Ein Volksbürger

Eine politische Farce im Haus der Bundespressekonferenz

mit Fabian Hinrichs als Ministerpräsident

Mit „Ein Volksbürger“ wird die Inszenierung geschärft und aktualisiert, die auf dem Essay „Ein Volkskanzler“ von Max Steinbeis basiert.

Nachdem NICO AND THE NAVIGATORS im Haus der Bundespressekonferenz ursprünglich einen politischen Angriff auf die Souveränität des Bundesverfassungsgerichts und damit die schleichende Vereinnahmung der Justiz durch einen populistischen Kanzler demonstrieren wollten, ist inzwischen ein Prozess in Gang gesetzt worden, der in absehbarer Zeit zu gesetzlichen Schutzmaßnahmen gegen diese Gefahr führen soll. Die Verschiebung der Konfliktlinie aber zeigt nun eine weitere, nicht minder brisante Möglichkeit auf: Eine demokratisch gewählte Landesregierung, in der autoritär-populistische Kräfte die Deutungshoheit haben, könnte alle Übereinkünfte auf Bundesebene aufkündigen. Als Argument für diese Maßnahme könnte sie die vermeintliche Schwäche der Gemeinschaft und die Benachteiligung ihres Landes und seiner Bürger*innen nutzen. Dass diese Strategie auch zu Auswirkungen innerhalb der Europäischen Union führen würde, liegt auf der Hand.

Bundeszwang als letzte Gegenwehr

Am Ende hilft nur noch der „Bundeszwang“: Artikel 37 Grundgesetz erlaubt drastische Maßnahmen gegen ein Land, das sich weigert, seine föderalen Pflichten zu erfüllen, von der Sperrung von Finanzzuweisung bis zur Entsendung eines Bundeskommissars. Angewandt wurde dieser Artikel noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik … aber wer weiß? Was, wenn ein neu gewählter Ministerpräsident mit allen Mitteln den Konflikt sucht mit der Bundesregierung? Was, wenn er daraus politisch Nutzen zieht, um sich zum Helden gegen die vermeintlich korrupten und unfähigen Parteien und ihren Apparat zu stilisieren? Ob das folgende Drama von einem zynischen Demagogen oder von einem aufrechten Patrioten erzählt – oder ob diese Rollen gar nicht zu trennen sind – wird sich in der Entwicklung des Konfliktes zeigen. In jedem Fall wird der Kanzler durch diesen Angriff in die Defensive gedrängt, weil er die Verfassung gegen drohenden Zerfall verteidigen muss … eine echte Tragödie, in der unvereinbare Positionen aufeinandertreffen und am Ende möglicherweise das Recht des Stärkeren den Ausschlag gibt.

Echte Tragödie

Die dramaturgische Verabredung für dieses Szenario bleibt sich gleich, eine Folge von Pressekonferenzen zeigt den Kampf auf medialer Ebene. Als direkte Kontrahenten stehen sich der Ministerpräsident und der Bundeskanzler gegenüber, auf beiden Seiten gibt es wechselnde Unterstützung aus den Bereichen der Politik und der Justiz … und mehr oder minder kritische Journalist*innen. Das Drama, das von Max Steinbeis und seinem Team federführend entwickelt wird, soll als politisches Lehrstück in Zusammenarbeit mit der Bundespressekonferenz e. V. in Szene gesetzt werden. Eine mediale Auswertung ist durch ZDF/arte geplant, Vermittlungsformate für ein junges Publikum begleiten die Inszenierung. Um die Arbeit möglichst realistisch zu gestalten und aktuelle Entwicklungen einbeziehen zu können, wird das Szenario bis Mai 2024 offen gehalten. Die Premiere findet im September 2024 statt.

Text und Inszenierung

Die geschliffene Rhetorik, die juristischen Finessen mit populären Parolen maskiert, steuert der Verfassungsblog-Gründer Max Steinbeis bei. Regisseurin Nicola Hümpel wird neben den bewährten Protagonist*innen ihrer Inszenierungen namhafte Darsteller*innen für die tragenden Rollen verpflichten und auf dem Höhepunkt der Fiktion für eine überraschende, tragische Wendung sorgen, die den selbst gesetzten Rahmen sprengt. Bis zu diesem entlarvenden und erlösenden Moment wird „Ein Volksbürger“ vor allem von der intellektuellen Genauigkeit und dem emotionalen Sog der Geschichte leben – als scheinbar abstrakte Korrektur der herrschenden Verhältnisse, die doch ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben aller Staatsbürger*innen hat. Dass dabei neben dem politischen Establishment auch die journalistische Elite in den Fokus gerät, versteht sich angesichts des Aufführungsortes von selbst.

Die Vorstellungen werden mit einer Einleitung sowie einer Podiumsdiskussion im Anschluss von Vertreter*innen des Vorstandes der BPK umrahmt.

Live-Übertragung am Samstag, 28. September / 20 Uhr ins Berliner Kino Babylon und ins Badische Staatstheater Karlsruhe / Kinemathek. Im Anschluss findet im Babylon ein Podiumsgespräch mit Maximilian Steinbeis sowie weiteren Gästen statt.

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Termine

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Produziert von EuroArts im Auftrag des ZDF und online bei ARTE verfügbar.
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Ein Volksbürger - Thema im Deutschen Bundestag bei der Debatte zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93 & 94) am 10. Oktober – Ansgar Heveling.

Pressestimmen

Simon Strauß / Frankfurter Allgemeine Zeitung

Politische Nachhilfe in Sachen Demokratiegefährdung: „Tatort“-Schauspieler Fabian Hinrichs und das Performance-Kollektiv „Nico and the Navigators“ zeigen in Berlin, was los ist, wenn Populisten an die Macht kommen. Während in Österreich ein „Volkskanzler“ die Wahl gewinnt, betritt in Berlin ein „Volksbürger“ die mediale Herzkammer Deutschlands. Im Haus der Bundespressekonferenz hat der Spitzenkandidat der kürzlich gegründeten Partei „Demokratische Allianz“ (DA) seinen ersten Auftritt. Soeben hat er im „Freistaat“ eine absolute Mehrheit erreicht, kann also ohne Koalitionäre regieren.

Simon Strauß / Frankfurter Allgemeine Zeitung

Während in Österreich ein „Volkskanzler“ die Wahl gewinnt, betritt in Berlin ein „Volksbürger“ die mediale Herzkammer Deutschlands. Im Haus der Bundespressekonferenz hat der Spitzenkandidat der kürzlich gegründeten Partei „Demokratische Allianz“ (DA) seinen ersten Auftritt. Soeben hat er im „Freistaat“ eine absolute Mehrheit erreicht, kann also ohne Koalitionäre regieren.


„Arndt“ steht auf dem Namensschild, das eine Mitarbeiterin des Hauses gewissenhaft dort aufstellt, wo der neue Ministerpräsident gleich Platz nehmen wird. Als er in den Saal tritt, ersetzt sein Personenschützer es allerdings als Erstes durch: „Dominik Arndt“ – dass die Leute seinen Vornamen kennen, ist dem neuen Mann wichtig. Überhaupt spricht er viel von Dialog und Augenhöhe, von direktem Gespräch und offenem Umgang. Sein politisches Programm beginnt dort, wo auch der Alltag der meisten Menschen anfängt: bei Funklöchern, Bildungsfragen und Landflucht.


Auch die Sprache, die er spricht, klingt handfester als die der bisherigen Redner in diesem Raum. Er sei durchdrungen von „Leidenschaft für unser Land“, sagt Arndt und stellt eine mitgebrachte Mineralwasserflasche aus seinem „Freistaat“ auf den Tisch. Liberal, sozial, alternativ und, ja: auch national sei seine Partei. Aber das bedeute erst einmal nicht viel mehr als das, was die meisten Menschen in seinem Land fühlten: Zugehörigkeit.


Als Stilsünde gebrandmarkt


So wie Fabian Hinrichs diesen strahlenden Wahlsieger spielt, hat er nichts Unglaubwürdiges an sich. Die Vorstellung, dass eine neue Partei mit einem halbwegs charismatischen Anführer in kürzester Zeit große Stimmgewinne in einem deutschen Bundesland erzielen könnte, mag niemanden mehr überraschen, der etwa die letzten Wahlerfolge des BSW mitverfolgt hat. Zunächst ist es nur sein Hemd, das etwas über den spezifischen Politikertypus verrät, den Hinrichs an diesem Theaterabend vorführen will. Es ist jenes weiße Oberhemd mit dunkelfarbigen Markierungsknöpfen, das von AfD-Politikern gerne getragen und von hauptstädtischen Modekritikern als „Stilsünde“ gebrandmarkt wird, „deren tieferer Sinn verborgen bleibt“ („Berliner Zeitung“).


Dabei läge zumindest ein Sinn durchaus auf der Hand – nämlich die Sehnsucht danach, den beanspruchten Nonkonformismus auch dadurch zur Schau zu stellen, dass das konventionelle Unschuldsweiß durch ein aufbegehrendes Farbelement gebrochen wird. Ist das die Ästhetik des Widerstands unserer Tage? Jedenfalls spielt Hinrichs, der selbst gerade an einem Buch über Ästhetik schreibt, diesen Machtmann eher als impliziten Usurpator. Von „Machtergreifung“ kann keine Rede sein – selbst der Bundeskanzler gratuliert und die Regierungssprecherin gibt gerne zu, dass Arndt „demokratisch gewählt und daher ernst zu nehmen“ ist.


Aber genau um dieses Adjektiv, um die konkrete Haftbarkeit der Vertrauenskategorie „demokratisch“, geht es dann im weiteren Verlauf dieses vom engagierten Juristen Maximilian Steinbeis verfassten Theaterstücks, das erst etwas schirachhaft daherkommt, aber dann für den staatsrechtlichen Laien doch interessante Antworten gibt auf die gerade überall debattierte Frage: „Was, wenn die Populisten an die Macht kommen?“


Denn kaum ist Arndt im Amt, verdichten sich Hinweise darauf, dass sich in seinem Bundesland ein „Kurswechsel“ in der Asylpolitik abzeichnet und in Ausländerbehörden geltendes Recht gebrochen wird. Natürlich ist es eine Journalistin – so viel Vertrauen in die ehemals eigene Zunft hat der Ex-„Handelsblatt“-Redakteur Steinbeis noch –, die zunächst als „bedauerliche Einzelfälle“ abgetane Missstände aufdeckt und sich ihre Recherchen vom Vertreter einer NGO bestätigen lässt. Vielsagend ist, wie Regisseurin Nicola Hümpel die Nähe zwischen Hauptstadtjournalisten und Moralvertrauten inszeniert: Da werden Visitenkarten ausgetauscht und Bestechungsblicke gewechselt. Wenn dann aber milieufremde Gäste den Raum betreten, verhärten sich die Mienen schnell. So stößt beispielsweise ein Landrat, der von ­„Ukra­inern in SUVs“ oder von „Multikulti-Städten“ spricht, sofort auf wütendes Kopfschütteln – nicht nur bei den Schauspielern, sondern auch beim hauptstädtischen Publikum.


Das Volk auflösen?


Dass bei den Auftritten des Landrats stets Fanfarenmusik eingespielt wird, entspricht jener fahrlässigen Bereitschaft zur Verächtlichmachung alles Bodenständigen als moralrückständig, die viel politischen Schaden angerichtet hat. Und doch stellt der Theaterabend eben nicht nur eigene Vorurteile in den Raum, sondern buchstabiert aus, welche Eskalation möglich wäre, wenn ein Ministerpräsident sich dem geltenden Bundesrecht widersetzte: Erst versucht es die Bundesregierung mit Krisendiplomatie, dann mit einem Beauftragten und schließlich mit einer (erfolgreichen) Klage in Karlsruhe. Als Arndt auch dieses höchste Urteil missachtet, schickt Berlin die Bundespolizei in den „Freistaat“, um Akten zu beschlagnahmen und den Ministerpräsidenten festzusetzen. Der flieht ins Ausland und zitiert Brecht: „Wäre es nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“


Das Performance-Kollektiv „Nico and the Navigators“ und Fabian Hinrichs präsentieren einen politischen Nachhilfeabend in Sachen Demokratiegefährdung. Am Ende ist es eine unheilvolle Unterscheidung, an der alles hängt – nämlich die zwischen „politischer Verantwortung“, die Arndt für sich beansprucht, und den „juristischen Fachproblemen“, die er für nachrangig hält. Das entspricht fast wörtlich dem, was der Anführer der seit Sonntag stärksten politischen Kraft in Österreich in Aussicht stellt: Im Falle einer Regierungsübernahme, so Herbert Kickl, würde er keine Asylanträge mehr annehmen – egal, was das Recht sagt.

Peter Laudenbach / Süddeutsche Zeitung

Was wäre, wenn Rechtspopulisten diffus modern und glatt auftreten würden? Wenn die Machter­greifung friedlich verliefe – über Verwaltungsakte? „Ein Volksbürger“ im Haus der Bundespresse­konferenz ist ein lehrreiches Gedanken­experiment – Die Premiere von Nicola Hümpels Inszenierung „Ein Volksbürger“ am vergangenen Freitag, genau einen Tag nachdem die AfD in Erfurt die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags für ein Spektakel der Demokratieverachtung genutzt hatte, wirkt wie die treffende Antwort des politischen Theaters auf solche Exzesse einer Theatralisierung der Politik.

Peter Laudenbach / Süddeutsche Zeitung

Der Glaskasten der Bundespressekonferenz im Berliner Regierungsviertel ist neben dem Bundestag die wichtigste Verlautbarungsbühne im politischen Tagesgeschäft. Hier einmalig ein Theaterstück aufzuführen, eine Farce über den Machtergreifungsversuch eines charismatischen Rechtspopulisten, ist mehr als ein hübscher Verfremdungseffekt vor fernsehbekanntem Bühnenbild.


Die Premiere von Nicola Hümpels Inszenierung „Ein Volksbürger“ am vergangenen Freitag, genau einen Tag nachdem die AfD in Erfurt die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags für ein Spektakel der Demokratieverachtung genutzt hatte, wirkt wie die treffende Antwort des politischen Theaters auf solche Exzesse einer Theatralisierung der Politik. Wenn enthemmte Polarisierung die Sachauseinandersetzung und Reste eines rationalen Diskurses vergiftet und überlagert, wenn Parlamente gezielt verächtlich gemacht und als Propaganda-Plattformen missbraucht werden, wird in dieser Inszenierung umgekehrt das Theater zum Instrument der Analyse. Es durchleuchtet die Manöver eines autoritären Nationalradikalismus zur Zerstörung von demokratischer Öffentlichkeit – zum Zweck der politischen Ausnüchterung.


An der Stirnseite des Saals, wo im Normalbetrieb Politiker und ihre Sprecher Fragen beantworten, führt jetzt ein rechtspopulistischer Macht- und Manipulationsvirtuose namens Dominik Arndt vor, wie lässig er die Spielregeln der Demokratie auszuhebeln versteht. Und weil dieser selbsterklärte „Volksbürger“ vom immer supersympathischen und gleichzeitig tendenziell leicht irre wirkenden Fabian Hinrichs gespielt wird, entwickelt sein Aufritt beträchtliche Ausstrahlung: Neben Hinrichs besitzen durchschnittliche Politik-Routiniers bestenfalls die Anziehungskraft eines Sitzungsprotokolls und den Glamourfaktor eines Referentenentwurfs.


Statt auf die Fragen zu antworten, sagt der Volkstribun: „Ich bin hier, um Ihnen einen neuen Anfang anzubieten“


Die Aufführung ist ein Gedankenexperiment auf die Widerstandskraft des demokratischen Rechtsstaats, ein theatralischer Stresstest, der durchspielt, wie demokratisch gewählte Demokratieverächter die staatlichen Institutionen zügig umbauen und missbrauchen könnten – die Zerstörung des Rechtsstaats mit seinen eigenen Instrumenten. Das Drehbuch dieses gespenstischen Belastungstests stammt von einem Experten. Maximilian Steinbeis, Jurist und Journalist (gelegentlich auch als Gastautor der SZ), hat als Gründer und Leiter des einflussreichen Verfassungsblogs mit zahlreichen Experten im „Thüringen-Projekt“ die rechtlichen Möglichkeiten einer an der Regierung beteiligten AfD untersucht. Das „Volksbürger“-Szenario variiert das geschickt: Was geschieht, wenn ein rechtspopulistischer Regierungschef Gesetze ignoriert und der Bruch mit dem Rechtsstaat in Form von Verwaltungshandeln stattfindet?


Das mitlaufende zweite Gedankenexperiment ist noch ein wenig unangenehmer: Was, wenn rechte Demokratiefeinde sich nicht im Höcke-Stil mit SA-Parolen blamieren, sondern sich diffus modern geben, also am liebsten von Digitalisierung reden und nebenbei Grundrechte ignorieren? Wie könnte es sich auf Wahlergebnisse auswirken, wenn die rechte Demagogie nicht wie bisher von verhaltensauffälligen Figuren und bizarren Eiferern verbreitet wird, sondern wie hier von einem fernsehtauglichen Charmebolzen mit den glatten Umgangsformen eines Showmasters?


Auftritt Fabian Hinrichs als mit absoluter Mehrheit frisch gewählter Ministerpräsident eines nur „Freistaat“ genannten Bundeslandes: Ein eisern dauerlächelnder Blender der „Demokratischen Allianz“, der die Fragen des ZDF-Reporters Theo Koll (gespielt von Theo Koll) an sich abperlen lässt wie eine unvermeidliche, aber auch völlig unwichtige Belästigung. Er macht die Bundespressekonferenz sofort zu seiner Bühne und spielt von Anfang an nach eigenen Regeln. Den eigentlichen Zweck, sich den kritischen Fragen der Journalisten zu stellen, ignoriert der Strahlemann souverän. Stattdessen feuert er Stakkato-Phrasen ab: „Ich bin hier, um Ihnen einen neuen Anfang anzubieten“, und das natürlich mit „Leidenschaft für unser Land“.


Die in Stahlbeton gegossene Freundlichkeit, die alles und alle umarmenden Gesten sind ein einziges Angebot, Politik als das Austragen von Interessengegensätzen durch das beschwingte Wohlfühldelirium einer Volksgemeinschaft zu ersetzen: Wir sind wir, und „wir müssen alle mehr miteinander reden“.


Die eingespielten Routinen des Politikbetriebs versagen vor dem populistischen Angriff


Zur Markierung seiner politischen Ziele genügt dem postmodernen Volkstribun das Egoshooter-Programm eines identitätspolitischen Fundamentalismus: „Ich bin ich“. Das muss reichen. So hilflos wie die Moderatorin der Bundespressekonferenz (Klara Pfeiffer) auf das Kapern ihrer Bühne reagiert, so müde und kraftlos wirken im Kontrast zum Turbo-Charismatiker die juristisch-formalistischen Statements der überarbeiteten Sprecherin der Bundesregierung (Annedore Kleist). Die eingespielten Routinen des Politikbetriebs versagen vor dem populistischen Angriff. Kerniger ist da schon der Landrat aus der tiefen Provinz (Stefan Merki), den der Ministerpräsident mitbringt, damit er „hier in Berlin“ von der Zumutung berichtet, die das Heim für Geflüchtete in seinem Landkreis darstellt.


Die machtpolitische Rückseite der populistischen Phrasenmaschine ist der Missbrauch der Verwaltung unter Aushebelung des Rechtsstaats. Im „Freistaat“ bearbeiten die Ämter für Migration und Flüchtlinge die Akten einfach nicht mehr, Schutzsuchende landen in der Obdachlosigkeit. Das sind wohl, leicht zugespitzt, die „wohldosierten Grausamkeiten“, von denen der „Remigrations“-Propagandist Höcke zum Zweck ethnischer Säuberungen träumt. Populistische Regierungspolitik mündet, wie real etwa in Ungarn geschehen, in diskriminierendes Verwaltungshandeln.


Die Aufführung spielt den Versuch einer populistischen Machtübernahme in einem Bundesland – bis zum Eingreifen der Bundespolizei – wie das Fallbeispiel in einem juristischen Lehrbuch durch. Und genau das ist diese Inszenierung: lehrreich. Weil die Koproduktion mit den Münchnern Kammerspielen und dem Staatstheater Karlsruhe ein Spiel mit der Medienöffentlichkeit ist, ist es nur logisch, dass „Ein Volksbürger“ vom 2. Oktober an auch in der Arte-Mediathek abzurufen ist.

 

Barbara Behrendt / Die deutsche Bühne

Die Inszenierung… legt Wert darauf, ein realistisches Szenario darzustellen…Trotzdem spielt der Abend auch mit der politischen Farce, Fabian Hinrichs überzeichnet und ironisiert… Ein Theaterabend, der weniger im Dienst der Kunst steht als im Dienst der politischen Aufklärung…

Barbara Behrendt / Die deutsche Bühne

Zum 75. Jubiläum der Bundespressekonferenz zeigen Fabian Hinrichs und Nico and the Navigators, was passiert, wenn eine populistische Partei an die Macht kommt und macht, was sie will. Die bundesdeutsche Realität ist allerdings noch gruseliger.


Die ersten Hochrechnungen erscheinen auf dem Bildschirm in der Bundespressekonferenz: Linke, BSW und Grüne fliegen aus dem Landtag, die SPD liegt im einstelligen Bereich und die CDU kommt immerhin auf knapp 20 Prozent. Klarer Wahlsieger im Freistaat ist mit satten 44 Prozent die DA. DA – das steht für Demokratische Allianz, aber auch für den Namen ihres Gründers, Dominik Arndt, neuer Ministerpräsident.

Der kommt noch am Abend seines Wahlsiegs überraschend nach Berlin, um sich den Fragen der Journalist:innen zu stellen, die er bislang gemieden hat. Noch bevor er das Haus der Bundespressekonferenz betritt, bekommt der TV-Journalist Theo Koll das erste Interview. Der echte Theo Koll, versteht sich. Auch das flimmert nun über den Bildschirm im Pressekonferenzraum.


Fabian Hinrichs: smarter und aalglatter Populist


Und dann betritt er den Raum: Dominik Arndt alias Fabian Hinrichs – federnder Gang, smarter Anzug, abgeklärt-charmantes Lächeln. Statt Fragen zu beantworten, reißt er allerdings lieber sein Parteiprogramm ab: „Wir sind sozial, wir sind demokratisch, wir sind alternativ, wir sind liberal. Wir sind auch national, aber das hat nichts mit rechts zu tun oder links, sondern mit der Mitte, mit einer Leidenschaft für unser Land.“


Das Publikum dieses Theaterstücks mit dem sprechenden Titel „Ein Volksbürger“ sitzt, wo sonst die Presse sitzt – dazwischen vier Schauspieler:innen in der Rolle von Journalist:innen, die nun im Laufe eines Jahres und einer Reihe von sich immer weiter zuspitzenden Pressekonferenzen unbequeme Fragen stellen. Denn wo die Demokratische Allianz Geld für Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung ausgeben möchte, da muss auch gespart werden. „Kann es sein, dass sich Ihre Sparmaßnahmen bereits jetzt auf den Vollzug des Ausländerrechts erstrecken?“, fragt eine forsche Journalistin.


Plötzlich heißt es: Putsch der Bundesregierung!


Die Vorwürfe erhärten sich. Der Freistaat verschleppt Asylverfahren, verweigert Aufenthaltstitel, so dass Geflüchtete ohne Grundsicherung im wahrsten Sinne auf der Straße sitzen. Und verteidigt genervt sein Vorgehen mit dem vermeintlichen Schutz seiner Wähler:innen: „Wer bei uns im Freistaat einen Gottesstaat ausrufen möchte oder widerlichste, antisemitische Aktionen fährt, der wird bei uns mit aller Härte bestraft und auch remi… äh, zurückgeführt.“


So der Seitenhieb auf die AfD und die Remigrationsdebatte, den Maximilian Steinbeis hier eingefügt hat. Er ist nicht nur Autor des Theaterstücks, sondern auch Chefredakteur des Onlinemediums „Verfassungsblog“, auf dem er die momentanen Querelen im Thüringer Landtag lange vorausgesehen hat. Im Stück spielt er nun durch, was passiert, wenn die Exekutive die Judikative nicht anerkennt. Die DA-Partei verweigert der Bundesregierung Zugang zu den Akten. Bis die Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht zwar Recht bekommt – dieses Recht nun aber mit der Bundespolizei durchsetzen muss. Was nicht für gute Schlagzeilen sorgt. Von Putschversuchen seitens der Bundesregierung ist plötzlich die Rede.


Realer Fall: Markus Söder und das Dieselfahrverbot


Wer diese dreiste Missachtung des Gerichts von einem Ministerpräsidenten für übertrieben hält, der braucht, auch das zitiert der Abend, nur nach Bayern zu schauen. Wo Markus Söder 2012 schlicht das Dieselfahrverbot ignorierte, zu dem der Freistaat verurteilt worden war.


Die Inszenierung von Nicola Hümpel und der Gruppe Nico and the Navigators legt Wert darauf, ein realistisches Szenario darzustellen – inklusive Namensschilder und Wasserflaschen für die Gesprächspartner. Trotzdem spielt der Abend auch mit der politischen Farce, Fabian Hinrichs überzeichnet und ironisiert – was dem zweistündigen Spiel durchaus guttut.


Im Dienste der politischen Aufklärung


Ein Theaterabend, der weniger im Dienst der Kunst steht als im Dienst der politischen Aufklärung – wogegen nichts zu sagen ist. Dass sein Inhalt weniger wachzurütteln vermag, als er beabsichtigt, liegt schlicht daran, dass die Realität noch gruseliger ist. Denn wo hier der populistische Spuk mithilfe der Gerichte nach einem Jahr vorbei ist (die Partei liegt am Boden, der Ministerpräsident ist nach Italien geflohen), muss sich die Wirklichkeit auf ein mindestens vierjähriges Debakel einstellen. Im Thüringer Landtag. Aber nicht nur dort.

Frauke Adrians / Nachtkritik

Das Haus der Bundespressekonferenz im Berliner Regierungsviertel wird zur Feier seines 75-jährigen Bestehens zur Bühne für das Musiktheater-Kollektiv Nico and the Navigators. Und die haben einen Theater-Star im Gepäck: Fabian Hinrichs spielt einen Volkstribun, der längst seine weit weniger amüsante Entsprechung in der Wirklichkeit hat.

Frauke Adrians / Nachtkritik

27. September 2024. Das ist ja alles irre, sagt Mathis Feldhoff, Chef der Bundespressekonferenz. Das denke ich nicht nur heute Abend, erwidert Stückautor Maximilian Steinbeis nach der Premiere. So klingt es, wenn die Wirklichkeit die Fiktion überholt, wenn das Theater nicht mehr mitkommt. Der Alterspräsident eines Landtags ignoriert Geschäftsordnung und Abgeordnetenrechte, kostet im Auftrag seines rechtsextremen Parteichefs seinen Hindenburg-Moment aus, bis das Ganze vorm Landesverfassungsgericht landet.


Realität schlägt Fiktion


In einem anderen Freistaat verwehrt die neue Landesregierung Flüchtlingen sämtliche Rechte und verweigert sich jeder Prüfung durch Bundesbehörden, bis Berlin zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Verhältnisse das noch nie angewendete Mittel des "Bundeszwangs" ergreift; die Regierungssprecherin dementiert, dass es im Freistaat zu bürgerkriegsartigen Szenen komme. Welches der beiden Szenarien ist Realität, welches hat sich ein fantasiebegabter Autor bloß ausgedacht? Und wie weit ist die Fiktion von der Realität entfernt?

Gar nicht weit – das bezeugt Maximilian Steinbeis. Als Jurist, Journalist und Gründer des "Verfassungsblogs" hat er in seinem "Thüringen-Projekt" durchgespielt, was wäre, wenn. Das, was die AfD am 26. September im Thüringer Landtag inszeniert hat, konnte ihn nicht überraschen. Es ließ sich – das machte er im Gespräch mit Mathis Feldhoff klar – voraussehen, sofern man sich fragte, was passiert, wenn eine mächtige Partei alle parlamentarischen und rechtlichen Normen verlässt. "Damit lässt sich eine Menge Missbrauch betreiben."


Fortwährende Pressekonferenz


Das Stück "Ein Volksbürger", eine Weiterentwicklung von Steinbeis‘ fünf Jahre altem Text "Ein Volkskanzler", ist bei aller Ernsthaftigkeit des Themas auch eine Farce. Das Publikum erlebt in Nicola Hümpels Inszenierung über zwei Stunden eine fortwährende Pressekonferenz mit wechselndem Personal – vom biederrassistischen Landrat ("Verstehen Sie mich nicht falsch, wir haben nichts gegen Ausländer") bis zum besorgten NGO-Sprecher. Fabian Hinrichs brilliert in der Rolle des freistaatlichen Alleinherrschers Dominik Arndt, der das Parteikürzel seiner "Demokratischen Allianz" den eigenen Initialen abgeformt hat, mit Haifisch-Charme und nimmerversiegendem Redeschwall. Als geschickter Populist changiert der egomanische "DA"-Chef zwischen Biederkeit und unverhohlener Drohung, seine Spezialität ist die unterschwellige Aggressivität; meisterhaft, wie er durch Ausbooten der Pressekonferenz-Chefin (Klara Pfeiffer) die Machtergreifung schon mal in der BPK übt – für später.

Während die fragenstellenden und zwischenrufenden Journalisten im Saal Klischeefiguren bleiben, überzeugt Annedore Kleist als Regierungssprecherin, die sich im Zweifel auf Stanzen zurückzieht und die eigene Hilflosigkeit mit süffisantem Lächeln zu kaschieren versucht. Einen schönen Gastauftritt als Theo Koll hat Theo Koll; interessanterweise strahlt er in seiner Eigenrolle mehr Ernsthaftigkeit aus als im Korrespondentenalltag. Mag sein, dass unter dem Druck jüngster Landtags-Wahlergebnisse selbst einem langgedienten ZDF-Anchorman das Augenzwinkern vergeht.


Schrecklich lächerlich


Tröstlich geradezu, dass sich der Aufstieg des Diktators zumindest in diesem Stück als aufhaltsam erweist: Dominik Arndt flieht in "ein Land, wo die Zitronen blühen" und zitiert von dort aus in erwartbarem Größenwahn nicht nur Goethe, sondern auch Kant. Dass sein Pathos dem von Björn Höcke ähnelt, ist keineswegs rein zufällig. Und wenn er am Ende Puccinis "Nessun dorma" kräht – vincero, vincero-ho! -, bleibt die Hoffnung, dass er irrt: Diese schrecklich lächerliche Gestalt wird nicht siegen.


Oder doch? Wer weiß das schon – nach dem 26. September in Erfurt.

Tom Mustroph / taz

Selten waren Bühnenspektakel und Politik so dicht beieinander. …Deutlich wurde in dem vom Verfassungsjuristen Maximilian Steinbeis konzipierten und von Regisseurin Nicola Hümpel inszenierten Planspiel im Format von Pressekonferenzen auch, wie hilf- und planlos Demokratieschützer wirken können, wenn die Gegenseite clever agiert. …„Ein Volksbürger“ rückt das Berlin des Jahres 1932 und das Erfurt des Jahres 2024 in gespenstische Nähe.

Tom Mustroph / taz

Selten waren Bühnenspektakel und Politik so dicht beieinander. Im Thüringer Landtag zerlegte die AfD-Fraktion mit destruktiver Lust die konstituierende Sitzung. Und während man am Freitag noch auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts wartete, skizzierte in Berlin im großen Saal der Bundespressekonferenz das Theaterstück „Ein Volksbürger“, was passieren kann, wenn Demokratieverächter tatsächlich durch Wahlen an die Macht kommen. Deutlich wurde in dem vom Verfassungsjuristen Maximilian Steinbeis konzipierten und von Regisseurin Nicola Hümpel inszenierten Planspiel im Format von Pressekonferenzen auch, wie hilf- und planlos Demokratieschützer wirken können, wenn die Gegenseite clever agiert.


Bollwerk gegen Rechts


Genügend DaDa steckt ebenfalls in seinem Auftritt. Arndt verkauft sich als Bollwerk gegen Rechts – die AfD landete bei dieser fiktiven Landtagswahl mit gut 10 Prozent lediglich auf dem dritten Rang, wie kurz ein Balkendiagramm beweist. Er macht aber ziemlich rechte Politik. Er organisiert administratives Versagen, um selbst Geflüchtete, die ihr Bleiberecht von Gerichten zugesprochen bekamen, aus dem Freistaat zu ekeln. Hier greift, not amused, die Bundesregierung ein und drängt auf Durchsetzung der Bundesgesetze. Das mündet in die ganz große Show von Arndt: Er sei kein Pudel, der sich von Gesetzen in seinem politischen Handeln einschränken ließe, sondern ein Ministerpräsident, der nur Volkes Wille umsetze.


Das ist die eine große Frage des Abends: Geht die Macht vom Volke aus, oder ist die Grundlage der Machtausübung die Verfassung? Was geschieht, wenn der Ruf nach Remigration, den die DA-Wähler*innen mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzettel unterstrichen, mit den völkerrechtlich verbindlichen Gesetzen zum Schutz von bedrohten Menschen kollidiert?


Die zweite große Frage des Abends lautet: Wie umgehen mit einer Landesregierung, die ganz offen Gesetze missachtet? „Exekutiver Ungehorsam“ heißt diese Vorgehensweise im Stück. Beispiele dafür gibt es. Morgane Ferru als eine der Jour­na­lis­t*in­nen unterbricht kurz die Abfolge der Pressekonferenzen und erinnert an die Weigerung des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, einen Beschluss des Verwaltungsgerichts München in Sachen Dieselfahrverbot umzusetzen. Gegen die bayrische Landesregierung wurden deshalb sogar Zwangsgelder verhängt. Für eine Zwangshaft gegen Söder sah der Europäische Gerichtshof EuGH 2019 keine Handhabe, weil das im deutschen Rechtssystem nicht verankert sei.


Immerhin gibt es mit dem sogenannten Bundeszwang, Artikel 37 der Verfassung, ein Mittel, das es Bundesregierung und Bundesrat erlaubt, einen Beauftragten mit Unterstützung der Bundespolizei zur Durchsetzung der Bundesgesetze in einen abtrünnigen Gliedstaat zu schicken. Auch dafür gibt es historische Beispiele. 1932 entmachtete die damalige Reichsregierung den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Preußens.


Der hatte nach den Landtagswahlen desselben Jahres die Mehrheit verloren, Wahlsieger NSDAP (37 Prozent der Stimmen) und KPD (13 Prozent) verhinderten die Bildung einer neuen Landesregierung. Es gab Krawalle und Straßenschlachten, bis ein Jahr später die Nationalsozialisten ganz die Macht ergriffen. „Ein Volksbürger“ rückt das Berlin des Jahres 1932 und das Erfurt des Jahres 2024 in gespenstische Nähe.

Miriam Böttger / 3sat Kulturzeit

Selten befinden sich Theaterbesucher so direkt inmitten des Geschehens […] Dominik Arndt ist ein Populist, der sich zwischen den Zeilen selbst erklärt und das ist der Reiz und der große Gewinn des Stücks […] das Stück zeigt raffiniert wie en passant demokratische Gesetze ausgehebelt werden können […] auf ästhetisch mitreißende Weise mitten in die Gesellschaft getragen.

Miriam Böttger / 3sat Kulturzeit

Zum 75. Geburtstag der Bundespressekonferenz zeigen Fabian Hinrichs und Nico and the Navigators, was passiert, wenn eine populistische Partei an die Macht kommt. Die politische Farce zeigt den Aufstieg eines populistischen Ministerpräsidenten in einem deutschen Freistaat und die daraus resultierende Bedrohung für die Demokratie in der Bundesrepublik. Fabian Hinrichs spielt die Hauptrolle. An seiner Seite agieren die Navigators in verschiedenen Rollen sowie Theo Koll als Gast. Der Abend in der Bundespressekonferenz basiert auf den viel beachteten Recherchen des Verfassungsblog-Teams um den Gründer und Autor Maximilian Steinbeis. Im Anschluss folgte ein Podiumsgespräch mit dem Autor und Verfassungsrechtler Steinbeis. Die Vorstellungen wurden live in das Badische Staatstheater in Karlsruhe und das Kino Babylon in Berlin übertragen. Ab dem 2. Oktober ist "Ein Volksbürger" auch in der arte-Mediathek zu sehen. (verfügbar bis 2.10.2027)


Link zur Sendung KULTURZEIT vom 30. September 2024

Ina Beyer / SWR Kultur

Fabian Hinrichs gibt diesen unerschütterlichen wie unerträglichen Dominik Arndt als smarten Volksversteher -und verführer, der viele Tonlagen beherrscht…

Der ambitionierte Abend hat seinen ganz großen Widerhall natürlich in der Wirklichkeit. Keine Sätze, die auf dieser (besonderen) Bühne gesprochen, keine Entwicklungen, die aufgezeigt werden, die nicht unmittelbar Realität werden könnten. Nicht nur in Thüringen. 

Ina Beyer / SWR Kultur

Wer kennt sie nicht aus den Fernsehnachrichten. Die blaue Wand. Die hellen Holzbuchstaben darauf, die verheißen: Bundespressekonferenz. Am langen Tresen sitzen da im Allgemeinen Vertreter von Bundesregierung, Parteien und Verbänden oder überregional politischer Bedeutung und erteilen den Journalisten vor ihnen Auskunft. Auch an diesem Abend finden sich ein paar versprengte Berichterstatter in den Stuhlreihen und hat vorn ein Politiker Platz genommen. Und es werden sogar eine ganze Reihe Pressekonferenzen gegeben. Echt aber ist an diesem Abend nur die beeindruckende Kulisse. Die blaue Wand. Die hellen Holzbuchstaben darauf, die verheißen: Bundespressekonferenz. Der Rest ist Theater. Eine Politfarce. Nur Gedankenexperiment. Hoffentlich. Herein kommt federnden Schrittes, freundlich lächelnd und höflich grüßend Dominik Arndt. Er ist direkt aus seinem Freistaat angereist, wo die Partei „Demokratische Allianz“ gerade die Wahl mit 44% der Wählerstimmen gewonnen hat. Er läuft direkt ins Mikrophon von Theo Koll – ja, er ist es wirklich, der ihn interviewt, aber kaum zu Wort kommt.

 

O-Ton Koll/Hinrichs

 

Wer’s glaubt wird natürlich selig. Der Volksbürger Arndt eilt weiter, er gibt hier schließlich gleich eine Pressekonferenz. Auf der er umgehend alle zu beeinflussen sucht, nachfragenden Journalisten das kritische Wort im Munde umdreht, es der Moderatorin permanent abschneidet und nicht müde wird, seine Vorstellungen von der zukünftigen Politik und Gangart im Freistaat zu verkünden.


O-Ton Hinrichs

 

Der Versprecher ist natürlich Programm und nach Wunsch und Wille von Dominik Arndt soll generell keinem Asylberechtigten der Aufenthaltstitel gewährt werden. Dies aber ist – in Stück und Realität – Bundesrecht.

 

O-Ton Regierungssprecherin

 

Jurist und Autor Maximilan Steinbeis spielt in seinem Text „Volksbürger“ durch, was in so einem Falle geschieht: Die Bundesregierung entsendet einen Bundeskommissar, der vor Ort Akten studieren und sich einen Überblick verschaffen soll. Wird ihm – wie hier im Freistaat - die Kooperation verweigert, bleibt der Bundeszwang. Der ist in Artikel 37 des Grundgesetzes beschrieben und dient der Durchsetzung von Recht und Gesetz. Bei Dominik Arndt muss sogar die Bundespolizei anrücken. Der Ministerpräsident flieht. Aber aufgeben? Niemals. Aus dem Exil – per Videoeinspieler – gibt er sich weiter siegesgewiss. Fabian Hinrichs gibt diesen unerschütterlichen wie unerträglichen Dominik Arndt als smarten Volksversteher -und verführer, der viele Tonlagen beherrscht – von herzlich bis herrisch, leise bis laut, verständnisvoll bis verstörend.

Der ambitionierte Abend hat seinen ganz großen Widerhall natürlich in der Wirklichkeit. Keine Sätze, die auf dieser (besonderen) Bühne gesprochen, keine Entwicklungen, die aufgezeigt werden, die nicht unmittelbar Realität werden könnten. Nicht nur in Thüringen. 

Barbara Behrendt / rbb24 Inforadio Kultur

Was für ein Theater in der Bundespressekonferenz […] bei allem Realismus spielt die Inszenierung der Gruppe Nico and the Navigators auch mit der politischen Farce. Ein Theaterabend, der weniger im Dienste der Kunst steht als im Dienste der politischen Aufklärung, wo gegen nichts zu sagen ist.

Barbara Behrendt / rbb24 Inforadio Kultur

Zum 75. Jubiläum der Bundespressekonferenz zeigen Fabian Hinrichs und Nico and the Navigators, was passiert, wenn eine populistische Partei an die Macht kommt und macht, was sie will. Die bundesdeutsche Realität ist allerdings noch gruseliger.


Die ersten Hochrechnungen erscheinen auf dem Bildschirm in der Bundespressekonferenz: Linke, BSW und Grüne fliegen aus dem Landtag, die SPD liegt im einstelligen Bereich und die CDU kommt immerhin auf knapp 20 Prozent. Klarer Wahlsieger im Freistaat ist mit satten 44 Prozent die DA. DA – das steht für Demokratische Allianz, aber auch für den Namen ihres Gründers, Dominik Arndt, neuer Ministerpräsident.


Der kommt noch am Abend seines Wahlsiegs überraschend nach Berlin, um sich den Fragen der Journalist:innen zu stellen, die er bislang gemieden hat. Noch bevor er das Haus der Bundespressekonferenz betritt, bekommt der TV-Journalist Theo Koll das erste Interview. Der echte Theo Koll, versteht sich. Auch das flimmert nun über den Bildschirm im Pressekonferenzraum.


Fabian Hinrichs: smarter und aalglatter Populist


Und dann betritt er den Raum: Dominik Arndt alias Fabian Hinrichs – federnder Gang, smarter Anzug, abgeklärt-charmantes Lächeln. Statt Fragen zu beantworten, reißt er allerdings lieber sein Parteiprogramm ab: „Wir sind sozial, wir sind demokratisch, wir sind alternativ, wir sind liberal. Wir sind auch national, aber das hat nichts mit rechts zu tun oder links, sondern mit der Mitte, mit einer Leidenschaft für unser Land.“


Das Publikum dieses Theaterstücks mit dem sprechenden Titel „Ein Volksbürger“ sitzt, wo sonst die Presse sitzt – dazwischen vier Schauspieler:innen in der Rolle von Journalist:innen, die nun im Laufe eines Jahres und einer Reihe von sich immer weiter zuspitzenden Pressekonferenzen unbequeme Fragen stellen. Denn wo die Demokratische Allianz Geld für Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung ausgeben möchte, da muss auch gespart werden. „Kann es sein, dass sich Ihre Sparmaßnahmen bereits jetzt auf den Vollzug des Ausländerrechts erstrecken?“, fragt eine forsche Journalistin.


Plötzlich heißt es: Putsch der Bundesregierung!


Die Vorwürfe erhärten sich. Der Freistaat verschleppt Asylverfahren, verweigert Aufenthaltstitel, so dass Geflüchtete ohne Grundsicherung im wahrsten Sinne auf der Straße sitzen. Und verteidigt genervt sein Vorgehen mit dem vermeintlichen Schutz seiner Wähler:innen: „Wer bei uns im Freistaat einen Gottesstaat ausrufen möchte oder widerlichste, antisemitische Aktionen fährt, der wird bei uns mit aller Härte bestraft und auch remi… äh, zurückgeführt.“


So der Seitenhieb auf die AfD und die Remigrationsdebatte, den Maximilian Steinbeis hier eingefügt hat. Er ist nicht nur Autor des Theaterstücks, sondern auch Chefredakteur des Onlinemediums „Verfassungsblog“, auf dem er die momentanen Querelen im Thüringer Landtag lange vorausgesehen hat. 

Im Stück spielt er nun durch, was passiert, wenn die Exekutive die Judikative nicht anerkennt. Die DA-Partei verweigert der Bundesregierung Zugang zu den Akten. Bis die Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht zwar Recht bekommt – dieses Recht nun aber mit der Bundespolizei durchsetzen muss. Was nicht für gute Schlagzeilen sorgt. Von Putschversuchen seitens der Bundesregierung ist plötzlich die Rede.


Realer Fall: Markus Söder und das Dieselfahrverbot


Wer diese dreiste Missachtung des Gerichts von einem Ministerpräsidenten für übertrieben hält, der braucht, auch das zitiert der Abend, nur nach Bayern zu schauen. Wo Markus Söder 2012 schlicht das Dieselfahrverbot ignorierte, zu dem der Freistaat verurteilt worden war.


Die Inszenierung von Nicola Hümpel und der Gruppe Nico and the Navigators legt Wert darauf, ein realistisches Szenario darzustellen – inklusive Namensschilder und Wasserflaschen für die Gesprächspartner. Trotzdem spielt der Abend auch mit der politischen Farce, Fabian Hinrichs überzeichnet und ironisiert – was dem zweistündigen Spiel durchaus guttut.


Im Dienste der politischen Aufklärung


Ein Theaterabend, der weniger im Dienst der Kunst steht als im Dienst der politischen Aufklärung – wogegen nichts zu sagen ist. Dass sein Inhalt weniger wachzurütteln vermag, als er beabsichtigt, liegt schlicht daran, dass die Realität noch gruseliger ist. Denn wo hier der populistische Spuk mithilfe der Gerichte nach einem Jahr vorbei ist (die Partei liegt am Boden, der Ministerpräsident ist nach Italien geflohen), muss sich die Wirklichkeit auf ein mindestens vierjähriges Debakel einstellen. Im Thüringer Landtag. Aber nicht nur dort.

Eva Marburg / der Freitag

Aufklärungstheater im besten Sinne.

Eva Marburg / der Freitag

Was könnte passieren, wenn eine rechtsextremistische Partei an die Macht kommt? Das Theaterstück „Ein Volksbürger“ im Haus der Bundespressekonferenz spielt dieses Szenario einmal durch


Eigentlich gilt jede spürbar pädagogische Absicht im Theater als verpönt. Trotzdem scheint eine Funktion des Theaters zu trenden, nämlich die der Aufklärung. Besonders deutlich wurde das bei der sensationell erfolgreichen Bühnenfassung der Correctiv-Recherche. Nur eine Woche nach Veröffentlichung kam das Ganze als szenische Lesung auf die Bühne des Berliner Ensembles. Die als „Theater meets Journalismus“ angekündigte Veranstaltung wurde live gestreamt, lockte mehr als 100.000 Zuschauer:innen vor ihr digitales Endgerät und wurde mit tosendem Applaus bedacht.


Ein ähnliches mediales Großereignis war jetzt die Inszenierung „Ein Volksbürger" der freien Gruppe Nico and the Navigators. Einen Tag nachdem der AfD-Alterspräsident des Thüringer Landtags die demokratischen Prinzipien außer Gefecht gesetzt hatte, spielte Fabian Hinrichs hier einen populistischen Ministerpräsidenten, der durch seine mit absoluter Mehrheit gewählte Demokratische Allianz in einem nicht näher benannten „Freistaat“ an die Macht kommt. Das Stück wurde im Haus der Bundespressekonferenz aufgeführt; es war das erste Mal, dass ein künstlerisches Projekt Zugang zu diesen Räumlichkeiten bekam.


Ein Volksbürger versucht, mit maximal authentischer Simulation der Realität ein Szenario durchzuspielen, das sich mit der Frage auseinandersetzte, was passieren könnte, wenn eine Partei an die Macht kommt, die den Rechtsstaat verachtet. Welche wehrhaften Mittel besitzt die Verfassung überhaupt, den demokratischen Staat in einem solchen Fall zu schützen? Auch dieses Projekt wurde über mehrere Kanäle, unter anderem auf Arte, live gestreamt: wahrscheinlich, weil man berechtigterweise annahm, das sollte möglichst viele Menschen im Land interessieren.


Und tatsächlich ist der Abend ein gelungenes Beispiel von Aufklärungstheater im besten Sinne. Nicht nur, weil Fabian Hinrichs nahezu perfekt einen Ministerpräsidenten kopiert, der seinen Vernichtungswillen gekonnt hinter einer zivilen Fassade bewahrt. (Denken Sie sich eine männliche Alice Weidel.) Auch nicht, weil der Abend manchmal ziemlich klischeehaft die Welt der Politik und des Journalismus abzubilden versucht. Und schon gar nicht, weil man das Thema offenbar „leicht“ gestalten wollte und der Meinung war, über so ein Bedrohungsszenario müsse auch mal gelacht werden dürfen. Dafür habe ich in den dargestellten Pressekonferenzen, in denen die Handlungsoptionen der Bundesregierung durchgespielt wurden, einiges über die Verfassung gelernt.


Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich blättere eher selten in unserer Verfassung herum. Ich lernte also in diesem Stück, dass der Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis geschrieben hat, dass es eine festgeschriebene „Landestreue“ gibt, die die Länder verpflichtet, die verfassungsmäßigen Gesetze des Bundes einzuhalten und umzusetzen. Ich hörte auch zum ersten Mal vom „Bundeszwang“, der in der Geschichte der BRD noch nie umgesetzt wurde und der eben im Extremfall greift, wenn ein Bundesland vorsätzlich verfassungswidrig handelt. Dann marschiert, wie hier in diesem Fall, die Bundespolizei in den jeweiligen Freistaat ein und unterbindet die Machtergreifung der Ämter und Behörden.


Ein Volksbürger sendete also durchaus eine beruhigende Botschaft: keine Angst, es gibt Mittel und Wege, die der Rechtsstaat besitzt, um sich zu schützen. Doch sollte man, im Sinne der Vorbereitung auf das, was kommt, beim nächsten Mal ruhig ein realistischeres Aufklärungsszenario entwerfen. Eine AfD hat, wie wir gesichert wissen, weitaus andere Pläne als hier die Demokratische Allianz, die vergisst, Aufenthaltsanträge zu bearbeiten. Wie wäre es also mit einem Aufklärungstheater des realistischen Horrors, das uns allen Handlungsanweisungen an die Hand gibt, wie wir demnächst zu verfahren haben?

Andreas Montag / Mitteldeutsche Zeitung

Alles nur Theater, oder? Viel Applaus am Ende, für Hinrichs und die ganze Crew. Aber zum Feiern ist einem nicht wirklich zumute.

Andreas Montag / Mitteldeutsche Zeitung

Bundespressekonferenz als Bühne


Die einst in Dessau gegründete freie Theaterkompanie Nico and the Navigators hat ein Stück gemeinsam mit dem Berliner Schauspieler Fabian Hinrichs herausgebracht.


Berlin/MZ. - Das hat dieses Haus am Schiffbauerdamm in Berlin, in dem die Bundespressekonferenz ihren Sitz hat, noch nicht erlebt: Ein Theaterstück in dem Saal, den man von Fernsehbildern kennt und in dem sich normalerweise Vertreterinnen und Vertreter von Regierung und Opposition, Parteien und Verbänden den Fragen der Medien stellen. 


Nähe zur Realität

„Ein Volksbürger“ heißt die jetzt gezeigte Produktion, im Untertitel als „politische Farce“ bezeichnet – damit keine Missverständnisse aufkommen. Zumal der Abstand zwischen Wirklichkeit und Fiktion gar nicht so groß ist. Denn in dem Stück geht es um ein „Was wäre, wenn“ der besonderen Art: Wenn nun ein Populist die absolute Mehrheit in einem Bundesland („der Freistaat“ genannt) gewinnen und aus der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausscheren würde?

Die Premiere von „Ein Volksbürger“ fand einen Tag nach dem Eklat bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags in Erfurt statt, bei der die Fraktion der CDU in der Auseinandersetzung mit der der AfD um Verfahrensfragen das Landesverfassungsgericht angerufen hatte. So gewann das Stück noch zusätzliche Brisanz.

Die einst in Dessau gegründete freie Theaterkompanie Nico and the Navigators hat das von Maximilian Steinbeis geschriebene Stück gemeinsam mit dem Berliner Schauspieler Fabian Hinrichs herausgebracht. Die Regisseurin Nicola Hümpel, der Hauptdarsteller Fabian Hinrichs und der Dramaturg Andreas Hillger haben am Text mitgearbeitet. Steinbeis ist Jurist, Journalist und Autor, der das Forum Verfassungsblog betreibt. Die Bundespressekonferenz gab nun die Bühne für eine fiktive politische Eskalation ab – unter anderem mit dem „echten“ Journalisten Theo Koll als Gast, der sich selbst spielt.


Machthungriger Populist

Die Produktion lebt entscheidend von der Magie des Fabian Hinrichs, der mit dem verstorbenen René Pollesch an der Volksbühne in Berlin Triumphe feierte. Hinrichs spielt den charmanten, alle Welt mit Geschwurbel einseifenden Populisten, der die Macht will. Alles nur Theater, oder? Viel Applaus am Ende, für Hinrichs und die ganze Crew. Aber zum Feiern ist einem nicht wirklich zumute.

Annett Jaensch / Rostrot-Texte

Hinrichs changiert gekonnt zwischen den Polen sympathischer Blender und knallharter Manipulator. Und das macht das „Was-wäre-wenn“-Szenario noch beklemmender.

Annett Jaensch / Rostrot-Texte

Nico and the Navigators zeigen „Ein Volksbürger“ im Haus der Bundespressekonferenz


Durch das riesige Panoramafenster im Haus der Bundespressekonferenz blickt man direkt auf das Regierungsviertel: Bundeskanzleramt, Paul-Löbe-Haus, Deutscher Bundestag, alles in Steinwurfweite. Denkwürdige Pressekonferenzen fanden hier statt, wie jene im Jahr 2015, auf der Angela Merkel ihren berühmten Satz „Wir schaffen das!“ sagte. Kleines Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn auf genau diesem Podium ein populistischer Ministerpräsident nach einem Erdrutschsieg in einer Landtagswahl Platz nähme und selbstbewusst Reden hielte?


Dieses Szenario haben Nicola Hümpel und ihr Theater-Kollektiv Nico and the Navigators zusammen mit Maximilian Steinbeis entwickelt, Autor und Gründer des Verfassungsblogs. In der Rolle des aalglatten Politaufsteigers: der großartige Fabian Hinrichs, bekannt aus Volksbühnen-Produktionen und als Tatort-Kommissar. Im Stil einer Live-Mockumentary setzt das Stück an einem Wahlabend ein. Über einen Monitor flimmern die Ergebnisse aus dem fiktiven Freistaat: klägliche Quoten für die bürgerlichen Parteien, während sich ein satter Balken für die „Demokratische Allianz“ aufbaut. Absolute Mehrheit aus dem Stand! Der Parteivorsitzende Dominik Arndt – bis in die Initialen verkörpert er die „DA“ – eilt schnurstracks in die Bundeshauptstadt, um sich den Fragen der Presse zu stellen.


Mit dem Habitus eines Triumphators rauscht Arndt alias Hinrichs in den Saal. An Dialog ist er aber nicht interessiert. Viel lieber schwadroniert er über schlechten Handyempfang und betont: „Wir sind vieles, wir sind demokratisch, wir sind alternativ, sozial, liberal und ja, wir sind national, aber das hat erst mal nichts mit rechts oder links, mit oben oder unten zu tun, sondern mit der Mitte, mit einer Leidenschaft für unser Land.“ Hinrichs changiert gekonnt zwischen den Polen sympathischer Blender und knallharter Manipulator. Und das macht das „Was-wäre-wenn“-Szenario noch beklemmender. Wenn Demokratieverachtung eben nicht im Gewand einer klar extremistischen Partei daherkäme, sondern das Reaktionäre von Akteuren ausgeht, die sich als diffus moderne, bodenständige Kümmerer inszenieren.


Das Stück spannt sich als Folge diverser Pressekonferenzen über den Zeitraum eines Jahres. Und von PK zu PK wird klarer, wohin die Reise geht. Im nicht näher genannten „Freistaat“ gibt es schon nach wenigen Wochen Unregelmäßigkeiten im Ausländerrecht: Ämter bearbeiten die Akten nicht mehr, Schutzsuchende landen in der Obdachlosigkeit. Journalistisch nachgebohrt wird von drei Schauspielern und einer Schauspielerin, die im Publikum verteilt sitzen. Wobei das Kommunikationsgefälle atemberaubend ist: Der Populist Arndt redet zwar sehr viel, lässt im Grunde aber alle Fragen abperlen. 


Ein Landrat, der über die Zumutungen des örtlichen Flüchtlingsheims klagt, ein Vertreter einer NGO, der seinen Recherchestapel zu nicht bearbeiteten Asylfällen vorlegt. Wechselndes Personal hat seinen Auftritt, bis klar wird, dass der Bund es hier mit etwas zu tun bekommt, was eigentlich eine verfassungsrechtliche Anomalie ist: „Exekutiver Ungehorsam“, also wenn die Exekutive die Judikative missachtet und Bundesrecht auf Landesebene bewusst nicht umgesetzt wird. Wer eine Missachtung von hochrichterlichen Entscheidungen durch einen Ministerpräsidenten für aus der Luft gegriffen hält, dem serviert das Stück auch gleich ein Beispiel aus der Realität: Markus Söder und das Dieselfahrverbot. Bundesauflagen aus dem Jahr 2012 ignorierte er einfach im Interesse des „Autolands“ Bayern.


Und wie endet das Gedankenexperiment „Ein Volksbürger“ auf der Theaterbühne? Mit einem spektakulären Showdown, namens Artikel 37 Grundgesetz. In der Geschichte der Bundesrepublik so noch nie angewandt, erlaubt der sogenannte „Bundeszwang“ drastische Maßnahmen gegen ein Bundesland, das sich weigert, föderale Pflichten zu erfüllen. Im Fall der „DA“ heißt das: Die Bundespolizei beendet die Machtübernahme, der Ministerpräsident flieht ins Ausland. Aus einem „befreundeten Land, wo die Zitronen blühen“ meldet er sich dann umgehend per Videobotschaft, natürlich mit paroliger „Es hat etwas begonnen, das nicht mehr zu stoppen ist“-Botschaft. 


Unkartiertes Gelände, so nannte Jurist und Verfassungsblog-Autor Maximilian Steinbeis in einem Gespräch nach der Premiere die politischen Vorgänge, die von der theatralen Versuchsanordnung so plastisch abgesteckt werden. Von ihm stammt auch der Essay „Ein Volkskanzler“ aus dem Jahr 2019, der durchspielt, wie autoritäre Kräfte innerhalb einer Legislaturperiode die Verfassung aus den Angeln heben könnten, ohne offenen Verfassungsbruch und ohne einen Buchstaben an der Verfassung zu ändern. Aktuell befasst sich das Verfassungsblog-Team mit dem „Thüringen-Projekt“, einer Forschungsarbeit, die die Resilienz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in genau diesen Punkten abklopfen will.


Eine Paradebeispiel aus dem Playbook der parlamentarischen Obstruktion hat die Thüringer AfD jedenfalls erst kürzlich wieder geliefert. Am 26. September blockierte der Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD stundenlang eine Abstimmung zur Änderung der Geschäftsordnung. Erst per Eilentscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts konnte die konstituierende Sitzung des Landtags fortgesetzt werden. Das Theaterstück „Ein Volksbürger“ war nach zwei Stunden zu Ende. Man wird sehen, wie es auf der echten politischen Bühne weitergeht. In Erfurt und anderswo. 

Kira Fasbender / Berliner Zeitung

Das Kollektiv zeigt ein Szenario auf, bei dem ein gerissener Politiker die Gewaltentrennung, die Grundlage der Demokratie, aufhebt und verdeutlicht, wie schmal der Grat zwischen Demokratie und Diktatur ist. Die Zuschauer werden als direkte, aber machtlose Zeugen dieses Vorgangs inszeniert. Auch veranschaulichen die Theatermacher die Machtlosigkeit der wütenden Journalisten, denen falsche oder keine Antworten gegeben werden. Fabian Hinrichs spielt den Ministerpräsidenten hingebungsvoll und authentisch. Er schafft es, die ambivalente Ausstrahlung solcher Personen zu imitieren, die sich sympathisch und nahbar präsentieren, um ihre eigentlichen Absichten zu kaschieren. Gekonnt steht ihm Annedore Kleist in ihrer Rolle als Regierungssprecherin zur Seite.

Kira Fasbender / Berliner Zeitung

Im Haus der Bundespressekonferenz, mitten in Berlin, lässt sich hautnah der schleichende Tod der Demokratie miterleben. Mit Fabian Hinrichs als Ministerpräsident.


Was passiert, wenn ein demokratisch gewählter Politiker nach und nach die deutsche Verfassung missachtet und sich grinsend von der Demokratie verabschiedet?


Das Theaterkollektiv Nico and the Navigators hat unter der Regie von Nicola Hümpel ein Experiment gewagt. Anstatt zu einer Bühne wurden die Zuschauer in das Haus der Bundespressekonferenz geladen. Dominik Arndt, gespielt von „Tatort“- und Volksbühnenstar Fabian Hinrichs, ist Ministerpräsident der fiktiven Partei „Demokratische Allianz“. Diese wurde mit absoluter Mehrheit gewählt. Er und weitere Politiker sprechen vom Podium aus zu den Zuschauern, unter die sich vier Schauspieler gemischt haben. Diese mimen Journalisten und stellen als solche Fragen an die Politiker.


Der Schmale Grat zwischen Demokratie und Diktatur


Herr Arndt ist elegant gekleidet, er hat die Haare nach hinten gegelt und ist mit einem gewinnenden Lächeln ausgestattet. Schnell werden die rechtspopulistischen Absichten von ihm und seiner Partei deutlich. Er gibt sich volksnah und verpackt seine harte Migrationspolitik in Zuckerguss. Mit Geschick weicht er unbequemen Fragen der Journalisten aus, bleibt stets freundlich, nur manchmal blitzt das herrische Potenzial seines Charakters hinter den blasierten Antworten hervor.


Das Kollektiv zeigt ein Szenario auf, bei dem ein gerissener Politiker die Gewaltentrennung, die Grundlage der Demokratie, aufhebt und verdeutlicht, wie schmal der Grat zwischen Demokratie und Diktatur ist. Die Zuschauer werden als direkte, aber machtlose Zeugen dieses Vorgangs inszeniert. Auch veranschaulichen die Theatermacher die Machtlosigkeit der wütenden Journalisten, denen falsche oder keine Antworten gegeben werden.


Fabian Hinrichs spielt den Ministerpräsidenten hingebungsvoll und authentisch. Er schafft es, die ambivalente Ausstrahlung solcher Personen zu imitieren, die sich sympathisch und nahbar präsentieren, um ihre eigentlichen Absichten zu kaschieren. Gekonnt steht ihm Annedore Kleist in ihrer Rolle als Regierungssprecherin zur Seite.


Weniger überzeugend sind manche Fragen der Journalisten, die sich sehr nach Theatersprache anhören. Interessant wäre es, wenn das Team das Setting ausgenutzt und ein, zwei Fragen aus dem echten Publikum an den Politiker zugelassen hätte.


Das Licht bleibt an


Anders als sonst bei Theateraufführungen blieb das Licht im Zuschauerraum eingeschaltet. Ein helles, unbequemes Arbeitslicht. Das hatte zur Folge, dass sich die Zuschauenden nicht in die bequeme, anonyme Haltung des unbetroffenen Beobachters zurücklehnen konnten. Sie waren durchweg präsent und Teil des Geschehens. Das ist nicht immer angenehm, aber ein gutes Sinnbild für die Verantwortung jeder einzelnen Person dem politischen Geschehen des eigenen Landes gegenüber.


Im Verlauf des Stückes löste sich die Inszenierung vom Realismus und endet mit einem dramatischen Auftritt Hinrichs. Der Saal ist nun doch in Dunkelheit gehüllt. Mit zerknülltem Hemd auf dem Podium stehend inszeniert er sich selbst auf dramatische Weise als untergehender Allmächtiger und krächzt dazu eine Opernarie.

Winfried Folz / Die Rheinpfalz

Lehrreiches Gedankenexperiment… Erschreckend realistisch… Was für eine Farce!

Winfried Folz / Die Rheinpfalz

Wenn in der Berliner Bundespressekonferenz plötzlich Schauspieler agieren


Wenn Sprecher der Bundesregierung, Vertreter der Opposition, Parteivorsitzende oder Sachverständige etwas Wichtiges zu sagen haben, sieht man sie häufig vor einer blauen Wand. Es ist die Stirnseite des Saales der Bundespressekonferenz in Berlin. Dort fielen schon bemerkenswerte Worte wie etwa „Wir schaffen das!“ oder „Ich bin mit mir im Reinen“. Beides übrigens Zitate von Kanzlerin Angela Merkel. 29 Mal saß sie in ihrer Amtszeit vor der blauen Wand und gab – mal ausführlich, mal einsilbig – Auskunft über aktuelle politische Fragen und persönliche Befindlichkeiten. Ihr Nachfolger Olaf Scholz schaffte es bisher auf drei Auftritte.


Das Besondere an der Bundespressekonferenz ist, dass hier Journalisten die Gastgeber sind, nicht die Regierung oder die Parteien. Das ist in keinem anderen Land der Welt so. Kein Fragesteller wird herausgepickt, jeder, der sich meldet, kommt dran.


Lehrreiches Gedankenexperiment


Das ist schon seit 75 Jahren so, weshalb der Verein Bundespressekonferenz dieser Tage ein Jubiläum feiert – und das auf ungewöhnliche Weise. Denn erstmals durfte vor der blauen Wand ganz offiziell Theater gespielt werden. Die wichtigste Verlautbarungsbühne im politischen Tagesgeschäft wurde Schauplatz eines lehrreichen Gedankenexperiments. Aufgeführt wurde das Stück „Ein Volksbürger“, das zeigt, wie leicht ein gewählter Populist über einfache Verwaltungsakte einen Rechtsstaat mit den eigenen Instrumenten zerstören kann. So werden in einem nicht näher bezeichneten Bundesland die Akten von Flüchtlingen einfach nicht mehr bearbeitet – die Schutzsuchenden landen in der Obdachlosigkeit.


Erschreckend realistisch


In dem vom Verfassungsjuristen Maximilian Steinbeis konzipierten und von Regisseurin Nicola Hümpel inszenierten Planspiel folgt eine Pressekonferenz auf die nächste. Der charmante und eloquente Volkstribun, leicht irre gespielt von Fabian Hinrichs („Tatort“ Franken), weigert sich Fragen zu beantworten und spult lieber frech seine Agenda ab. ZDF-Reporter Theo Koll, der sich routiniert selbst spielt, ist chancenlos, wenn er die wahren politischen Ziele des Blenders herausfinden will. Erschreckend realistisch sind auch die formalistischen Statements der Sprecherin der Bundesregierung. Was für eine Farce!

Das aufrüttelnde Stück über eine friedliche Machtergreifung ist in der Arte-Mediathek abrufbar.

Eine Produktion von Nico and the Navigators, gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds. In Kooperation mit dem Bundespressekonferenz e.V., mit den Münchner Kammerspielen und dem Badischen Staatstheater Karlsruhe. Produziert von EuroArts im Auftrag des ZDF, wird die Inszenierung bei ARTE online zu sehen sein. Mit der Unterstützung des Radialsystems.

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