter dem vielsagenden Arbeitstitel "Faith to Face") zum ersten Mal gelingen. Kurz erklärt: "In diesen Aufführungen [...] vereinen sich zudem mehrere Aspekte von Vermittlungsarbeit, die sich die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko auf die Fahnen geschrieben haben: Neben der Förderung von vielversprechenden jungen Nachwuchsmusikerinnen und –musikern zählt hierzu insbesondere die Idee, Menschen aller Altersgruppen und verschiedenster Herkunft innerhalb gemeinsamer Projekte für die Klassische Musik zu begeistern. Mit der Besetzung aus Solistinnen der Berliner Musikhochschulen und den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Karajan-Akademie erhalten hochtalentierte herausragende junge Musikerinnen und Musiker die Gelegenheit, intensiv mit einem Dirigenten von Weltruhm sowie mit einem erfahrenen Regieteam zusammenzuarbeiten. Die erwachsenen Laiensängerinnen und -sänger des Projektchors haben sich im Vorfeld einem anspruchsvollem Auswahlverfahren gestellt und können so gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen der Vokalhelden in einem hochprofessionellen Setting eine sicherlich unvergessliche künstlerische Erfahrung sammeln." (Quelle: berliner-philharmoniker.de) Das Orchesterpodium ist versenkt, sodass der optische Eindruck eines irgendwie vorhandenen Orchestergrabens, halt wie in der Oper, entsteht. Davor befindet sich ein zweigeteiltes lang gestrecktes weißes Sitzmöbel, in dem - für jede der 12 Nonnen und/oder Novizinnen dieses arg rühseligen und "im Geist" arg nervenden Einakters von Giovacchino Forzano - genauso viele Schiebekästenfächer von Gesamtausstatter Oliver Proske eingestanzt wurden. Hinterm/überm Orchester fährt eine genauso zweigeteilte LED-Tafel, auf der dann simultan (sprich: live) die Groß-Gesichtsaufnahmen der dann jeweils Singenden in porentief gestochen-scharfem HD sichtbar werden, hin und her. Die Vorstellung beginnt mit einem launigen und eigentlich doch recht gesichtslosen Klavier-Prolog "nach Motiven von Giacomo Puccini", komponiert und gespielt von Matan Porat - währenddem betreten die Protagonistinnen ihren als Nonnenkloster stilisierten Handlungsort; es sieht so aus, als ob sie grade erst dem Bund der Kirche beigetreten sind, denn sie sind drauf und dran, ihre Klamotten aus ihrer Vorzivilisation mit denen ihres neuen Haftraums einzutauschen; die Kostüme stammten von Nicola Hümpel, die zugleich Regie führte. Ann Toomey singt und spielt die Titelrolle, und sie schält sich aus dem Kreise ihrer Mitgefährtinnen - nach Hümpels Sicht könnte besagtes Nonnenkloster auch einem karitativ organisierten Frauenhaus unserer Tage folgerichtig aufgeopfert worden sein - als wohl Emanzipierteste von ihresgleichen raus; nicht nur weil sie am Schluss des Operneinakters ganz selbstbewusst für ihren selbstbestimmten Freitod steht! Und sowieso klingt ihr Sopran zum einen seidenweich, zum anderen brutal; die echte Mischung, die man für Puccini eben braucht. Genial auch dieser szenische Einfall Hümpels: Der erwartbar große Auftritt von der Fürstin (hochgenial: die stimmlich nach wie vor total intakte und in unauffällig-schwarzes Managerdesign gesteckte Katarina Dalayman!!), welcher mit ihrer live gefilmten Limousinen-Anfahrt bis vors Hauptportal des Hans-Scharoun-Baus startet, sich mit ihrem Gang durch das Foyer fortsetzt und ihrem Treppensteigen Richtung "Bühneneingang", wo sie endlich dann höchstselbst den Saal für sich erobert, kulminiert, hat Extrabiss und ist von ominöser Qualität!! / Die Oper endet dann auch so, dass man bei/nach dem unendlich verhallenden, verhauchenden Finale Suor Angelicas nur noch die Dalayman, die sich inzwischen wieder ins Foyer verdrückt hatte, wo sie sich Wein hinter die Binde kippt, zu sehen bekommt... Das Orchester mit den Stipendiaten der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker vollzieht Petrenkos meistens leise, ruhige, ausgeglichene und also völlig "unhektische" Sicht der Dinge - kompatibler gehen Partnerschaften nicht, und wer ließ sich hier eigentlich von wem am meisten inspirieren? Mein Gott, war das Alles großartig und schön!
„Originell und voller Witz präsentierte sich die Regie von Nicola Hümpel, die zusammen mit dem Bühnenbildner Oliver Proske für eine zeitgemäße Inszenierung des historischen Stoffes sorgte. So wirkten die Novizinnen in ihrer schlichten Kleidung, die von Nicola Hümpel fern aller Nonnenklischees ausgesucht wurde, ein wenig wie Aussteigerinnen der Jetztzeit, die in einem spirituellen Camp fernab der Alltagsprobleme zu sich selbst finden möchten und sich doch auch dort oft genug gegenseitig bekämpfen.“
Mit dem Puccini-Einakter „Suor Angelica“ präsentiert Kirill Petrenko sein erstes Education- Projekt in der Philharmonie Man erwartet eine Opernaufführung, halbszenisch, in der Philharmonie. Man freut sich auf eine schöne Ouvertüre, gespielt von einem Orchester, doch es kommt anders: Mehrere Darstellerinnen bewegen sich in Pina-Bausch-Tanztheater-Manier auf der Bühne und geben merkwürdige Laute von sich und wuscheln durch ihre Haare, dazu spielt ein junger Pianist Puccini-Melodien, die jedoch immer wieder ins Jazzige abdriften. Ein Blick ins Programmheft klärt die Sache auf: Vor der eigentlichen Oper „Suor Angelica“ von Giacomo Puccini erklingt ein „Prolog“ für Klavier solo des israelischen Komponisten Matan Porat, der selbst am Flügel sitzt. Nun kommt Kirill Petrenko auf die Bühne, und nahtlos geht das Klaviervor- spiel über in die Ouvertüre zu Puccinis Einakter. Ein origineller Start für ein selten aufgeführtes Musiktheaterwerk. „Suor Angelica“ bildet innerhalb des „Tritticco“ (zu Deutsch: Tryptichon) das lyrische Mittelstück, das vom tragischen Einakter „Il tabarro“ und der heiteren Oper „Gianni Schicchi“ umrahmt wird. Das etwas rührselige Libretto stammt von Giovacchino Forzano. „Suor Angelica“ spielt in einem bei Siena gelegenen Frauenkloster gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Der Zuschauer wird mit dem Alltag der Novizinnen konfrontiert. Vieles dreht sich um die Vergehen der Nonnen, die von der Lehrmeisterin streng geahndet werden. Zunächst wird Schwester Angelica als eine von Vielen gezeigt, im Laufe des Stück avanciert sie jedoch immer mehr zur Protagonistin. Sie stammt aus adliger Familie, die zur Strafe ins Kloster geschickt wurde. Als ihre unbarmherzige Tante sie dort besucht, um von Angelica eine Verzichtserklärung hinsichtlich des elterlichen Erbes zu bekommen, erfährt Angelica von dieser, dass ihr unehelicher Sohn, den sie vor ihrer Novizinnen-Zeit zur Welt brachte, verstorben ist. Nachdem die Tante wieder abgereist ist, verfällt Angelica in schwere Trauer. Sie möchte nur noch sterben, um wieder bei ihrem Kind zu sein und kocht einen giftigen Trank, um sich zu töten. Als sie das Gift eingenommen hat, wird ihr die sündige Tat bewusst und sie bittet die Mutter Gottes um Gnade. Unterdessen beginnt die Kirche zu leuchten, sie öffnet sich und gibt den Blick auf eine Schar Engel frei. Die Jungfrau Maria tritt mit einem blonden Knaben aus der Kirche, der langsam auf Angelica zugeht, begleitet vom Chor der Engel. Angelica stirbt. Für die vokalen Parts, die ausschließlich durch Frauenstimmen abgedeckt werden, wurden herausragende Gesangsstudentinnen verschiedenster Nationen aus Berliner Musikhochschulen verpflichtet, während sich das Orchester aus Stipendiaten der Karajan-Akademie zusammensetzte. Stimmliche Unterstützung gab es vom Projektchor des Vokalhelden-Chroprogramms. Das künstlerische Resultat war schlichtweg überwältigend. Insbesondere die amerikanische Sopranistin Ann Toomey begeisterte in der Rolle als Angelica mit der farblichen Bandbreite ihrer Stimme, ebenso die schwedische Starsängerin Katarina Dalayman, die als Gaststar für die Rolle von Angelicas Tante gewonnen werden konnte; sie gestaltete mit hoher emotionaler Intensität und überragender Technik. Auch die Französin Sarah Laulan überzeugte mit ihrem samtig-fülligen Alt. Die Novizinnen wirken wie Aussteigerinnen der Jetztzeit Originell und voller Witz präsentierte sich die Regie von Nicola Hümpel, die zusammen mit dem Bühnenbildner Oliver Proske für eine zeitgemäße Inszenierung des historischen Stoffes sorgte. So wirkten die Novizinnen in ihrer schlichten Kleidung, die von Nicola Hümpel fern aller Nonnenklischees ausgesucht wurde, ein wenig wie Aussteigerinnen der Jetztzeit, die in einem spirituellen Camp fernab der Alltagsprobleme zu sich selbst finden möchten und sich doch auch dort oft genug gegenseitig bekämpfen. Eine Besonderheit bei den Darstellerinnen dieser Aufführung ist, das jede der 13 Frauen aus einem anderen Land stammt und insgesamt auch alle fünf Kontinente abgedeckt werden. Die pädagogische Idee, die dahintersteckt ist, dass Menschen aus verschiedensten Nationen und Kulturkreisen zusammenkommen, ihre Erfahrungen austauschen und miteinander musizieren sollen. Durch den Einsatz von Videoleinwänden wurden die Gesichter der Darstellerinnen regelmäßig in Großaufnahme gezeigt, was einen besonderen Anspruch an das mimische Spiel stellte. Bleibt zu erwähnen, dass Petrenko und die jungen Orchestermusiker ebenfalls einen tollen Job machten. In der Zusammenarbeit mit dem russischen Weltklassedirigenten liefen sie musikalisch zu Höchstform auf. Wunderbar schwebend, voller tänzerischer Leichtigkeit und mit viel Herzenswärme brachten sie Puccinis Partitur zum Klingen. Auch für die jungen Laiensänger im Chor dürfte die Zusammenarbeit mit einem solch empathischen Vollblutmusiker wie Petrenko ein besonderer Moment in ihrem Leben gewesen sein. So wie Petrenko auf der Bühne nach allen Seiten kommunizierte, zeigte, dass er ein höchst erfahrener Operndirigent ist, der es bestens versteht, die verschiedensten Akteure einer Aufführung miteinander zu koordinieren. Dafür gab’s in der ausverkauften Philharmonie reichlich Applaus.
„In diesen Porträts erreicht Hümpels Inszenierung einen hohen Grad an Lebendigkeit, kommt sie besonders nah an unsere Gegenwart heran. Was auch die große Videoleinwand befördert, auf die das Geschehen live projiziert wird … Die Inszenierung wirkt modern und schlüssig, sie bindet auch den Nachwuchs des Philharmoniker-eigenen «Vokalhelden»-Chors ein.“
Kirill Petrenko führt in der Berliner Philharmonie mit singenden und musizierend Nachwuchskräften Puccinis «Suor Angelica» auf. Im Mittelalter waren Klöster Träger der Zivilisation, Bewahrer antiken Wissens, Inseln von Bildung in einem Meer des Analphabetismus. Wer im Kloster lebte, hatte es nicht am Schlechtesten getroffen, war versorgt, einigermaßen sicher, geboren in einer Gemeinschaft. Schon im Zeitalter muss das lange vorbei gewesen sein. Mit seinem 1917 entstandenen Operneinakter «Suor Angelica» wollte die für ihn höchste Form der Liebe, die Mutterliebe, ehren. Er schuf aber auch ein eindringliches Dokument über die geistige Erstarrung, die hinter Klostermauern herrschte. Die Handlung ist grässlich: Angelica wird gezwungen, Nonne zu werden. Erst nach sieben Jahren erfährt sie, dass ihr uneheliches Kind gestorben ist. In höchster Verzweiflung mixt sie einen Gifttrank - und darf noch glücklich sein, dass die Großmutter sie vor der ewigen Verdammnis rettet, die ihr als Selbstmörderin gedroht hätte. Zwänge allerorten, permanente Schuldgefühle, schlechtes Gewissen, immer wird Reue gefordert. Eignet sich ein solcher Stoff für Nachwuchsmusiker? Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker sind dieser Meinung und führten das Stück - für das sich Puccini vom Klosterleben seiner Schwester Iginia inspirieren ließ und das eigentlich den Mittelteil von «Il Trittico» bildet - Anfang Februar halbszenisch in der Berliner Philharmonie auf, unter dem Titel «Faith to Face». Es ist das erste Education-Projekt des neuen Chefdirigenten. Nico and the Navigators-Regisseurin Nicola Hümpel gibt sich viel Mühe, um die Relevanz der Geschichte für Heute zu betonen - als Erzählung über Menschlichkeit in unmenschlicher Umgebung. Vor allem polstert sie die Nebenrollen der anderen Nonnen kräftig auf. Komponist Matan Porat hat einen Prolog geschrieben und sitzt selbst am Klavier, er gibt jeder der Frauen (gesungen von Studierenden der beiden Berliner Musikhochschulen) eine Minute Zeit, ihre Figur auf einem Steg gestisch zu präsentieren (Choreografie: Yui Kawaquchi). Gerade in diesem Porträts erreicht Hümpels Inszenierung einen hohen Grad an Lebendigkeit, kommt sie besonders nah an unsere Gegenwart heran. Was auch die große Videoleinwand befördert, auf die das Geschehen live projiziert wird. Petrenkos Gestik ist ungemein weich, fließend, er erzielt mit den Instrumentalisten der Karajan-Akademie einen schlanken, irisierenden, dynamisch allerdings recht eingeebneten, weitgehend risikoarmen Sound. Ein gutes Klangbett für den zentralen Konflikt zwischen Angelica (Ann Toomey) und der Fürstin (Katarina Dalayman), die zugleich ihre Tante ist und ihr, beiläufig fast, die fürchterliche Nachricht vom Tod des Sohnes überbringt. Als Education-Projekt ist «Faith to Face» durchaus gelungen. Die Inszenierung wird modern und schlüssig, sie bindet auch den Nachwuchs des Philharmoniker-eigenen «Vokalhelden»-Chors ein. Aber auch an diesem Abend wird das Libretto nicht umgeschrieben. Wieder einmal dreht sich alles, wie so oft im Musiktheater, um ein fürchterliches Frauenschicksal. Die Titelheldin in Benjamin Brittens «The Rape of Lucretia», einer Oper, die das Deutsche Symphonie-Orchester wenige Tage zuvor in einem ähnlichen Nachwuchsprojekt in Berlin aufgeführt hatte, ergeht es kaum besser. Die Arbeit mit dem musizierenden und singenden Nachwuchs bedeutet eben nicht automatisch, dass auch neue, zukunftsweisende Stoffe verhandelt werden.
„Der erwartbar große Auftritt von der Fürstin (hochgenial: die stimmlich nach wie vor total intakte und in unauffällig-schwarzes Managerdesign gesteckte Katarina Dalayman!!), welcher mit ihrer live gefilmten Limousinen-Anfahrt bis vors Hauptportal des Hans-Scharoun-Baus startet, sich mit ihrem Gang durch das Foyer fortsetzt und ihrem Treppensteigen Richtung „Bühneneingang“, wo sie endlich dann höchstselbst den Saal für sich erobert, kulminiert, hat Extrabiss und ist von ominöser Qualität!!“
Premierenkritik Erstes Education-Projekt der Berliner Philharmoniker unter ihrem neuen "Chef" Kirill Petrenko Jetzt wird also auch Kirill Petrenko nach und nach das schon vor 16 Jahren von Sir Simon Rattle initiierte Education-Programm der Berliner Philharmoniker mit "Eigen-Einbringung" zu adeln wissen - gestern Abend tat ihm das auf umwerfende Weise bei Puccinis Suor Angelica (unter dem vielsagenden Arbeitstitel "Faith to Face") zum ersten Mal gelingen. Kurz erklärt: "In diesen Aufführungen [...] vereinen sich zudem mehrere Aspekte von Vermittlungsarbeit, die sich die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko auf die Fahnen geschrieben haben: Neben der Förderung von vielversprechenden jungen Nachwuchsmusikerinnen und –musikern zählt hierzu insbesondere die Idee, Menschen aller Altersgruppen und verschiedenster Herkunft innerhalb gemeinsamer Projekte für die Klassische Musik zu begeistern. Mit der Besetzung aus Solistinnen der Berliner Musikhochschulen und den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Karajan-Akademie erhalten hochtalentierte herausragende junge Musikerinnen und Musiker die Gelegenheit, intensiv mit einem Dirigenten von Weltruhm sowie mit einem erfahrenen Regieteam zusammenzuarbeiten. Die erwachsenen Laiensängerinnen und -sänger des Projektchors haben sich im Vorfeld einem anspruchsvollem Auswahlverfahren gestellt und können so gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen der Vokalhelden in einem hochprofessionellen Setting eine sicherlich unvergessliche künstlerische Erfahrung sammeln." (Quelle: berliner-philharmoniker.de) Das Orchesterpodium ist versenkt, sodass der optische Eindruck eines irgendwie vorhandenen Orchestergrabens, halt wie in der Oper, entsteht. Davor befindet sich ein zweigeteiltes lang gestrecktes weißes Sitzmöbel, in dem - für jede der 12 Nonnen und/oder Novizinnen dieses arg rühseligen und "im Geist" arg nervenden Einakters von Giovacchino Forzano - genauso viele Schiebekästenfächer von Gesamtausstatter Oliver Proske eingestanzt wurden. Hinterm/überm Orchester fährt eine genauso zweigeteilte LED-Tafel, auf der dann simultan (sprich: live) die Groß-Gesichtsaufnahmen der dann jeweils Singenden in porentief gestochen-scharfem HD sichtbar werden, hin und her. Die Vorstellung beginnt mit einem launigen und eigentlich doch recht gesichtslosen Klavier-Prolog "nach Motiven von Giacomo Puccini", komponiert und gespielt von Matan Porat - währenddem betreten die Protagonistinnen ihren als Nonnenkloster stilisierten Handlungsort; es sieht so aus, als ob sie grade erst dem Bund der Kirche beigetreten sind, denn sie sind drauf und dran, ihre Klamotten aus ihrer Vorzivilisation mit denen ihres neuen Haftraums einzutauschen; die Kostüme stammten von Nicola Hümpel, die zugleich Regie führte. Ann Toomey singt und spielt die Titelrolle, und sie schält sich aus dem Kreise ihrer Mitgefährtinnen - nach Hümpels Sicht könnte besagtes Nonnenkloster auch einem karitativ organisierten Frauenhaus unserer Tage folgerichtig aufgeopfert worden sein - als wohl Emanzipierteste von ihresgleichen raus; nicht nur weil sie am Schluss des Operneinakters ganz selbstbewusst für ihren selbstbestimmten Freitod steht! Und sowieso klingt ihr Sopran zum einen seidenweich, zum anderen brutal; die echte Mischung, die man für Puccini eben braucht. Genial auch dieser szenische Einfall Hümpels: Der erwartbar große Auftritt von der Fürstin (hochgenial: die stimmlich nach wie vor total intakte und in unauffällig-schwarzes Managerdesign gesteckte Katarina Dalayman!!), welcher mit ihrer live gefilmten Limousinen-Anfahrt bis vors Hauptportal des Hans-Scharoun-Baus startet, sich mit ihrem Gang durch das Foyer fortsetzt und ihrem Treppensteigen Richtung "Bühneneingang", wo sie endlich dann höchstselbst den Saal für sich erobert, kulminiert, hat Extrabiss und ist von ominöser Qualität!! / Die Oper endet dann auch so, dass man bei/nach dem unendlich verhallenden, verhauchenden Finale Suor Angelicas nur noch die Dalayman, die sich inzwischen wieder ins Foyer verdrückt hatte, wo sie sich Wein hinter die Binde kippt, zu sehen bekommt... Das Orchester mit den Stipendiaten der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker vollzieht Petrenkos meistens leise, ruhige, ausgeglichene und also völlig "unhektische" Sicht der Dinge - kompatibler gehen Partnerschaften nicht, und wer ließ sich hier eigentlich von wem am meisten inspirieren? Mein Gott, war das Alles großartig und schön!
„Als Education-Projekt ist ‚Faith to Face‘ gelungen. Die Inszenierung ist modern, schlüssig, sie gibt Studierenden eine Möglichkeit zum Auftritt und begeistert auch den mitwirkenden Nachwuchs, vor allem die Sängerinnen und Sänger des philharmonikereigenen Vokalhelden-Chores, für klassische Musik.“
Kirill Petrenko dirigiert Puccinis „Suor Angelica“ beim Education-Projekt in der Philharmonie. Das Libretto ist scheußlich. Eine Frau muss ins Kloster, wo sie sieben Jahre später erfährt, dass ihr uneheliches Kind längst gestorben ist. Daraufhin mixt sie sich in höchster Verzweiflung einen Gifttrank und darf noch froh sein, dass die Heilige Jungfrau sie in letzter Minute vor der ewigen Verdammnis rettet, die ihr als Selbstmörderin gedroht hätte – indem sie sie in den Celesta-umflorten Himmel erhebt. So anrührend Giacomo Puccinis Musik im Operneinakter „Suor Angelica“ auch ist: Der Stoff ist für Menschen des 21. Jahrhunderts starker Tobak. Das hält die Berliner Philharmoniker nicht davon ab, das Stück – eigentlich der mittlere Teil von Puccinis Zyklus „Il Trittico“ – unter dem Titel „Faith to Face“ als erstes Education-Projekt des neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko auszuwählen. Denn es habe uns heute immer noch viel zu sagen, über Menschlichkeit in unmenschlicher Umgebung und Mutterliebe. Und natürlich gibt es nach wie vor Frauen, denen die Kinder von der Brust gerissen werden. „Nico and the Navigators“-Regisseurin Nicola Hümpel lässt alle Darstellerinnen in der Philharmonie – ursprünglich war der Flughafen Tempelhof geplant – auf einem Steg auftreten. Heutig wird ihre Inszenierung vor allem in den aufgepolsterten Nebenrollen der übrigen Schwestern in diesem Kloster bei Siena. UdK- und „Hanns Eisler“-Solistinnen singen sie überzeugend, machen aus ihnen individuelle Charaktere: die Fresssüchtige, die Schüchterne, die Exaltierte. Risikofreier Sound Komponist Matan Porat, der selbst am Klavier sitzt, hat auf Basis der ersten beiden Glockentöne von Puccini einen Prolog geschrieben, der jeder Schwester eine Minute Zeit gibt, sich gestisch zu präsentieren. Liveübertragungen auf großer Leinwand rücken das Geschehen nah an den Betrachter heran. Plötzlich steht Kirill Petrenko am Pult. Ungemein weich und fließend seine Bewegungen, elegant und suggestiv. Damit entlockt er den Musikerinnen und Musikern der Karajan-Akademie der Philharmoniker einen fein austarierten, allerdings auch weitgehend risikofreien Sound, der den mittleren Dynamikbereich nur selten verlässt. Mit Handtasche durchs Foyer Kein Risiko geht auch Ann Toomey als Protagonistin Angelica ein. Sie singt intonationssicher, aber mit einer gebremster Verzweiflung, die durchaus stärker zur Geltung kommen dürfte. Ihrer Stimme wünscht man noch etwas mehr Substanz in allen Lagen. Die bringt der reife Alt von Katarina Dalayman mit, die als böse Fürstin und Angelicas Tante schon lange vor dem physischen Auftritt auf der Leinwand wandelt, vor der Philharmonie parkt, mit Handtasche durchs Foyer geht. Die Begegnung der beiden Frauen – mit tiefen, langen Notenwerten die eine, mit deutlich kürzeren, vitaleren Tönen die andere – ist Höhe- und Mittelpunkt des einstündigen Werks. Die Fürstin war es, die Angelica einst ins Kloster gesteckt hat. Und sie überbringt ihr jetzt die Hiobsbotschaft vom Tod des Sohnes, während sich die übrigen Schwestern um Angelica scharen wie die Walküren um Brünnhilde. Dass sich die Tante ihrer Schuld bewusst ist, verrät das Zittern, mit dem sie am Ende, wieder auf der Leinwand, noch einen Aperitif an der Bar schlürft. Als Education-Projekt ist „Faith to Face“ gelungen Fazit: Als Education-Projekt ist „Faith to Face“ gelungen. Die Inszenierung ist modern, schlüssig, sie gibt Studierenden eine Möglichkeit zum Auftritt und begeistert auch den mitwirkenden Nachwuchs, vor allem die Sängerinnen und Sänger des philharmonikereigenen Vokalhelden-Chores, für klassische Musik. Trotzdem ist die Inszenierung auch affirmativ, denn sie kann das Klosterleben mit all seinen Zwängen, den permanenten Schuldgefühlen und dem schlechten Gewissen nicht kritisieren, ohne es zugleich auszustellen. Wie wir umgehen sollen mit den vielen unerträglichen Stoffen in der Oper, die so häufig in Opferung und Tod einer Frau enden, wenn wir trotzdem diese Musik hören wollen: Das bleibt ein Problem, das auch dieser Abend nicht lösen kann.
„Die Uraufführung am Samstagabend wurde sowohl von Kritikern als auch vom Publikum begeistert aufgenommen … Die Oper thematisiert nicht nur die Rolle der Frau in der Gesellschaft, sondern beleuchtet auch das Leid, das durch Vertreibung, Trennung und Flucht vor Krieg und Naturkatastrophen wie der Erderwärmung entsteht.“
Der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, hat sich mit einer Aufführung von Puccinis wenig bekannter Frauenoper "Suor Angelica" erneut einen Namen in der Musikszene der Stadt gemacht und damit Publikum und Kritiker gleichermaßen überzeugt.
Berlin (dpa) - Der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, hat für sein erstes Opernprojekt im Rahmen des Education-Programms des Orchesters eine selten gespielte Oper ausgewählt, die im Italien des späten 17. Jahrhunderts spielt. Mehr als 100 Jahre nach der Uraufführung von Giacomo Puccinis "Suor Angelica" ist die Oper auch heute noch bemerkenswert aktuell. Die Uraufführung am Samstagabend wurde sowohl von Kritikern als auch vom Publikum begeistert aufgenommen. "Mein Gott, war das alles großartig und schön", schrieb die deutsche Wochenzeitung Der Freitag. Die Oper thematisiert nicht nur die Rolle der Frau in der Gesellschaft, sondern beleuchtet auch das Leid, das durch Vertreibung, Trennung und Flucht vor Krieg und Naturkatastrophen wie der Erderwärmung entsteht. "Im Grunde war die erste Frage für mich: Wie kann ich diese Oper in das Hier und Jetzt setzen? Was hat sie mit uns jetzt zu tun?", sagte Nicola Hümpel, die die Inszenierung der Oper am Samstag in der Berliner Philharmonie leitete. Die 1917 komponierte "Suor Angelica" war eine von drei Einaktern Puccinis und wurde im Dezember 1918 uraufgeführt, nur sechs Jahre vor seinem Tod im Alter von 65 Jahren. Im Gespräch mit der Digital Concert Hall der Philharmonie, einer Online-Plattform, die auch die "Suor Angelica"-Aufführung kostenlos im Livestream zeigt, beschrieb Petrenko die Oper als "sehr realistisch". Sie erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die sieben Jahre zuvor von ihrer Familie zur Strafe für ein uneheliches Kind in ein Kloster geschickt wurde. Heldinnen dominieren einige von Puccinis berühmtesten Opern, wie "La Boheme", "Madame Butterfly", "Tosca" und "Turandot". Aber in "Suor Angelica" hat der große italienische Opernkomponist ein Stück geschrieben, in dem Frauen die gesamte Besetzung stellen, was laut Hümpel, einer deutschen Theater- und Opernregisseurin, ungewöhnlich für eine Oper ist. Hümpel sieht Ähnlichkeiten zwischen dieser Geschichte einer Mutter, die von ihrem unehelichen Kind getrennt wird, und der Notlage von Menschen, die in der heutigen Zeit um ihre Würde kämpfen. "Weltweit werden Mütter von ihren Kindern getrennt, weil sie vor Gewalt oder Krieg fliehen", sagt Hümpel, der auch für die Kostüme der Oper verantwortlich ist. "Wir haben den Schauplatz der Oper [vom Schauplatz eines Klosters] an einen spirituellen Ort von heute verlegt, wo sich Frauen treffen, um Traumata zu verarbeiten, Meditationsübungen zu machen oder einfach ihr Leben zu optimieren", sagte sie. Die Aufführung der Oper war Teil des Education-Programms der Berliner Philharmoniker, das darauf abzielt, die Arbeit des Orchesters und seine Musik möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Das "Suor Angelica"-Team setzte sich aus 14 Nationen zusammen. Der gebürtige Russe Petrenko, der die Aufführung mit seiner gewohnten Verve dirigierte - ein Philharmoniker beschrieb sie einmal als die Energie eines Kung-Fu-Meisters -, sagte, die Oper sei "etwas Einzigartiges". Aufgeführt wurde sie von jungen Sängerinnen der Berliner Musikschulen sowie dem Chor des Vocal Heroes Choralprogramms und in Zusammenarbeit mit der Berliner Musiktheatergruppe Nico and the Navigators. Das internationale Sänger- und Musikerensemble, das die Oper aufführt, ist größtenteils unter 30 Jahre alt - und zum Teil deutlich jünger. Die führende schwedische Sopranistin Katarina Dalayman, 57 Jahre alt, spielt die einzige Erwachsenenrolle in der Oper. Ein großer Teil des Abends gehörte jedoch der amerikanischen Sopranistin Ann Toomey, die die Rolle der Angelica sang. "Petrenkos 'Suor Angelica' ist schmerzhaft ergreifend - das Streben nach der eigenen Würde in dieser giftigen Welt! Was für ein schöner und schmerzender Triumph!", twitterte der amerikanische Komponist und Chordirigent Emerson Eads. In seinem Gespräch mit Digital Concert sagte Petrenko, er glaube, dass das jugendliche Alter der Sänger dazu beigetragen habe, einen "sehr authentischen" Klang zu erzeugen, der das Gefühl von jungen Nonnen als verlorene Seelen in einem Kloster erzeuge. Er zollte auch dem Orchester der Oper Tribut, das aus jungen Musikern der Karajan-Akademie bestand. Sie wurde vor 40 Jahren vom legendären Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan, für Orchestermitglieder gegründet, um junge Musiker zu unterrichten. "Diese jungen Musiker nehmen alles in sich auf", sagte Petrenko, der im August letzten Jahres seine erste Saison als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker begann. Sie spielten, sagte er, "mit Feuer in ihren Augen".
„Die Regisseurin Nicola Hümpel definiert bei diesem Opernabend dann neue Sehweisen für das Publikum … Die Fürstin … verlässt nach dem Tod ihrer Nichte die Bühne. Normalerweise verschwände sie damit aus dem Sichtfeld des Publikums. Hier aber kann man sie über den großen Bildschirm weiter beobachten, draußen im Foyer der Philharmonie, ganz allein mit ihren Kummer und einem Getränk, das sie wie bittere Medizin einnimmt. Ein großer Auftritt einer Grand Dame der Oper, der live in den Saal übertragen wird – während sich auf der Bühne die Nonnen langsam aber sicher in moderne junge Frauen verwandeln.“
Ein leeres Kleid hält Schwester Osmina in ihren Händen. Traurig trägt die Tänzerin und Choreographin Yui Kawaguchi das Stück Stoff über die Bühne - ein einfaches und zugleich ungemein starkes Bild für den Tod. Denn gerade hat sich Schwester Angelica das Leben genommen. Von ihrer Tante, der Fürstin, hatte sie zuvor erfahren, dass ihr kleiner Sohn gestorben ist. Wegen dieses unehelichen "Fehltritts" hatte man Angelica vor sieben Jahren verstoßen und ins Kloster gesteckt. Ihr einziger Wunsch, den kleinen Sohn noch einmal wiederzusehen, ist nicht mehr in Erfüllung gegangen. Nach der tieftraurigen Abschiedsarie "Senza mamma" , in der Angelica beklagt, dass der Sohn "Ohne Mutter" gestorben sei, beschließt sie, ihn im Tod wiederzutreffen - was mithilfe der Heiligen Jungfrau Maria gelingt. Beste Besetzung, authentische junge Frauenstimmen Die Sängerin Ann Toomey stellt mit großer stimmlicher Kraft "Suor Angelica" musikalisch dar. In der choreographischen und szenischen Darstellung von Yui Kawaguchi wird auch die moderne Dimension dieser Frauenfigur deutlich. Die weiteren Partien und Rollen sind ohne Ausnahme ebenfalls bestens besetzt. Durchweg mit Frauen - wie sollte es in einem Nonnenkloster auch anders sein. Authentische junge Frauenstimmen, die nicht unbedingt schon voll entwickelt sein müssen - darauf hatte sich Kirill Petrenko vor der Aufführung gefreut und "Suor Angelica" als ideales Stück für das Education-Projekt bezeichnet. Viel lernen konnten hierbei offensichtlich auch die jungen Orchestermusiker der Karajan- Akademie, dem Förderprogramm für angehende Philharmoniker. Mit ihnen und den Sängerinnen gestaltet Petrenko einen höchst lyrischen Puccini, schildert in transparenten Orchesterklängen Emotionen, die frei von Rührseligkeit sind. Welch ein Glück muss es für die jungen Education- Teilnehmer aus 13 verschiedenen Ländern gewesen sein, mit einem der besten Operndirigenten zu arbeiten und von seinem Wissen über modernes Musiktheater profitieren zu können. "Bildschirm-Pausen" fehlen Die Regisseurin Nicola Hümpel definiert bei diesem Opernabend dann neue Sehweisen für das Publikum: Die Sängerinnen drehen sich beim Singen immer seitwärts, blicken in Kameras links oder rechts der Bühne. Die auf diese Weise gefilmten Arien erscheinen in Großaufnahmen hinter den Sängerinnen auf einer Videoleinwand. Der wirklich große Bildschirm in der Mitte des Podiums dominiert allerdings schon nach kurzer Zeit die Aufführung. Denn die gestochen scharfen Bilder der Kameras absorbieren mit ihrer Intensität beinahe die gesamte Aufmerksamkeit. Als Zuschauer muss man sich immer wieder vom kinohaften Großbild losreißen, um das reale Geschehen auf der Bühne nicht aus den Augen zu verlieren. Kurze "Bildschirm-Pausen" zwischendurch würden der modernen Inszenierung gut tun, so nutzt sich der visuelle Effekt nach einiger Zeit ab. Großer Auftritt einer Grand Dame der Oper Das moderne Bildschirm-Experiment mit seinen beiden visuellen Ebenen beschert am Ende aber noch einmal ganz neue Ansichten: Die Fürstin - die einzige Rolle im Stück, die mit der schwedischen Mezzosopranistin Katarina Dalayman von einer erfahrenen Sängerin ausgeführt wird - verlässt nach dem Tod ihrer Nichte die Bühne. Normalerweise verschwände sie damit aus dem Sichtfeld des Publikums. Hier aber kann man sie über den großen Bildschirm weiter beobachten, draußen im Foyer der Philharmonie, ganz allein mit ihren Kummer und einem Getränk, das sie wie bittere Medizin einnimmt. Ein großer Auftritt einer Grand Dame der Oper, der live in den Saal übertragen wird - während sich auf der Bühne die Nonnen langsam aber sicher in moderne junge Frauen verwandeln.
„Eine beeindruckende Idee der sich ansonsten angenehm zurückhaltenden Berliner Regisseurin Nicola Hümpel mit ihrem Ensemble Nico and the Navigators. Auch Petrenko gibt sich beim Schlussbeifall zugunsten der jungen Künstlerinnen und Künstler zurückhaltend, strahlt aber zu Recht übers ganze Gesicht.“
„A Star is Born“, so mein Eindruck nach der Aufführung von Giacomo Puccinis Drama „Suor Angelica“ im Rahmen des Education Programms der Berliner Philharmoniker. Erstmals dirigiert ihr Chef Kirill Petrenko in Berlin eine Oper, jedoch mit lauter jungen, sehr begabten Menschen. Es sind die Stipendiaten der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, die ihre Instrumente mit Verve und schon fast wie die Profis spielen. Einen guten Job macht auch der Chor des Vokalhelden- Chorprogramms. Mit dem Ausdruck „Volkhelden“ soll die Hemmschwelle tiefer gelegt und jungen Leuten Mut gemacht werden, dem Chor beizutreten. Das größte Erstaunen erregen jedoch die 13 Sängerinnen, Gesangssolistinnen und Studentinnen der Berliner Musikhochschulen. Sie singen und spielen die Schwestern in diesem Marienkloster. Puccini gemäß Italienisch singend, gestalten sie ihre Rollen mit Temperament, Darstellfreude und bereits gut entwickelten Stimmen. Die neu ins Kloster Eintretenden legen zunächst ihre farbenfrohe Garderobe ab, schlüpfen in die weiße Klostertracht und sitzen dann zusammen mit den schon länger im Kloster Lebenden auf einer langen Bank vor Petrenko und den Instrumentalisten/innen, aber direkt gegenüber dem Publikum. Auf einem großen Bildschirm sind sie außerdem genau von vorne zu sehen, ganz gleich, ob sie mal ärgerlich das Gesicht verziehen oder ihre Rollen singen. Oliver Proske hat das Bühnenkonzept und diese Videotechnik entwickelt, die in ihrem Dauerdasein mitunter etwas störend wirkt und von Puccinis Musik ablenkt. Wie sie gesungen wird, ist dagegen genau zu beobachten. Da alles direkt aufgenommen wird, zeigt sich zudem, dass die jungen Sängerinnen offensichtlich kein Lampenfieber haben. Wenn sie wegen ihrer kleinen Sünden eine Strafe erhalten, verziehen einige, wie gleichfalls erkennbar wird, durchaus ihre Gesichter, doch insgesamt wirken alle relativ zufrieden in dieser Abgeschiedenheit. Auch Ann Toomey als die tatsächliche Schwester Angelika (nun deutsch geschrieben). Nur einen Stachel trägt sie im Herzen: seit sieben Jahren hat sie nie eine Nachricht von ihrer begüterten Familie erhalten, die sie nach der Geburt eines unehelichen Sohnes in ein Kloster gesteckt hat, wo sie ihr „Vergehen“ büßen soll. Auch hat sie nie mehr ihren kleinen Sohn wiedergesehen. Doch dann kommt endlich ihre fürstliche Tante zu Besuch, die auch Mezzo –Partien singende Sopranistin Katarina Dalayman. Aber nur mit einem Schriftstück, das die Neuverteilung des Vermögens regeln soll, da Angelikas Schwester heiratet. Frau Dalayman gibt sie als Person mit versteinertem Herzen, die auf Angelicas Frage nach ihrem Kind mitleidlos kundtut, dass es vor zwei Jahren verstorben sei. Für Schwester Angelica bricht nun eine Welt zusammen, und wie Ann Toomey das singt, geht es direkt zu Herzen. Ihr kräftiger, intonationsreiner und klangvoller Sopran, der nach lyrischen Passagen nun ihre ganze Verzweiflung dramatisch ausdrückt, flutet durch die große, sehr gut gefüllte Philharmonie. Doch trotz der glaubhaft gestalteten Qual wird ihre Stimme selbst im hohen Bereich niemals schrill. Ihre intensiv heraus gesungene Verzweiflung treibt manchen Zuhörerinnen die Tränen in die Augen. Die von der Tante mitgebrachte notarielle Urkunde reißt sie in Stücke und formt daraus eine Babyfigur, die sie sich auf den Arm legt. Nie hat sie den eigenen Sohn in den Armen halten können, jetzt will sie zu ihm in den Himmel gelangen. Sie trinkt ein Unkrautvernichtungsmittel und erinnert sich zu spät daran, dass einer katholischen Selbstmörderin die Hölle gewiss ist. Ein neuer Verzweiflungsschub übermannt sie und wieder erbringt sie, Mutter Maria um Hilfe anflehend, eine packende gesangliche Leistung. „A Star is Born“, so mein Eindruck, der später vom dem ihr zujubelnden Publikum vermutlich geteilt wird. Während ihres Abgesangs und noch danach fertigen zwei Schwestern aus ihren früheren Kleidungsstücken lauter kleine Gräber für weitere aus Papier geformte Babys. Viele scheint es davon heimlich zu geben. Eine beeindruckende Idee der sich ansonsten angenehm zurückhaltenden Berliner Regisseurin Nicola Hümpel mit ihrem Ensemble Nico and the Navigators. Auch Petrenko gibt sich beim Schlussbeifall zugunsten der jungen Künstlerinnen und Künstler zurückhaltend, strahlt aber zu Recht übers ganze Gesicht. Hier alle Schwestern in ihren Rollen: Ann Toomey Sopran (Suor Angelica); Katarina Dalayman Sopran (La zia principessa), Daniela Vega Mezzosopran (La badessa), Fleur Barron Mezzosopran (La suora zelatrice), Sarah Laulan Alt (La maestra delle novizie), Aurora Marthens Sopran (Suor Genovieffa), Qing Wang Sopran (Suor Dolcina), Aphrodite Patoulidou Sopran (La suora infirmiera), Alessia Schumacher Sopran (1. Almosensucherin), Ekaterina Bazhanova Mezzosopran (2. Almosensucherin und 2. Laienschwester), Yeo-Jung Ha Sopran (1. Laienschwester), Bernadeta Astari Sopran (1. Novizin), ergänzt durch die spektakulär bewegliche Tänzerin Yui Kawaguchi (Suor Osmina).
„Nicola Hümpel, Regisseurin der renommierten Performance-Truppe Nico and the Navigators, die gerade in Hannover mit Rossinis Barbiere di Siviglia einen Riesenerfolg hatte, aktualisiert Suor Angelica dezent und bezieht das Schicksal von Kindern, die von Krieg und Hunger bedroht sind, mit ein … Großer Jubel in der ausverkauften Philharmonie nach einer denkwürdigen Education-Aufführung.“
Das so genannte Education-Programm der Berliner Philharmoniker hat es sich zur Aufgabe gemacht, generationsübergreifend und quer durch alle Gesellschaftsschichten, Freude an klassischer Musik zu wecken. Vielseitig sind die Mittel dieser Form der musikalischen Bildung: Es gibt Konzerte für Kinder und Jugendliche, Workshops, Projekte mit ausgegrenzten Menschen – in dieser Saison sind es Strafgefangene – und es gibt die Vokalhelden: Laienchöre für alle Altersgruppen, die an professionellen Veranstaltungen beteiligt sind. Und immer sind als Motoren musikalische Spitzenkräfte dabei, vorneweg Sir Simon Rattle, der vor fast 20 Jahren mit dem Tanzspektakel Le Sacre du printemps das Programm furios initiiert hatte und zuletzt moderne Opern dirigierte, die auf das Konzept zugeschnitten waren. Sein Nachfolger Kirill Petrenko setzt das Engagement fort. Als Einstand wählt der neue Philharmoniker-Chef Suor Angelica, das lyrische Mittelstück von Giacomo Puccinis Dreiteiler Il Trittico, das er bereits im Ganzen in München dirigiert hat. Die Tragödie einer jungen Frau, die nach der Geburt ihres unehelichen Sohnes von der Familie ins Kloster verbannt wird, dort durch ihre Tante von seinem Tod erfährt und darauf den Freitod sucht, ist vom Stoff her ungewöhnlich für ein Education-Programm. Doch mag die Zeitlosigkeit des Mutter-Kind-Themas ausschlaggebend für die Wahl gewesen sein, zumal die Kurzoper viele kleine Rollen für junge Künstlerinnen bietet. Nicola Hümpel, Regisseurin der renommierten Performance-Truppe Nico and the Navigators, die gerade in Hannover mit Rossinis Barbiere di Siviglia einen Riesenerfolg hatte, aktualisiert Suor Angelica dezent und bezieht das Schicksal von Kindern, die von Krieg und Hunger bedroht sind, mit ein – samt im Programmheft abgedrucktem Spendenaufruf für ein Kriegskinderprojekt im Kongo. Die Nonnen sind eine Gemeinschaft von Außenseiterinnen. In einem zugefügten Klavier-Prolog aus Puccini-Motiven stellen sie sich nacheinander vor. Dann folgt die Oper, in der Hümpel mittels synchroner Bewegungen, rituellen Handlungen und tänzerischer Skizzen das einengende Klosterleben visualisiert. Dazu werden auf einer Leinwand die Gesichter in Großaufnahme eingeblendet – ein Charakteristikum der Navigators und ihres Bühnengestalters Oliver Proske. Faith to Face, Glaube an das Gesicht, so heißt ja der Untertitel. Auch den Auftritt und Abgang der Tante sieht man zunächst per Video. Sie steigt aus einem Taxi und wandert durch das Foyer der Philharmonie, bis sie schließlich die Bühne betritt. Später, nach ihrem spannungsgeladenen Duett mit Angelica, wird sie sich in der Bar betrinken. Doch im Grunde ist so viel szenischer Aktionismus gar nicht nötig. Weil sie von der Musik ablenkt und man doch jeden Takt intensiv aufnehmen möchte. Denn unter den Händen von Kirill Petrenko wird Puccinis Partitur zur Hauptattraktion. Allein schon, weil der Dirigent sie mit so viel Hingabe zelebriert. Wie er die Musik organisch fließen lässt, dabei feinste dynamische Abstufungen und Klangfarben herausarbeitet: Das macht die Aufführung zum Ereignis. Dass die Stipendiaten der Karajan-Akademie Petrenkos Zeichengebung mit größter Aufmerksamkeit verfolgen und in einen magischen Sound umsetzen, versteht sich von selbst. Die Angelica von Ann Tomey steigert sich nach verhaltenem Beginn zu ergreifender vokaler und darstellerischer Intensität, die von leuchtenden hohen Cs gekrönt wird. Katarina Dalayman strahlt als Tante majestätische Autorität aus und imponiert mit einem profunden Alt. Die Nonnen werden von Nachwuchskräften gesungen, von denen manche noch Studentinnen sind. Stellvertretend für das hohe stimmliche Niveau der Solistinnen sei die Äbtissin von Daniela Vega genannt. Und auch die Vokalheldinnen zeichnen sich durch absolute Homogenität aus. Großer Jubel in der ausverkauften Philharmonie nach einer denkwürdigen Education-Aufführung.
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