Silent Songs into the wild

A Staged Concert: Nico and the Navigators gehen auf Entdeckungsreise und erforschen Franz Schuberts Liedgut im Hier und Jetzt. 

Wer Beethoven, modernen Tanz und modernes Theater liebt, der konnte sich an diesem Abend erfreuen. Das Staged Concert „Force & Freedom“ hat das Publikum beeindruckt. Nico and the Navigators und das Kussquartett haben gezeigt, wie man Beethoven aus zeitgenössischer Perspektive neu denken kann. Ihre Gesichter werden von zwei versteckten Kameras erfasst und auf einen riesigen Bildschirm hinter sie projiziert, wobei jedes Gesicht zeitgemäß wirkt und doch wie ein Ölgemälde, das den schönen Moment festhält. Die innovative Mischung aus mehreren Kunstformen verstärkt die innere Stimme des Komponisten und verleiht der Musik neues Leben. Das Publikum war von der Fantasie, der Dramatik und dem Sinn für Humor so begeistert, dass der Applaus lange andauerte. Ein Zuschauer verließ den Saal mit den Worten: „Ich bin sehr begeistert, so eine Show in Shanghai gesehen zu haben.“ Die Präzision der Deutschen macht die Aufführungen anspruchsvoll und anmutig. Der Literaturkritiker Sun Mengjin bemerkte, dass nicht nur Yui Kawaguchis Tanz die zwei Musiktheaterstücke eroberte, sondern auch die Sänger und Sängerinnen das Spiel übernahmen. Die Live-Bilder sind sehr sorgfältig gesetzt und erinnern manchmal ein bisschen an den Fassbinder-Stil, das Quartett fließt durch Schuberts Seele. Der Musikkritiker Li Changying ist überzeugt von der Avantgarde High-End-Inszenierung und findet, dass hiermit Schuberts Musik den nachfolgenden Generationen sehr viel Fantasie und Spielraum bietet: „Poesie, Wanderung, Phantome, Tod, Einsamkeit, Verwirrung und Liebe“. Der Abend scheint Schuberts inneres Herz zu zeigen, aber in Wirklichkeit verkörpert er auch die Stimmung der modernen Gesellschaft.

Die Wirkung der beiden Stücke mit Live-Bildübertragungen verbreitete sich schnell über Mundpropaganda. Die Künstlerinnen und Künstler demonstrierten an beiden Abenden, wie sich Technologie geschickt mit Live-Musik verbinden kann – so, wie sie im 21. Jahrhundert erwartet werden kann. „Das ist die beste Aufführung, die ich in den letzten Jahren gesehen habe“, äußerten sich die Zuschauer auf den sozialen Plattformen. Die Vision und der Mut der Shanghai Concert Hall sind der ganze Stolz von Shanghai. Man zeigt dem Publikum eine Definition davon, wie man Grenzen sprengen kann und wie eine Fusionsinnovation in dieser Welt aussehen kann – was die vielfältigen Fähigkeiten eines Künstlers heute sein können.

Vin Liao Yang / Chinanews / Shanghai Huangpu Official WeChat

Fremd bin ich eingezogen …

Was bedeutet die Bewegung? Bringt der Ost mir frohe Kunde?

Bin gewohnt das Irregehen, ’s führt ja jeder Weg zum Ziel …

 

Der Komponist Franz Schubert (1797-1828) wählte für seine Lieder oft lyrische Vorlagen, die das Wandern und den Abschied in den Blick nehmen – also die Erfahrungen des Fremdseins und der Einsamkeit in Worte fassen, aus denen sich die Sehnsucht nach Geborgenheit speist. Wie aber hören wir diese Werke im 21. Jahrhundert – in einer Zeit, in der Millionen Menschen weltweit ihre Heimat verlassen müssen und auf der Flucht in neue Ungewissheiten sind?

In „SILENT SONGS into the wild“ untersuchen Nico and the Navigators Franz Schuberts Werke als Erbe für das Hier und Jetzt. Sie tun dies nicht nur mit ihrer Stimme, sondern mit ihrer ganzen Persönlichkeit, ihrem eigenen Gefühls- und Bewegungsrepertoire. Das „Staged Concert“ weicht die Grenzen zwischen Musik und Gesang, Tanz und Schauspiel, zwischen Hochkultur und Alltagsrealität auf und fragt: Welche Wirkkraft und Brisanz vermag das Schubertsche Liedgut nach rund 200 Jahren noch zu entfalten? Wann, wie und warum berührt es uns heute?

Unter diesen und weiteren Aspekten befragen die KünstlerInnen aus sieben Nationen Schuberts reichhaltigen musikalischen Fundus. Auszüge aus den Zyklen „Die schöne Müllerin“, „Winterreise“ und „Schwanengesang“ werden mit weiteren Liedern und Kammermusiken zur überraschend neuen Einheit verwoben. Von zwei Kameras beobachtet, entdecken die Navigatoren zwischen den Liedern szenische Stimmungen, die den ZuschauerInnen die gedanklichen Annäherungen an die Stoffe in großer Intensität und Intimität offenbaren.

 

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Termine

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Pressestimmen

Das Kleine Rote Buch / Shanghai Huangpu Official WeChat

Franz Schubert wie ich ihn – und auch andere Klassikfreunde – noch nie auf der Bühne erlebt haben. Da ich eher ein konservativer Klassik-Zuhörer bin, hatte ich ein wenig Angst vor zu großen Dekonstruktionen dieser Werke. Doch dieser Abend war frisch, lustig und befriedigte all meine Bedürfnisse klassische Musik zu hören. Der Abend hat durch seine Körper- und Bilder-Performance Schuberts Lieder und Musik gefiltert und verstärkt. Musik gebraucht nur den einen Sinn. Durch das Hinzufügen der visuellen Sinne wird diese gewohnte Wahrnehmung der akustischen Erfahrung erweitert und vervollständigt. Die Mimik der Gesichter zog mich am meisten an: Roland Barthes sagte einmal „Das Gesicht repräsentiert einen absoluten Zustand des Körpers, den man weder aufrechterhalten noch überspielen kann“. Dies ist nicht zu verwechseln mit persönlichem oder körperlichem Ausdruck. Die Gesichter der Sängerinnen und Schauspielenden richteten sich mit ihren Nahaufnahmen ans Publikum. Muskelveränderungen, Mundbewegungen und Emotionen der Augen waren deutlich zu erkennen. Dies zwang mich, an dem Prozess, der durch das Singen hervorgebracht wird, teilzuhaben. Er war voller Wunder und Überraschungen. Die Kleidung signalisierte Menschen auf der Durchreise, wahrscheinlich weil „Die Winterreise“ einen großen Anteil des Abends ausmachte. Die warme Kleidung und die Schals ließen vermuten, dass die Wärme des Körpers mit einer kalten Außenwelt konfrontiert ist, was eine besondere Spannung im Szenen-Raum herstellte. Eilige Menschen, die hin und her wandern, sowie große intime Porträts schaffen eine Atmosphäre der Angst oder der Ruhe, manchmal gibt es auch ein Schmunzeln über die Situationen. Die bemerkenswerte Tänzerin Yui Kawaguchi gab einem das Gefühl, sie tanze auf den Tasten des Klaviers. Auch gibt es Füße, die etwas bizarr in Gesichter wandern. Aber auch die Ironie scheint wichtig, denn diese Bilder lassen Kopf und Körper eins werden. Das Quartett, das Klavier und die Gitarre waren hervorragend, „Der Tod und das Mädchen“ hatte ein wunderbares Ende. Am Ende ist man fast erschöpft von so viel Sinneseindruck. Alles in allem eine große Leistung und eine wunderbare Erfahrung für den Zuschauer. Es gab genug Raum auch für eigene Leerräume und Fantasien.

Das Kleine Rote Buch / Shanghai Huangpu Official WeChat
Eleonore Büning / Tagesspiegel

„Schuberts Musik als ein Hohelied der Empathie und guten Laune, der Freundschaft und Heimat. Man geht getrost hinaus, den Kopf voll guter Musik.“

Eleonore Büning / Tagesspiegel

600 Lieder hat Schubert geschrieben. Immer wieder wurden sie von anderen künstlerisch weiterverarbeitet. Nun durch Nico and The Navigators. 


Der Sänger schweigt. Der Pianist wartet. Das Publikum hält die Luft an. Es ist dies jener berühmte Anfangsaugenblick, in dem zwei musikalische Einzelkämpfer zur Monade werden, was schon an sich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Sekunden dehnen sich zu Minuten. Jeder, der einmal ein Liedrecital erlebt hat, kennt das. Irgendwann muss der Mann doch endlich den Mund aufmachen!


Auf der Bühne des Verdo-Konzertsaals in Hitzacker, bei der Premiere der neuen Schubert-Inszenierung von Nico and The Navigators, sieht man die Gesichter der Akteure parallel auch in Großaufnahme, auf der Videowand. Der russische Bariton Nikolay Borchev stiert Löcher in die Luft, sein Liedbegleiter Jan Philip Schulze blickt besorgt.


Dann aufmunternd, fordernd, flehend, bittend. Schelmisch, liebevoll, ironisch, verzweifelt. Wie viel verschiedene Arten gibt es, allein mit mimischen Mitteln „Jetzt!“ zu rufen? Oder: „Jetzt aber los“?


Das Erhabene und das Banale liegen nah beieinander


Schwer tropfen schließlich die ersten Töne des Vorspiels zum „Ständchen“ aus Franz Schuberts „Schwanengesang“ aus dem Flügel. So dicht beieinander liegen Pathos und Albernheit, das Erhabene und das Banale in dieser Musik, dass man das „Komm, beglücke mich!“ am Ende des Refrains, wenn die Stimme sich aufschwingt, so oder so verstehen darf, auch persönlich.


Mehr als 600 Lieder hat Schubert geschrieben. Keines ist wie das andere, nicht jeder vertonte Text große Literatur. Doch kaum ein Lied ist dabei, das nicht auf seine Art gelungen wäre. Einige wurden zu Volksliedern, viele gehören in den Zitatenschatz von Generationen.


Dass man aus dieser weltumspannenden Popularität quasi als „Trittbrettfahrer“ (Matthias Goerne) einen künstlerischen Mehrwert erschaffen und das Schubertlied weltanschaulich übermalen, rekomponieren sowie zu neuen Liedern oder Romanen, Tanz- oder Theaterabenden verarbeiten müsse, ist keine neue Idee. Szenische Schubertlied-Zyklen gibt es von Christoph Marthaler, William Kentridge und vielen anderen.


Zum Ensemble gesellt sich das famose Kuss Quartett


Das Ensemble Nico and The Navigators rund um die Regisseurin Nicola Hümpel hat ihren Beitrag zu dieser Mode mit „Silent Songs into the wild“ bereits 2017 im in Brüssel abgeliefert, in Koproduktion mit dem Berliner Konzerthaus. Jetzt wurde, zur Eröffnung der Sommerlichen Musiktage in Hitzacker, eine radikalisierte Zweitfassung uraufgeführt, in großteils neuer Besetzung.


Mit von der Partie sind erstmals Jan Philip Schulze, der einige virtuose Solostücke beisteuert, darunter ein wuchtiges Arrangement von „Die Stadt“. Außerdem das famose Kuss Quartett. Es trägt kammermusikalische Inseln bei, aus nonverbaler Poesie, beispielsweise, totenwurmtickend, in „Der Tod und das Mädchen“.


Die Mitwirkenden kommen aus sieben Ländern


Vor allem mischt es sich improvisierend unter das restliche fahrende Volk aus Sängern, Tänzern, Akrobaten. Manche Lieder werden nur von im Flageolett gezirpten Grundharmonien begleitet. Andere verwandeln sich in Lieder ohne Worte, gesungen von Klavier, Gitarre und Kontrabass (Tobias Weber). Wieder andere werden gesprochen oder fransen bei der aus Algerien stammenden Altistin Sarah Laulan aus in arabische Klage-Melismen.


Die Mitwirkenden kommen aus sieben Ländern. Das macht das Grundthema des Abends aus – Schuberts Musik als ein Hohelied der Empathie und guten Laune, der Freundschaft und Heimat. Man geht getrost hinaus, den Kopf voll guter Musik. Szenenbeherrschend die fantastischen Doppelgänger-Projektionen, die von Oliver Proske videotechnisch verarbeitet werden.

Annette Stiekele / Hamburger Abendblatt

„Tatsächlich hat man die klassischen Lieder von Schubert selten so frisch und dann wieder so heiter und ironisch erlebt wie bei diesem furchtlos Grenzen einreißenden Ensemble … Am Ende, nach drei Stunden, wenn das d-Moll-Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ erklingt, entlädt sich die ­Begeisterung der Zuschauer…“

Annette Stiekele / Hamburger Abendblatt

Das Ensemble Nico and the Navigators beglückt im Kleinen Saal mit Gesang und Tanz Hamburg. So lieblich hat man das Schubert-Lied "Der Leiermann" selten gehört – zart interpretiert von Tenor Ted Schmitz. Von Mahler als Tableau vivant bis zu Shakespeares Sonetten hat das in Berlin ansässige Ensemble Nico and the Navigators diverse fruchtbare Fusionen aus Textklassikern, Oper, Lied und klassischer Musik auf die Bühne gebracht. Nun lud es anlässlich des Themenschwerpunkts "Winterreisen" in der Elbphilharmonie im Kleinen Saal zu "Silent Songs Into The Wild". Und tatsächlich hat man die klassischen Lieder von Schubert selten so frisch und dann wieder so heiter und ironisch erlebt wie bei diesem furchtlos Grenzen einreißenden Ensemble. Schuberts Liedkunst umfasst ­Geschichten vom Wandern, der Liebe, dem Abschied. Sie wecken Assoziationen an Heimat, Fremdheit und Einsamkeit. Für eine heutige zeitgenössische Interpretation findet das Ensemble aus vier Sängern und drei Tänzern sowie einem Pianisten und einem Gitarristen, erweitert um das Apollon Musagète Quartett, unaufwendige, aber wirkungsvolle Bilder. Die Auszüge aus den bekannten Zyklen Schuberts, der an die 600 Lieder schrieb, werden zu kleinen Szenen, hinreißenden Miniaturen, die zwei unauffällige Kameraaugen links und rechts der Bühne ­beobachten. In der Pause wärmt der Glühweinstand Die Akteure, die allesamt in Alltagskostümen auftreten, wissen genau, wo sie sich auf den Bodenmarkierungen platzieren müssen, um auf der großen, trennbaren Leinwand in Großaufnahme zu landen. Die Bilder erweitern die – meist melancholischen – Gefühlswelten wie auch die Bewegungen der Tänzer, ­allen voran Yui Kawaguchi, die mehrere kunstvolle Soli hinlegt und ihre Wandlungsfähigkeit beweist. Anna-Luise ­Recke wiederum bespielt regelrecht die Körper der Sänger, verschmilzt mit ­ihnen oder donnert auch mal mit der Faust gegen einen Brustkorb. Sopranistin Julia von Landsberg glänzt mit Humor. Sarah Laulan leiht ihren Kontra-Alt Geschichten von Flucht. Die meisten Lieder seien ja eher melancholisch, konzediert das Ensem­ble, um dann beim "Abschied" besonders fröhlich über die Bühne zu tanzen. Am Ende, nach drei Stunden, wenn das d-Moll-Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" erklingt, entlädt sich die ­Begeisterung der Zuschauer. Einige wärmten sich in der Pause renovierungsbedingt frierend beim Treppenaufgang am Glühweinstand. Dessen Getränk ließ die zeitlosen Lieder noch ein wenig wohliger klingen.

Karin Coper / O-Ton

„Sehr aktuell wirken diese Bilder, aber nie aufgesetzt … Viele Bravos und langanhaltender Applaus im fast ausverkaufen Konzerthaus nach einem anregenden und beglückenden Abend. Der so facettenreich ist, dass ein einmaliges Erlebnis eigentlich nicht ausreicht.“

Karin Coper / O-Ton

Vor fast 20 Jahren gründete das Künstlerpaar Nicola Hümpel und Oliver Proske am Bauhaus Dessau ein Theaterkollektiv mit dem seltsamen Namen Nico and the Navigators – Nico steht für Nicola, die Navigatoren sind ihre Mitstreiter und Impulsgeber. Schnell kam es zu einer Kooperation mit den Sophiensälen in Berlin, wo die Gruppe als artists in residence die ersten Stücke erarbeitete. Projekte am Radialsystem und zur Eröffnung der Tischlerei an der Deutschen Oper folgten. Mittlerweile haben sich die Navigators als feste Größe in der Freien Szene Berlins etabliert. Wobei etabliert rein künstlerisch zu verstehen ist. Denn obwohl die Truppe mittlerweile europaweit in internationalen Koproduktionen zu erleben ist, begleitet der zähe Kampf um Fördermittel die künstlerische Arbeit. Die Kreativität hat dabei glücklicherweise nicht gelitten, wie die Berliner Premiere von Silent songs into the world beweist, die nach der Brüsseler Uraufführung im Februar nun im Konzerthaus zu sehen ist. Silent songs into the world trägt den Untertitel Staged Concert mit Musik von Franz Schubert, ist aber viel mehr als ein szenisches Konzert. Nicola Hümpel greift auf Lieder des Komponisten zurück, die sich ums Wandern und Reisen drehen und um alles, was damit zu tun hat, seien es Sehnsuchts-, Abschieds-, Fremdheits- oder Glücksgefühle. Aus ihnen entwickelt sie mit dem Bühnenbildner Oliver Proske, der auch die ausgeklügelte Videoregie verantwortet, eine assoziationsreiche Collage aus Gesang und Tanz, die die Stimmungen von Musik und Text subtil einfängt. Sie steckt auch musikalisch voller Überraschungen. Schubert erklingt nicht nur im Original, sondern verfremdet und in delikaten Neuarrangements durch den Gitarristen Tobias Weber. Parallel zu den Aktionen, in die auch die Instrumentalisten – das Apollon Musagète Quartett, Weber selbst und der Pianist Matan Porat– miteinbezogen sind, werden die Gesichter der Darsteller vergrößert auf zwei bewegliche Leinwände projiziert. So entsteht eine besondere Nähe zum Publikum. Jede Musiknummer trägt eine moderne Überschrift. Gretchen am Spinnrade heißt beispielsweise U-Bahn-Gretchen. Dabei kauert Sarah Laulan als Flüchtlingsfrau inmitten einer Menschengruppe und singt „Meine Ruh ist hin“. Oder Meeres Stille mit dem Übertitel Lampedusa: Während Julla von Landsberg das Lied ganz zart vorträgt, simuliert das Ensemble durch Körperbewegungen Wellen. Sehr aktuell wirken diese Bilder, aber nie aufgesetzt. Auch humorvolle Szenen gibt es, wenn etwa Yui Kawaguchi zum Klavier-Impromptu den Pianisten übermütig antanzt. Das Stück mündet in ein mitreißendes Finale. Mit überschäumendem Drive intonieren alle Mitwirkenden Das Wandern ist des Müllers Lust . Jeder in seiner Sprache, denn auch die Multinationalität gehört zum Konzept. Aus sieben Ländern kommen die Sänger, Tänzer und Instrumentalisten, und jeder von ihnen bringt seine eigene Geschichte mit ein. Zusammen aber bilden alle ein absolut homogenes Ensemble. Und doch ist ein Solist hervorzuheben: Der Bariton Nikolay Borchev singt so empfindsam und kultiviert, dass er sich als hoffnungsvoller Liedsänger empfiehlt. Viele Bravos und langanhaltender Applaus im fast ausverkauften Konzerthaus nach einem anregenden und beglückenden Abend. Der so facettenreich ist, dass ein einmaliges Erlebnis eigentlich nicht ausreicht. Zur Vertiefung der Eindrücke ist im März kommenden Jahres im Radialsystem Gelegenheit.

Tomasz Kurianowicz / Tagesspiegel

„Nico and the Navigators gelingt es, die Erfahrung von Fremdheit und Heimatsuche mit einer vielschichtigen Performance von Schuberts Liedern eindrucksvoll zu inszenieren … schafft einen Klangkosmos, der modern wirkt, eigensinnig und doch sensibel … Am Ende erklingt das Finale aus Schuberts Streichquartett ‚Der Tod und das Mädchen‘ – so glasklar, energetisch und überzeugend, dass das Publikum lange nicht nach Hause gehen will…“

Tomasz Kurianowicz / Tagesspiegel

Das Ensemble Nico and the Navigators verbindet in „Silent songs into the wild“ im Konzerthaus Schuberts Lieder mit einer vielschichtigen Performance über Flucht und Vertreibung. Das Thema „Flucht und Vertreibung“ ist für die Kunst kein leichtes Feld: Schnell können Annäherungen übereifrig, wohlfeil oder anklagend wirken. Umso erstaunlicher ist es da, wie es dem Ensemble Nico and the Navigators unter der Leitung von Nicola Hümpel im Konzerthaus gelingt, die Erfahrung von Fremdheit und Heimatsuche mit einer vielschichtigen Performance von Schuberts Liedern so eindrucksvoll zu inszenieren, dass kein Pathos entsteht. „Silent songs into the wild“ beginnt behutsam: Das Apollon Musagète Quartett spielt Schuberts „Fremdling“, verfremdet die klassische Partitur aber mit Gitarren- und Kontrabass-Sounds und dringt so bis an die Wurzeln des melancholischen Stücks, schafft einen Klangkosmos, der modern wirkt, eigensinnig und doch sensibel. Die Zeilen aus dem „Wegweiser“ könnten als Motto über dem ganzen Abend stehen: „Weiser stehen auf den Straßen / Weisen auf die Städte zu / Und ich wandre sonder Maßen / Ohne Ruh, und suche Ruh.“ Das technologische Liebeschaos der Moderne Musiker, Sänger und Tänzer aus sieben Nationen lassen sich leiten von der Schwere der Musik und der Zerrissenheit der Texte. Jedes Lied steht unter einem zeitgenössischen Motto: „Tote und Lebende“, „Lampedusa“ oder „Ferne“. Nicht nur die Tänzerinnen Yui Kawaguchi, Anna-Luise Recke und Michael Shapira erforschen in wuchtigen Choreografien ihre Körper. Auch die Sänger müssen sich auf der Bühne physisch beweisen, werden umgarnt und umzingelt, umtanzt und umkämpft. Wie etwa der Tenor Ted Schmitz, der in breitem Amerikanisch Schuberts Lieder zu brechen und in neue Richtungen zu lenken versteht. Es sind persönliche Annäherungen, die keine Pietätsgrenzen kennen. Die erste Hälfe mag etwas schwermütig ausfallen, im zweiten Teil wissen die Künstler ihre Themen auch ironisch zu spiegeln. Etwa bei „Tindertribe“, wenn das technologische Liebeschaos der westlichen Moderne mit Schuberts „Gute Nacht“ gekoppelt wird und dadurch transhistorische Gültigkeit erfährt: „Die Liebe liebt das Wandern, / Gott hat sie so gemacht, / Von einem zu dem Andern, / Fein Liebchen, gute Nacht!“ Am Ende erklingt das Finale aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ – so glasklar, energetisch und überzeugend, dass das Publikum lange nicht nach Hause gehen will.

Andreas Montag / Mitteldeutsche Zeitung

„Fremd sein und ankommen, verzweifelt und geborgen sein – davon handelt dieser fein choreografierte, von Nico auf den Punkt inszenierte und von Oliver Proske bühnen- und videotechnisch brillant eingerichtete Abend im staatstragenden Konzerthaus … So fühlt sich Freiheit an.“

Andreas Montag / Mitteldeutsche Zeitung

Würde sich die Regisseurin Nicola Hümpel vor knapp 20 Jahren am Bauhaus Dessau für die Disziplin Art-Rock entschieden haben - dem Projekt wäre angesichts der Stilsicherheit und bewundernswerten Konsequenz, die dieser Frau eigen sind, sehr wahrscheinlich ebenfalls Erfolg beschieden gewesen Aber Nico, wie sie sich kurzerhand nennt, hat sich damals gemeinsam mit ihrem kongenialen Partner Oliver Proske und einer Handvoll weiterer Enthusiasten für ein unerhörtes, kreatives Musiktheater entschieden. „Nico and the Navigators“ sind längst internationale Stars Längst sind Nico and the Navigators internationale Stars und auf den großen Bühnen der Welt zu Hause. Wer damals in Dessau, als das Spielerische der Truppe das Musikalische überwog, aber der Drang zum Kompositorischen und Ganzheitlichen doch schon deutlich erkennbar war, noch wohlwollend milde gelächelt haben sollte - jetzt wird er einfach nur überwältigt sein. Am Montagabend zeigten Nico und Genossen im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt, an feinster hauptstädtischer Adresse also, ihre neueste Produktion:„Silent Songs into the wild“: Ein „staged concert“ mit Musik von Franz Schubert Welcher Kommentar zu jenem verunsicherten Bild, das Deutschland gerade von sich selbst gibt, hätte am Tag nach der ernüchternden Wahl passender sein können als eben dieser! Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer, dazu sechs Musiker - alle von exquisiter Qualität und aus verschiedenen Ländern stammend - führen ein Gesamtkunstwerk auf, das dem großen Schubert und der Frage gewidmet ist: Wer ist dieses Ich, wo hat es sein Zuhause? „Nico and the Navigators“: So fühlt sich Freiheit an Fremd sein und ankommen, verzweifelt und geborgen sein - davon handelt dieser fein choreografierte, von Nico auf den Punkt inszenierte und von Oliver Proske bühnen- und videotechnisch brillant eingerichtete Abend im staatstragenden Konzerthaus. Vergessen der Ort, kein Politikername gespenstert einem durch den Sinn. Man ist nur noch Auge und Ohr und im Herzen eins mit den Akteuren. Beim Lied vom Lindenbaum etwa, von Tobias Weber mit dem Hauch einer Bluesgitarre begleitet, ist Heimat von all dem Ballast entledigt, der einen bedrückt haben könnte. So fühlt sich Freiheit an.

Frauke Thiele / RBB / Kulturradio

„Ein Liederabend der Assoziationen – locker und doch bleiern schwer, mit ausgelassenen Momenten und doch tieftraurig, wie die Wirklichkeit und wie Schubert eben.“

Frauke Thiele / RBB / Kulturradio

Nico and the Navigators, das ist eine der deutschen Tanztheater-Truppen, bekannt vor allem für die Lust der Chefin, der Choreographin Nicola Hümpel, die Welt der Musik durch den Tanz zu erforschen, zu illuminieren, zu illustrieren. Heute Abend laden Nico and the Navigators zu einer Berlin-Premiere. Mit ihrer Performance SILENT SONGS into the wild und sie laden in Berlin ins Konzerthaus. Frauke Thiele konnte dort bereits erkunden, was uns erwartet. F. Thiele.: Es liegt eine starke Melancholie im Konzertsaal, die natürlich mit Schuberts Musik selbst zu tun hat. Mit den Bezügen zum Thema Flucht, die der Abend SILENT SONGS into the wild in Schuberts Liedern gefunden hat. Aber die starke Melancholie entsteht natürlich auch aus der Aktualität selbst. N. Hümpel: Heute ist nicht mehr gestern. Und zwar ganz extrem. Deutschland hat sich heute verändert und wir werden diesen Abend sicherlich unter diesem Aspekt denken. Wir können gar nicht anders. Wenn man sich überlegt: Wir haben hier 7 Nationen vereint, die sich da auf dieser Bühne begegnen in einer liebevollen Art und das gibt doch zu denken, wenn es um diese Themen von Überfremdung und so weiter geht. Uns als Team bedeutet der Abend sehr viel. F. Thiele: Die 4 Sänger und 3 Tänzer wandern etwas ratlos auf der Bühne umher. In normaler Alltagskleidung, in verschiedenen Blau- und Grautönen. Die Szenerie hat nichts von einem glänzenden Liederabend der klassischen Art. Auch wenn der Bariton Nikolay Borchev ans Klavier tritt, lässig eine kleine dunkelblaue Pelzboa um den Hals, hat das allenfalls eine ironische Note – ohne aber an Melancholie zu verlieren. Die Idee Schuberts Lieder mit dem Aspekt des Heimatverlustes zu verbinden kam Nicola Hümpel vor zwei Jahren, als sie zusammen mit Studenten in München am Liedgut arbeitete und gerade die ersten Flüchtlingsströme dort am Bahnhof ankamen. Sie bat Sänger aus ihrem Pool von Nico and the Navigators, sich Schuberts Liedern unter diesem Aspekt ganz neu zu nähern. N. Hümpel: Das geht zwangsläufig einher, wenn man diese Texte heute von Heine und Müller hört. Und dazu kommen natürlich diese ganzen Themen wie Abschied, Heimatsuche, dem ewigen Fremdsein, der Einsamkeit, die Sehnsucht nach Geborgenheit. All diese Begriffe sind permanent in den Texten und in seiner Musik vorhanden. F. Thiele: Die Sänger wählten selbst Lieder aus, sangen sie erst einmal und es kristallisierten sich bald erstaunliche, sehr unterschiedliche Subtexte heraus. Wie bei der Sängerin Sarah Laulan, deren Eltern als Kinder aus Algerien flüchteten und die mit diesen Fluchtgeschichten aufgewachsen war. Als sie den Wanderer sang, bildete sich zunächst eine feine arabische Klangnote heraus, dann ein Klagelied, das Nicola Hümpel herausarbeiten ließ. Es sind diese persönlichen Momente, die die Sänger nicht nur Sänger, die Tänzer nicht nur Tänzer, die Musiker nicht nur Musiker sein lassen, sondern Menschen mit persönlichen Geschichten, unterschiedlichen Erfahrungswelten und Assoziationen zum Thema Fremd, Heimat oder Abschied – gespiegelt auch in Gedichten, Zitaten und ganz persönlichen Erzählungen. Dabei scheinen einen die Sänger direkt anzusingen oder eben auch anzusprechen, vergrößert und glasklar sieht man sie auf der Leinwand. Sie schauen direkt in eine der statischen Kameras links und rechts der Bühne und ihre Gesichter und Körperhaltungen werden live im Konzert auf die zwei großen Leinwandflächen gemischt. Oft werden die Bewegungen der Tänzer direkt dagegen gesetzt und verstärken den Ausdruck. N. Hümpel: Wir fühlen uns sehr konkret selbst angesprochen und im Grunde genommen passiert jetzt auf der Bühne, das was ich immer im Probenraum so herrlich erlebe, und was oft dann in den großen Sälen verloren geht. Nämlich diese unglaubliche Intimität, die Kameras sind sehr, sehr intim. F. Thiele: Ungezwungen könnte man es nennen, wie sich Nico and the Navigators den bekannten Schubert-Liedern annähern, auch immer wieder mit humorvollen Noten – wenn die Tänzerin sich um den Sänger windet und dadurch den Inhalt des hingebungsvoll gesungenen Liebesliedes mit schmachtendem Blick untermalt und ganz plastisch werden lässt. Ein Liederabend der Assoziationen – locker und doch bleiern schwer, mit ausgelassenen Momenten und doch tieftraurig, wie die Wirklichkeit und wie Schubert eben. Ihn ins Hier und Jetzt zu holen, das sei eine Notwendigkeit, davon ist Nicola Hümpel überzeugt – wenn wir wollten, dass seine Musik erhalten bleibt: N. Hümpel: „Schubert ist für jeden da, Schubert war einer von uns, Schubert war nicht elitär und ich wünsche mir, dass so ein Kulturerbe erhalten bleibt, indem man es auch einfach zeitgenössischer aufführt und ich bin fest davon überzeugt, dass Schubert das freuen würde.


Eine Produktion von Nico and the Navigators und Bozar Music Brüssel. Koproduziert von den Niedersächsischen Musiktagen sowie dem Konzerthaus Berlin. In Kooperation mit der Elbphilharmonie. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, die Rusch-Stiftung sowie aus Mitteln des Landes Berlin. 

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